27. Januar 2013

„Wir wissen, was du vergessen hast“

Ossis Stein von Frieder Schuller wurde am 7. November in der Deutschen Abteilung am Nationaltheater Radu Stanca in Hermannstadt uraufgeführt. Unter der Regie von Daniel Plier entstand ein Stück über Zwang und Freiheit, über Kunst und letztendlich über die Verantwortung des Einzelnen während des rumänischen Kommunismus sowie dessen Bewertung in der heutigen Zeit. Im Zentrum des Theaterstücks steht der junge „Rundfunkreporter Ossi“, der deutlich sichtbare Analogien zu dem in Hermannstadt geborenen und 2006 in Berlin verstorbenen Oskar Pastior trägt.
Posthum erst wurde bekannt, dass Oskar Pastior vor seiner Ausreise nach Deutschland eine Verpflichtungserklärung der Securitate unterschrieben hatte. Von nun an war er auch Otto Stein. Was man hingegen wusste, war, dass Pastior Parteigedichte geschrieben hatte und als Rundfunkreporter mit einem Tonbandgerät durchs Land gefahren war. Zur damaligen Zeit eine Waffe, mit der man Menschen belasten konnte, so die These Frieder Schullers.

Ossis Stein stellt einen bedeutungsschweren Konflikt der Hauptfigur in den Mittelpunkt: Wie weit kann ich auf die Forderungen meines Umfelds eingehen, ohne mich selbst zu verlieren, und wie weit muss ich mich selbst aufgeben, um überleben zu können. Das Stück fordert aber den Zuschauer auch in Brecht‘scher Manier auf, sich selbst ein Bild zu machen. Immer wieder wird der Fluss der Handlung unterbrochen, das Publikum wird gezwungen, neue Perspektiven einzunehmen.

Auf der Bühne steht ein verlorener, ein zerrissener Ossi, facettenreich gespielt von Wolfgang Kandler. „Die Bluthunde hetzen durch mein totes Leben“, wendet er sich an die einzige weibliche Figur des Stückes. Es handelt sich um Silvia, das „Flittchen Poesie“. In eineinhalb Stunden wird von den Schauspielern gezeigt, wie es dazu kommen kann, dass ein junger ambitionierter und talentierter Dichter für einen kommunistischen Staat, dessen Ideologie er nicht vertritt, arbeitet, warum Gedichte von ihm auf der „ersten Seite des Neuen Weg“ erscheinen, obwohl der Kulturteil doch erst auf der vierten Seite beginnt. Es werden keine Antworten gegeben, vielmehr wird dargestellt, dass Entscheidungen Konsequenzen haben, an denen die Entscheidungsträger zu zerbrechen drohen.

Der Lyriker Ossi ist homosexuell – was im damaligen Rumänien unter Strafe stand – und balanciert deshalb ständig auf der persönlichen und gesellschaftlichen Abbruchkante. Als Angehöriger der deutschen Minderheit war er, blutjung, in ein Arbeitslager der Sowjetunion deportiert worden.
Szenenbild aus der Hermannstädter Inszenierung ...
Szenenbild aus der Hermannstädter Inszenierung Ossis Stein: vorne Wolfgang Kandler als „Rundfunkreporter Ossi“, der, inzwischen deportiert, eine Kohleschaufel hält, im Hintergrund Daniel Bucher als „Handlanger Paul“. Foto: Hannes Schuller
Lieder und Gedichte halfen ihm, diese Zeit zu überleben, doch ein Glauben an das Regime konnte nicht entstehen: „Es reimte sich auf roter Stern immer noch am besten tot und fern“, fasst Ossi seine Erfahrungen zusammen. Zurückgekehrt in seine siebenbürgische Heimat findet er ein „Leben in der Welt des Gestern“ vor. Man lobt die untergegangene Zeit und wartet auf den Pass nach Deutschland. Ossi geht nach Bukarest, um dort Rundfunkreporter zu werden, immer auf den Fersen sind ihm Genosse Dan und Handlanger Paul (überzeugend gespielt von Daniel Plier und Daniel Bucher). Konspirative Gedichte hätte er früher geschrieben, in „Faschistendeutsch“ verfasst. Dafür solle es ihm nun an den Kragen gehen, es sei denn, er würde kooperieren. Ossi wehrt sich, ein Kampf, den Wolfgang Kandler sichtbar und fühlbar macht. Man kann die tiefe Zerrissenheit nachempfinden, wenn Ossi eingeklemmt zwischen Genossen und Handlanger über die Bühne schlittert. Silvia ist es, die verzweifelt versucht, Ossi davon abzuhalten, sich an der Sprache zu vergehen, ihn auffordert, stark zu sein. „Geh nicht mit!“, fleht sie ihn an. Doch Ossi ist nicht stark. Immer tiefer gerät er in den Strudel des Systems. „Wir wissen, was du vergessen hast“, sagt Genosse Dan und verkleinert den Handlungsspielraum des Dichters immer mehr. Ossi trudelt, schlittert und dreht sich im Kreis. Auf der Bühne dreht sich die Ausstattung auf Rädern und ein Kinderkarussell erscheint immer bedrohlicher.

Zu Franz Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ tanzt Genosse Dan einen Tango mit Ossi. Dieser Tanz mündet in den Höhepunkt des Stücks: das Unterschreiben einer Verpflichtungserklärung. Ein neuer Name wird Ossi gegeben. Unaufhaltsam strebt er nun auf die Katastrophe zu. Kandler überzeugt in seiner Interpretation des jungen Dichters. Dessen Heimatlosigkeit wird dabei genauso deutlich wie die Suche nach der richtigen Seite, auf der er stehen möchte. Und immer wieder sind da Zweifel, Zweifel an sich und seinen Möglichkeiten, an der Sprache und an dem von ihm eingeschlagenen Weg, auf dem er keine Abzweigung findet. Natalie Sigg spielt das Flittchen Poesie mit einer Leichtigkeit, die einen Gegenpol zu Genossen und Handlanger bildet.

Eine der ungewöhnlichsten Figuren des Stücks ist Nicu, der politische Witz, der die Handlung mehrmals unterbricht. Ali Deac spielt diese Rolle des Kommentators so verschmitzt, dass dem Zuschauer erst nach einem herzhaften Lachen die tatsächliche Tragweite des erzählten Witzes bewusst wird und dieses ihm im Halse stecken bleibt.
Plakat der Hermannstädter Inszenierung Ossis ...
Plakat der Hermannstädter Inszenierung Ossis Stein
Frieder Schuller hat mit seiner Vorlage eine einmalige Seelenstudie verfasst. Die große Leistung des Regisseurs Daniel Plier war es, diese für die Bühne umzusetzen. Als Schuller das Stück 2011 in der Humboldt-Universität zu Berlin erstmalig einem Publikum präsentierte, waren die Zuhörer skeptisch. Zu dicht schien es zu sein, zu sehr aufgeladen und mit zu vielen künstlerisch-literarischen Anspielungen. Schuller, ein begnadeter Lyriker, schien an der großen Form zu scheitern. Daniel Plier ist es in der Hermannstädter Inszenierung gelungen, den Text zu reduzieren, ohne ihm die Tiefe zu nehmen. Pliers Vorgehen und die Interpretation der Schauspieler sind erfolgreich, der Konflikt ist verständlicher, nachvollziehbarer geworden.

Auch das Bühnenbild von Hannes Schuller trägt zur gelungenen Aufführung bei. Wenn beispielsweise das Flittchen Poesie über eine Wippe, wie sie früher auf jedem Kinderspielplatz östlich des Eisernen Vorhangs zu finden war, balanciert, dann wird das drohende Fallen Ossis auf einer weiteren Ebene begreifbar. Die einzelnen Elemente des Bühnenbilds werden an dünnen Seilen herabgelassen, schwingen teilweise im Raum. Sie bewegen sich, kaum etwas kann Halt bieten.

Erwähnenswert ist das Programmheft in Gestalt eines Dossiers der Securitate. Gedichte von Frieder Schuller sind hier zu finden und seine Umdichtung der rumänischen Volksballade Miorița, die im Theaterstück rezitiert wird. Die Verpflichtungserklärung Oskar Pastiors ist ebenfalls als Kopie beigegeben, genauso wie zwei Texte des Lyrikers, in denen er die Errungenschaften des Sozialismus lobt und sich zur „Gerechtigkeit der sozialistischen Weltordnung und ihrer Idee“ bekennt. In einem Text klagt Frieder Schuller diejenigen an, die über Pastior urteilen, ohne ihn gekannt zu haben – Kunst und Realität überlagern sich. Schuller spricht in seinem Theaterstück ein Plädoyer gegen Verurteilungen und Angriffe und fordert auf, genauer hinzusehen. Sein Ossi ist ein Opfer, auch wenn er zum Täter geworden ist, Täter nicht nur darin, dass er die Verpflichtungserklärung unterschrieb, sondern auch Täter an der Sprache, an der Poesie.

Ossis Steinist in seiner hochaktuellen Thematik dem Publikum in Hermannstadt nahe gegangen. Auch Tage später, in Cafés und in der Bibliothek, auf der Straße und im Internet, dominierten das Stück und dessen Bezugnahme auf Verflechtungen der deutschen Minderheit in das kommunistische Regime Rumäniens die Diskussionen. Mehr kann ein Theaterstück nicht erreichen. Hoffen wir, dass es noch oft zu sehen sein wird. Der Autor Frieder Schuller hat gegenüber der Siebenbürgischen Zeitung Aufführungen in Deutschland angekündigt.

Michaela Nowotnick

Schlagwörter: Theater, Oskar Pastior, Hermannstadt

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