19. August 2012

„Zwischen Tauwettersozialismus und Neostalinismus“

In der Geschichtsforschung und Publizistik hat sich der Begriff „Tauwettersozialismus“ für einen teilweisen politischen Liberalismus in den sozialistischen Staaten Ost- und Südosteuropas eingebürgert, der nach dem Tode Stalins (1953) einsetzte und untermauert wurde durch die Rede des Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Nikita Chruschtschow auf dem XX. Parteitag, in der er den Personenkult um Stalin und dessen Massenverbrechen anprangerte. In diesen Jahren der „Entstalinisierung“ wurden Lockerungen auf politischem Gebiet verzeichnet, wirtschaftliche Reformen angestoßen, vor allem aber die politischen Massenprozesse eingestellt und die politischen Häftlinge größtenteils entlassen.
Die „Entstalinisierung“ hielt aber nur einige Jahre, da durch die „Liberalisierung“ und die etwas gelockerte Politik antisozialistische Bewegungen ausgelöst wurden, die in der ungarischen Revolution von 1956 gipfelten. Die Erhebung wurde durch die Sowjets brutal niedergeschlagen. Aus Angst, das ungarische Beispiel könnte auf die „befreundeten“ sozialistischen Länder übergreifen, setzte in diesen eine neue Terrorwelle ein, die zur neostalinistischen Diktatur führte. Der hier zu besprechende Band „Zwischen Tauwettersozialismus und Neostalinismus. Deutsche und andere nationale Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1953-1964“ enthält die aktualisierten und ergänzten Beiträge einer Tagung des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Geschichte und Philosophie der Babeș-Bolayi-Universität Klausenburg von 2007.

Die Autoren aus Deutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien und Serbien beschäftigen sich in 13 Beiträgen mit dem ungarischen Aufstand von 1956 und der politischen, rechtlichen, sozialen und kulturellen Lage der nationalen Minderheiten in Ungarn, Rumänien und Jugoslawien in den Jahren zwischen dem „Tauwettersozialismus“ und Neostalinismus. Sieben dieser Beiträge beziehen sich auf Rumänien und zwar: Die Revolution in Ungarn 1956 – Reaktionen und Konsequenzen in Rumänien (Gyula Dávid), Der Temeswarer Studentenaufstand im internationalen Kontext des Jahres 1956 (Ioana Florea), Die deutsche Minderheit in Rumänien 1953-1959 (Hannelore Baier), Die soziale Lage von Deutschen und Roma in Nordsiebenbürgen in den ersten Nachkriegsjahren (Joachim Krauß), Der Schwarze-Kirche-Prozeß in Kronstadt (Corneliu Pintilescu), Aus der Vorgeschichte des Prozesses gegen fünf rumänische Schriftsteller in Kronstadt 1959 (Joachim Wittstock), In den Fängen der Geheimdienste. Ein Beitrag zur Biographie des Historikers Carl Göllner (Stefan Sienerth).

Wir gehen im Folgenden nur auf die Beiträge über Rumänien ein, was verständlicherweise nicht ausführlich geschehen kann. Vorweggenommen sei, dass es sich um wertvolle Information zur politischen und kulturellen Lage der Rumäniendeutschen in den 1950er Jahren handelt.

Nach den Jahren der Verfolgung, Deportation und Repressionen gegen die Rumäniendeutschen in den Jahren nach dem 23. August 1944 folgte mit der Gründung des Deutschen Antifaschistischen Komitees (1949) eine gewisse Entspannung, wie Hannelore Baier in ihrem Beitrag zeigt. Dessen größtes Verdienst war das „Bemühen um die Ausweitung der kulturellen Rechte, die 1944 weitgehend aberkannt worden waren“, vor allem zur Pflege der Mutersprache. Ebenso setzte sich das Antifa für die Rückgabe der 1945 den Deutschen enteigneten Häuser sowie für die Entlassung der in den Bărăgan verschleppten Banater Schwaben ein. Die so genannte liberale Tauwetterperiode bewirkte desgleichen eine gewisse Belebung des deutschen Kulturlebens innerhalb der Schranken des sozialistischen Systems. Nach einem 1956 dem Zentralkomitee der Rumänischen Kommunistischen Partei vorgelegten Bericht über die Situation der deutschen Bevölkerung gab es in Rumänien in jenem Jahr 320 Schulen mit deutscher Unterrichtssprache, in Temeswar eine deutsche Abteilung des Staatstheaters, in Hunderten von Kulturheimen deutsche Kulturtätigkeit, und in den Jahren von 1949 bis 1955 sollen 1176 Buchtitel in deutscher Sprache erschienen sein. Dem sei noch hinzugefügt, dass drei deutsche Zeitungen und drei Zeitschriften erschienen. Diese „Tauwetterperiode“ war jedoch nicht von langer Dauer.

Der ungarische Aufstand von 1956 löste auch in Rumänien Reaktionen aus, die alle Ethnien, vor allem die ungarische Minderheit erfassten. Konkret wird in diesem Band der Studentenaufstand von Temeswar untersucht. Im Zuge der nun folgenden neostalinistischen Terrorpolitik wurde in der rumänischen Gesellschaft eine Atmosphäre der allgemeinen Einschüchterung etabliert, wobei die Securitate, um zuschlagen zu können, sich gewisse Personen und Kreise aussuchte, die sie der Staatsfeindlichkeit beschuldigte und gegen die sie politische Prozesse inszenierte. Dadurch sollte regimefeindlichen Bewegungen vorgebeugt werden.

Die Bemühungen der Rumäniendeutschen um Belebung des deutschen identitätsstärkenden Gemeinschafts- und Kulturlebens missfielen der Partei- und Staatsführung, und sie wurden als separatistische, nationalistische, staatsfeindliche Aktionen eingestuft. Es setzten nun gegen die Sachsen und Banater Schwaben nationalistische Einschränkungsmaßnahmen im Kirchen-, Kultur- und Gesellschaftsleben ein, gefolgt von politischen Einschüchterungsprozessen gegen in diesem Bereich engagierte Personen und Kreise; das waren vor allem Pfarrer, Schriftsteller, Lehrer, Jugendliche u.a. Von den gegen Deutsche inszenierten Prozessen werden in diesem Band zwei exemplarisch untersucht: der so genannte Schriftstellerprozess, in dem Hans Bergel, Wolf von Aichelburg, Georg Scherg, Andreas Birkner und Harald Sigmund staatsfeindlicher Aktivitäten beschuldigt und zu hohen Kerkerstrafen verurteilt wurden; der so genannte Schwarze-Kirche-Prozess, in dem der Kronstädter Stadtpfarrer Konrad Möckel und eine Gruppe Jugendlicher ebenfalls auf Grund ihnen unter­stellter regimefeindlicher und nationalistischer Tätigkeiten mit hohen Strafen belegt wurden.

Interessant ist sodann der Beitrag über die Geheimdiensttätigkeit des Historikers Carl Göllner. Wer Göllner in Rumänien gekannt hat, ist bestürzt über dessen nun auf Grund von zugänglich gewordenen Securitate-Akten publik gemachte Vereinnahmung und Verstrickung als Agent der Securitate. Es ist ein abenteuerliches Leben, das sich einem da auftut, da Göllner nicht nur im Inland unter dem Decknamen „Florescu“ gegen deutsche Angehörige konspirierte, sondern auch für ausländische Spionagetätigkeit vorbereitet wurde, um in Westdeutschland und in Österreich gegen rumänische und sächsische Emigranten eingesetzt zu werden. Dass er und seine Familie streng beschattet wurden, enthüllt die vom rumänischen Geheimdienst praktizierten Überwachungsmethoden.

Michael Kroner




„Zwischen Tauwettersozialismus und Neostalinismus. Deutsche und andere nationale Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1953-1964“, herausgegeben von Rudolf Gräf und Gerald Volkmer, IKGS Verlag, München 2011, 251 Seiten, 19,50 Euro, zu bestellen beim IKGS, Halskestraße 15, 81379 München.

Schlagwörter: Rumäniendeutsche, Tagung

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