6. Dezember 2012

Zeitzeugen berichten: "Das war einmal meine Heimat …"

Wilhelm Ernst Roth (Hrsg.): „Die Deutschen aus Rumänien. Zeitzeugenberichte“, Band 5, Augsburg: Selbstverlag 2012, 224 Seiten, zu beziehen für 15 Euro, zuzüglich Versand, bei Wilhelm Ernst Roth, Wilhelm-Hauff-Straße 33, 86161 Augsburg, Telefon: (0821) 565506, E-Mail: wilhelm.roth [ät] gmx.de.
Mit dem vorliegenden Buch liegt der fünfte und nach Bekunden des Herausgebers Wilhelm Ernst Roth zugleich abschließende Band einer Reihe von Zeitzeugenberichten, die insgesamt rund 1500 Seiten umfassen, vor. Neben vielen anderen verdienstvollen kulturellen und landsmannschaftlichen Aktivitäten des Herausgebers in den zurückliegenden Jahrzehnten werden in diesen Beiträgen zumeist persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, aber auch Geschichten und Reflexionen von Menschen festgehalten, die vom Leben, von der Kultur, vom Alltag und vom Leiden der Deutschen aus Rumänien sprechen. Dabei wird Wichtiges authentisch festgehalten, das in der persönlichen Erinnerung und mithin auch im kollektiven Gedächtnis allmählich zu verblassen und letztlich vielleicht auch verloren zu gehen droht. In dieser vor dem Vergessen bewahrenden Leistung liegt das Hauptverdienst der gesamten Buchreihe wie auch des abschließenden, kürzlich fertiggestellten fünften Bandes, auf den das Hauptaugenmerk gerichtet werden soll.

Der Band versammelt insgesamt 19 kürzere oder längere Beiträge, unter denen es sich nicht ausschließlich, aber doch in den meisten Fällen, um Zeitzeugenberichte im eigentlichen Sinne handelt. Auch sind nicht alle von Deutschen aus Rumänien verfasst. So geht der erste Text von Dr. Ralf Meindel (geb. 1971 in Speyer) auf einen kürzlich in Bad Kissingen gehaltenen Vortrag zum „Umgang mit dem Phänomen Zeitzeuge“ zurück. Darin finden sich kompetente Überlegungen zur Relevanz, zur Aussagekraft wie auch zu den Grenzen und Fallstricken von Zeitzeugenberichten entwickelt, wobei u.a. festgehalten wird, dass erst mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts „die einfachen Menschen langsam in den Fokus der Wissenschaft“ rückten und allmählich bewusst wurde, „dass auch das Leben der einfachen Menschen Geschichte ist.“ Beim vorletzten Beitrag des Bandes von Dietrich Weber (geb. 1937 in Schirkanyen) wiederum handelt es sich um ein aus acht Strophen in Reim und Rhythmus verfasstes Gedicht mit dem vertrauten nostalgischen Titel „Wo meine Wiege stand“.

Der Herausgeber selbst steuert dem Band einen kurzen einleitenden Beitrag zu einer Broschüre zur „Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen“ sowie einen abschließenden Beitrag zur „Erstellung von Zeitzeugnissen“, also gleichsam zu seinen Anliegen und seiner gemeinsam mit seiner Frau Marianne getätigten Arbeit bei. Von Dr. Wilhelm Bruckner (geb. 1921 in Hermannstadt) wurde ein sachkundiger, stellenweise auch etwas pathetischer Überblick zur Geschichte der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in den Band aufgenommen. Ebenfalls abgedruckt wurde eine 2005 gehaltene „Gedenkrede“ am Mahnmal der Siebenbürger Sachsen von Helmut Beer. Etwas aus dem Rahmen fällt der Beitrag von Dr. Helmut Protze (geb. 1927 bei Bad Schandau), der aus der Sicht eines in der DDR tätigen Geisteswissenschaftlers Erinnerungen an seine wiederholten Aufenthalte in Rumänien seit 1956 vorstellt, wobei u.a. auch seine Begegnungen mit dem kürzlich von Dr. Stefan Sienerth als einschlägiger Spitzel der Securitate demaskierten Historiker Carl Göllner Erwähnung finden. Zum Wirken der Stasi in Siebenbürgen schreibt der bekannte Fachmann auf diesem Gebiet, Dr. Georg Herbstritt (geb. 1965 in Schluchsee/Schwarzwald), wie immer quellenmäßig akribisch belegt und sachlich kompetent.

Der autobiographisch angelegte „Nachlass“ von Johann Theil (geb. 1911 in Schönau, gest. 1991) geht auf Erlebnisse und Erfahrungen der Kriegsbeteiligung als rumänischer Soldat und SS-Angehöriger, als Kriegsgefangener in Jugoslawien sowie als Häftling bei der Heimkehr nach Rumänien ein. In den weiteren, zum Teil recht lebendig und anschaulich geschriebenen Zeitzeugenberichten im engeren Sinne geht es bei Sara Kirschner, geb. Miess (1922 in Schönau) um die Russlanddeportation zusammen mit ihrer Schwester und die schwierige Zeit danach, in dem kurzen Beitrag von John Zakel (geb. 1926 in Großalisch) ebenfalls um die Verschleppung nach Russland und die spätere Auswanderung nach Kanada. Mary Paul, geb. Grum (1931 in Deutsch-Zepling), die es auch nach Kanada verschlug, berichtet gerafft von ihrer Kindheit, von Krieg und Flucht und ihrer späteren transatlantischen Umsiedlung. In den ausholenden Ausführungen von Horst Bonfert (geb. 1932 in Kronstadt) werden die Flucht als Kind vor der voranrückenden Front, die Ankunft in Deutschland, die Besatzungszeit und die Rückkehr nach Rumänien geschildert.

Winfried Bretz (geb. 1936 in Mühlbach) erinnert an die vielfältigen Erpressungen und Schikanen, die mit seiner Ausreise aus Rumänien verbunden und als solche keineswegs untypisch waren. Der aus Tschakowa stammende Wilhelm Josef Merschdorf (geb. 1925) spannt – unter Nutzung verschiedener Quellen – den Bogen von der Deportation in den Bărăgan bis zu der Ausreise aus der Ceaușescu-Diktatur und der Eingliederung in Deutschland. Von Zwangsevakuierungen, Enteignungen und anderen Diskriminierungen und Repressionen gegenüber den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg berichtet der 1937 in Kronstadt geborene Christof Hannak am Beispiel der eigenen Familie und anderer. Von der lebhaften Kindheit und dem alltäglichen Leben in Steierdorf, im Banater Bergland, aber auch vom Vater beim rumänischen Militär im Krieg, von der Verbringung nach Schlesien und Österreich, von der Rückkehr in das Heimatdorf 1945, dem von Arbeit und Not geprägten Alltag im Dorf, insbesondere in den schweren Nachkriegszeiten, erzählt Raimund Mastyuk (geb. 1933) anschaulich. Der Beitrag von Michael Orend (geb. 1928 in Deutsch-Weißkirch) vermittelt nicht nur einen biographischen Abriss, in dem die Russlandverschleppung, Rückkehr, Repressionen, spätere Fluchtversuche und die Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland dargestellt werden, sondern er geht auch auf die bis heute unbefriedigend geklärten Fragen der Bodenrestitution in Rumänien ein. Zwar nur auf einer Seite, dafür aber sehr aufschlussreich zeigt Konrad Lehrer (geb. 1942 in Mediasch), wie heimtückisch und menschenverachtend die Securitate in den frühen 1970er Jahren vorgegangen ist.

Wenn der Herausgeber am Anfang seiner „Zeitzeugenberichte“ die programmatische Vorstellung entwickelte, mit diesen gleichsam unmittelbare, von der „Geschichtsdeutung“ noch unverstellte Einblicke in die Geschichte aus dem alltäglichen, lebensweltlichen Blickwinkel der Menschen zu ermöglichen, so bedeutet dies weder, dass solche Berichte die professionelle Geschichtsschreibung ersetzen können, noch, dass sie nicht auch als Ausgangsmaterial von dieser und von anderen Wissenschaften genutzt werden könnten. Dabei dokumentieren diese Zeitzeugenberichte – und darin besteht ein erheblicher Teil ihrer Authentizität – natürlich auch spezifische, von subjektiven Erfahrungen wie auch von kollektiven Verarbeitungsprozessen, Deutungsmustern und Wertungen geprägte Blicke und Einblicke in das Zeitgeschehen. Auch und nicht zuletzt in diesem Sinne ist der 5. Band wie die gesamte Reihe gehaltvoll und nützlich.

Dr. Anton Sterbling

Schlagwörter: Rezension, Zeitzeugenberichte

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