4. November 2012

„Nichtalltägliches aus neuneinhalb Jahrzehnten“ von Adolf Hartmut Gärtner

Zum druckfrischen Buch „Nichtalltägliches aus neuneinhalb Jahrzehnten“ von Adolf Hartmut Gärtner, erschienen als Privatdruck im Oktober 2012 in München. Das Buch ist in 18 Kapitel gegliedert und in rötlichen Karton gebunden. Es stellt die Fortsetzung des im Jahre 2008 gedruckten Buches „Nichtalltägliches aus neun Jahrzehnten“ dar, das in bläulichen Karton gebunden war. Blau und rot, die Farben der Fahne der Siebenbürger Sachsen, mit Bedacht so gestaltet, dass man sofort weiß, zu wes Geistes Kind Adolf Hartmut Gärtner sich zählt.
Was hat Gärtner veranlasst, seinen Dirigentenstab, der nicht bloß Sakralmusik zu neuem Klang verholfen hatte, niederzulegen und dafür den Schreibstift in die Hand zu nehmen? Wenn schon, denn schon! Nichtalltägliches im Sinne von Außergewöhnlichem, um nicht zu sagen Sensationellem sollte jetzt aus dem Gedächtnis, wo es jahrzehntelang gespeichert auf die richtige Chance gewartet hatte, hervorgeholt werden. Am besten gelingt es dem Autor dort, wo zwischen den Zeilen eines stets sachlichen Stils und sachlicher Wortwahl humoristische Züge wie Quecksilber durchschimmern. Da muss man nolens volens mindestens schmunzeln. Dem Grotesken wird das Gruseln entfremdet. Der Wespenstachel satirischer Ironie verletzt nicht, denn der Autor ist zu liebenswürdig, er will niemanden kränken.

Das Erstaunliche wohnt dem Ereignis selber inne, über das Adolf Hartmut Gärtner berichtet. Da muss die Sprache gar nicht zugespitzt werden, um es durch Verschärfung kräftiger hinzukriegen. Nein, es wirkt in seiner Schlichtheit am kräftigsten. Genau wie der Autor in seiner unnachahmlichen Bescheidenheit und Zurückhaltung am lautesten wirkt, am echtesten positive Eindrücke hinterlässt.

Adolf Hartmut Gärtner, 2012. Foto: Heide Weber ...
Adolf Hartmut Gärtner, 2012. Foto: Heide Weber
Gärtner hat freilich in einem bald einhundert Jahre langen Leben gelernt, sich zumindest so weit an die umgebende Umwelt anzupassen, dass ein zivilisiertes, d. h. friedliches Leben möglich ist. Möglich ist es allerdings nicht, wo Gauner die Gutmütigkeit ihrer Mitmenschen ausnützen, um sich persönlich auf Kosten anderer auf die Sprünge zu helfen. Da kann dann Gutmütigkeit mit Recht in Empörung umschlagen.

Und da sind einige Aspekte kultur- und zeitgeschichtlicher Tatsachen, die sich inzwischen geändert haben (Cicero: „O tempora, o mores“, oder wie ein Sprichwort nach Simrock sagt: „Wie der Zeiger geht, so geht auch das Regiment.“). Ja, früher wurde in den Schulen hin und wieder geschlagen. Die älteren Semester der Leserschaft haben für den Ulk, den sie sich leisteten, auch Prügel schlucken müssen („Allotria“). In dem Bericht „Hamster vom Erdinger Moos“ steckt nicht nur Galgenhumor (drei Mal Schmalznudeln!), sondern auch der Keim für ein tragikomisches Drama oder einen neo-realistischen Film, der alles und alle aufrütteln könnte. Das stark balkanisierte Soldatendasein zwischen den zwei Weltkriegen in Rumänien bietet reichlich Stoff für Satiren („Es ist so schön Soldat zu sein“).

Musikerlebnisse können eine Ausstrahlung und treibende Kraft entfalten, die denen, die davon betroffen sind, für immer unvergesslich bleiben. Die Komponisten oder Dirigenten, die solche Hochgefühle zu erzeugen vermochten, hatten Namen wie Paul Richter, Paul Hindemith, Hermann Diener, Hugo Distler, Fritz Rieger. Obwohl im Buch nicht erwähnt, kannte der Kirchenmusikdirektor Adolf H. Gärtner den als Kapellmeister der Landeshauptstadt München wirkenden bedeutenden Dirigenten Robert Heger. Aus dessen Oratorium „Ein Friedenslied“ studierte Herr Gärtner einige Chorstücke mit dem Jugendchor seines Theresien-Gymnasiums ein und brachte sie zur Aufführung. Jener Jugendchor war es auch, der mit Carl Orffs „Carmina Burana“ die Erstaufführung in Frankreich (Bordeaux) verwirklichte. Übrigens: In Herrn Gärtners Kirchenchor an der Paul-Gerhardt-Kirche war durch die Jahre ein kräftiger Prozentsatz weiblicher und männlicher Mitglieder aus Siebenbürgen stammender Sängerinnen und Sänger tonangebend.

Nostalgie beschleicht die Lesenden, sobald sie auf Reproduktionen von Fotos stoßen, die das alte Kronstadt bildlich vor ihre Augen stellen. Frühere subjektive Erlebnisse, die sich an solche Bilder binden, beweisen einmal mehr, dass alles noch lebt, solange es sich aus der Erinnerung abrufen lässt. Aber während ein Computer objektive Daten auf den Bildschirm bringt, kann das menschliche Hirn nur über subjektive Leitungen Emotionen erzeugen.

Gärtner ist der Träger von in neuneinhalb Jahrzehnten gehorteten Informationen, aus deren Menge er eine übersichtliche Auswahl getroffen hat. Diese Auswahl ist wohlüberlegt und darf nicht beliebig abgeändert werden. Der Autor fühlt sich als freiwilliger Berichterstatter, ohne dabei absichtlich in erweiterte kultur- und zeitgeschichtliche Zusammenhänge eindringen zu wollen. Und wie so manchmal im Leben geschieht nun, gleichsam einer Schicksalsfügung gemäß, genau das Nichtbeabsichtigte, und es wird sogar lebensbestimmend.

Die Begegnungen mit weltberühmten Männern, in deren Dunstkreis Gärtner sich zeitweilig bewegt, werfen schlaglichtartig auch auf ihn eine Glorie, die er sich als Meisterdirigent berühmtester Kirchenmusik erarbeitet und verdient hat. Zu diesen Größen an Gärtners ebenbürtiger Seite gehören u.a. sein Onkel Hermann Oberth, dessen Schüler Wernher von Braun, der Komponist der „Carmina Burana“, Carl Orff, und die Dichterin Luise Rinser. Selbstverständlich waren ihm alle Musikschaffenden in München bekannt und er wähnte sich von ihnen geschätzt und geehrt. Da denkt man beispielsweise an Karl Richter, Hans R. Zöbeley.

Gärtners Erinnerungsstücke werden von ihm sachlich berichtet. Er ist nicht bloß Augenzeuge unterschiedlichster Begebenheiten und Zustände, er ist auch ein Ohrenzeuge seiner Zeit, muss leider oft auch das hören, was er gerade nicht hören will, findet dann jedoch mit der Musik von Bach, Beethoven, Brahms, Orff, Mozart, Schubert u.a. immer wieder zum eigenen Gleichgewicht und Wertbewusstsein zurück.

Übrigens: Wer einen Jugendchor leitet, muss pädagogisches Geschick ausstrahlen, sonst verläuft sich alles bereits bei den Proben lustlos im Sand und erfolgreiche öffentliche Auftritten bleiben aus. Wer einen großen mehrstimmigen Kirchenchor dirigiert, dazu ein Orchester und so nebenbei noch die Aufsicht über die Organisation einer gelungenen Aufführung in den Raum stellt, der beweist, will sagen hat oftmals bewiesen, welche organisatorischen und koordinierenden Fähigkeiten sich in ihm aufgebaut haben, so dass der Dirigentenstab als Instrument höchster Konzentration geschwungen wird. Das geschieht mal sanft, mal heftig und erzeugt mit sofortiger Wirkung unmittelbare Stimmungen. Und dabei steht der Dirigent trotzdem über dem gehorchenden Klangkörper. Der brausende Applaus, der ja vor allem dem Dirigenten gilt, wird von ihm weitergegeben an die Solisten, den Chor und das bewährte Orchester.

Vielleicht wird das, was Gärtner so unaufdringlich zu berichten weiß, einst einer Nachwelt kulturgeschichtlich sehr viel bedeuten. Seine autobiografischen Erinnerungen beleben die siebenbürgische und europäische Kulturlandschaft. Der „Alte Knabe“ Gärtner hat uns mit seinem Buch angenehm überrascht. Und das Goethezitat lässt sich hier trefflich als Schlusswort anwenden: „Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.“

Harald Siegmund



Adolf Hartmut Gärtner: „Nichtalltägliches aus neuneinhalb Jahrzehnten“, 140 Seiten mit 40 Abbildungen, zu bestellen zum Preis von 15 Euro, zuzüglich 2 Euro Versand, bei Susanne Staffler, Junkerstraße 103, 80689 München, E-Mail: susanne.staffler[ät]web.de.

Schlagwörter: Musiker, Buch

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