21. Oktober 2012

Von Abtsdorf nach Moskau

Im Oktober 2008 erreichte eine Bitte des damaligen Erzbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland und anderen postsowjetischen Staaten (ELKRAS), Dr. Edmund Ratz, die Kirchenleitung unserer Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR). Gegenstand dieser Bitte war die Schenkung eines Taufbeckens an die evangelische St.-Peter-und-Paul-Gemeinde in Moskau. Das Landeskonsistorium wählte das Taufbecken der Kirchengemeinde Abtsdorf bei Agnetheln als würdiges Geschenk.
Nach der Perestroika wurde in der ehemaligen Sowjetunion die Evangelische Kirche wieder ins Leben gerufen. Diese Kirche blickt auf eine lange Tradition zurück. Vor allem unter Katharina der Großen zog es viele deutsche Siedler ins Zarenreich, darunter zahlreiche Protestanten aus Preußen und Süddeutschland. Privilegien und Grundbesitz waren die Hauptmotivation. So kam es, dass unter den Zaren auch der Protestantismus neben der großen orthodoxen Mehrheitsbevölkerung einen festen Stand in der russischen Gesellschaft fand. Diesem setzten der Stalinismus und die nachfolgenden kommunistischen Jahre ein Ende. Gemeinden wurden zerschlagen, die Kirchengemeinden vollkommen enteignet, ihre Menschen verschleppt, entweder in die sibirischen Arbeitslager bis zum Polarkreis oder in die zentralasiatischen Steppen.

Nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und dem Zerfall der Sowjetunion war ein Wiederaufbäumen wieder möglich. Dieser Neuanfang sollte aber kein einfacher sein. Als erstes galt es die noch bestehenden Sakralbauten zurückzugewinnen. So geschah es auch in Moskau. Die St.-Peter-und-Paul-Kirche hat die kommunistische Zeit überdauert. Zu sowjetischen Zeiten diente die Kirche als Diafilmstudio. Besitzer der Kirchengebäude ist im heutigen Russland immer noch der Staat, Nutznießer aber die verschiedenen Kulte, die sich zeitgerecht nach der Wende eintragen konnten. Es hat seine Zeit gebraucht und einiges an finanziellem Aufwand, die St.-Peter-und-Paul-Kirche wieder ihrem ursprünglichen Zweck zu widmen. Der Sakralbau wurde gründlich saniert und konnte dann am 1. Advent 2008 wieder eingeweiht werden. Nur fehlte es an kirchlichen Ausrüstungsgegenständen. So erging nun obiger Hilferuf an unsere Landeskirche. Das Taufbecken sollte nicht nur einen geschenkten Gegenstand unsererseits darstellen, sondern es sollte auch symbolisch dastehen als Bindeglied zwischen den beiden Schwesterkirchen. Als Kirchen in der osteuropäischen Diaspora hat man so manches gemeinsam: die politische Vergangenheit oder die Abwanderung zahlreicher Kirchenkinder in den Westen. Beide Kirchen teilen ein gemeinsames Ziel: Zukunft. Was weist mehr in die Zukunft als ein Taufbecken, wo junge Menschen in die Hände Gottes gelegt werden und in den Schoß der Gemeinde?
Bischof Dietrich Brauer weihte zu Erntedank das ...
Bischof Dietrich Brauer weihte zu Erntedank das Abtsdorfer Taufbecken in der Moskauer Evangelischen Kirche. Foto: Kirchengemeinde Moskau
Nach einigen Beratungsgesprächen im Landeskonsistorium erwies sich das Taufbecken der Kirchengemeinde Abtsdorf bei Agnetheln als würdiges Geschenk an die Gemeinde in Moskau. Es stammt aus dem Jahr 1856 und ist in spätbarockem Stil aus Holz geschnitzt. In Abtsdorf wurde schon seit mehr als einem Jahrzehnt kein Gottesdienst mehr gehalten. Die wichtigen kultischen Gegenstände wurden geborgen und im Zentralarchiv der Landeskirche aufbewahrt.

Die Ausfuhr des Taufbeckens nach Russland erwies sich als ein sehr schwieriges Unterfangen. Es galt Genehmigungen einzuholen von den verschiedenen staatlichen Behörden. Archivar Hans Jürgen Binder übernahm diesen Auftrag. Es sollte viel Zeit, Kraft und Ausdauer in Anspruch nehmen, um bei den Behörden letztendlich die nötigen Dokumente in Händen zu halten. Dieser Prozess hat aber seine Zeit gebraucht. So fanden sich Vorboten für das Taufbecken: Im September 2009 machte sich eine Gruppe junger Erwachsener auf den Weg in den Osten unter der Leitung von Pfarrer Dr. Stefan Cosoroabă und Pfarrer Uwe Seidner und besuchten u.a. Erzbischof Dr. Edmund Ratz in Sankt Petersburg und die evangelische Kirchengemeinde in Moskau. Im Mai 2011 waren Vertreter der Kirchengemeinden Wolkendorf, Neustadt und Weidenbach zu Gast bei den Glaubensgeschwistern im Osten. Anlässlich dieses Besuches wurde in Moskau nochmals der Wunsch nach dem Taufbecken von dem neugewählten Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche im europäischen Russland (ELKER), Dietrich Brauer, bekräftigt.

Am 17. September dieses Jahres sollte es soweit sein. Mit allen Genehmigungen in der Hand sollte das historische Taufbecken nach Moskau überführt werden. Als Transportmittel wurde ein Cargo Flugzeug der russischen Fluggesellschaft Aeroflot gewählt. Eine dreiköpfige Abordnung unserer Landeskirche machte sich auf den Weg. An Bord waren Prof. Dr. Hermann Pitters, Pfarrer Uwe Seidner und Archivar Hans Jürgen Binder. In Moskau angekommen, stellten sich neue Schwierigkeiten in den Weg: der russische Zoll. So musste das Taufbecken also noch eine Weile in Gewahrsam bleiben, bis es sein Ziel erreichen sollte. Neben den Formalitäten, die noch erledigt werden mussten, blieb noch Zeit, um Gemeinde und Stadt kennenzulernen. Man traf Bischof Dietrich Brauer, den ehrenamtlichen Rechtsanwalt der ELKER Hans Schwahn, die stellvertretende Pröbstin Elena Bondarenko, Pastor Andrej Bobyljow und eine Vertreterin des Gemeindekirchenrates. Dabei war viel zu erfahren über die Gesamtlage der Evangelischen Kirche im Europäischen Russland, über die Bedürfnisse der Gemeinden und ihrer Glieder, aber auch über die Aktivitäten der Kirchengemeinde St-Peter-und-Paul. Auch wurde der Wunsch auf Partnerschaften geäußert. Es gibt heute noch viele Kirchengemeinden, die keine Partnergemeinde haben. Das kirchliche Leben in Moskau ist sehr lebendig und auch bunt gefächert. Es gibt Kinder- und ­Jugendarbeit. Es gibt Bibelstunden und einen wöchentlichen Abendgottesdienst jeden Donnerstagabend. Es werden Familienfreizeiten organisiert. Regelmäßig finden sehr gut besuchte Orgelkonzerte an der Sauerorgel statt. Zu anderen Konfessionen gibt es ebenso gute ökumenische Beziehungen. Die Kirche selber darf auch von Anderskonfessionellen genutzt werden. Beliebt ist die Kirche auch bei Trauungen, sie kann für diesen besonderen Anlass gemietet werden.

Am 17. Sonntag nach Trinitatis überbrachte die Abordnung im Gottesdienst ein Grußwort seitens unserer Landeskirche. Das Taufbecken konnte dabei noch nicht aushändigt werden. Es lag noch beim russischen Zoll. Endlich konnte es zum Erntedankfest am 7. Oktober im Gottesdienst in der Moskauer St.-Peter-und-Paul-Kirche vorgestellt und eingeweiht werden. Das Abtsdorfer Taufbecken hat sein Ziel in Moskau erreicht.

Uwe Seidner

Schlagwörter: Kirche und Heimat, Abtsdorf

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