10. Februar 2013

Der Schauspieler Mathias Pelger

Langsam ebbte der Beifall ab und lächelnd kam der rumänische Schauspieler- und Theaterpapst Radu Beligan auf Mathias Pelger zu und gratulierte ihm für die einwandfreie Beherrschung seiner Rolle in dem Ein-Mann-Stück „Der Kontrabass“ von Patrick Süskind. Glückwünsche vom damaligen Generalintendanten des Nationaltheaters Bukarest kamen einem Ritterschlag gleich. Das geschah 1984 im Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest bzw. im Kulturhaus „Friedrich Schiller“.
Mit dem „Kontrabass“ in der Inszenierung des bundesdeutschen Gastregisseurs Alexander de Montleart am Deutschen Staatstheater Temeswar erntete der am 17. November 1945 in Wurmloch geborene Mathias Pelger Anerkennung und Bewunderung von allen Generationen. Bereits die erste gemeinsame Produktion Pelger/Montleart, nämlich „Bericht für eine Akademie“ von Franz Kafka, übertraf die Erwartungen mit über dreißig Aufführungen im Stammhaus und auf Ausfahrten. Auch der „Bericht“ war eine Ein-Mann-Inszenierung. Beide Stücke bestachen durch ihre bis ins Detail ausgefeilten Interpretationen. „Es kam zu einer Symbiose zwischen Schauspieler und Regisseur, es gab ein beiderseitiges totales Aufeinander-Eingehen“, schwärmte Pelger damals und erläuterte zugleich seine Vorliebe, zwei tragende Rollen parallel zu spielen, wie Theobald Maske in „Die Hose“ von Carl Sternheim und die des Affen in dem bereits erwähnten Kafka-Monolog. Erfolg und Anerkennung kamen nicht von ungefähr. Für Mathias Pelger waren die fünf großen W im Theater heilige Gebote: Wer, Was, Wie, Wo und Warum. „Das Warum ist am wichtigsten“, erklärte der Schauspieler und betonte kritisch: „Das Warum wurde bei uns oft umgangen. Du musst als Schauspieler eigentlich immer wissen, warum du was wo wie tust. Ansonsten bist du kein richtiger Schauspieler.“

Kein angepasster Zeitgenosse

Schon als Kind zeigte er eine Vorliebe für das Theater. Mit den Jahren faszinierte das Theater Mathias Pelger immer mehr, und wenn die Freunde ins Kino gingen, zog es ihn ins Schauspielhaus. Und dann kam eines Tages das unvergessliche Erlebnis: Seine Debütrolle war jene des Kapitäns im „Sturm“ von Shakespeare. Die kleine Rolle meisterte er wohl mit zitternden Knien, aber mit dem festen Entschluss, sich mit Leib und Seele dem Theater zu widmen. Sein Werden und Wirken war nun bestimmt. Ab 1972 spielte er auf der Bühne in Hermannstadt, wechselte dann 1975 zum Deutschen Staatstheater Temeswar, wo er bis zu seiner Ausreise 1987 wirkte. Zwischendurch absolvierte er eine Bühnenausbildung an der Schauspielschule in Rostock (1977-1980).
Mathias Pelger schminkt sich für den „Kontrabass“ ...
Mathias Pelger schminkt sich für den „Kontrabass“ in Temeswar, 1984.
Mathias Pelger war kein angepasster Zeitgenosse, selbst in den schwierigsten Jahren äußerte er sich in Rumänien kritisch über behördliche Versäumnisse und Zwangsauflagen im deutschen Kunstleben. Er sprach offen die Abschaffung der deutschen Schauspielklasse in Bukarest an und betonte, dass für die deutsche Bühne ein spezifisches Repertoire nötig sei. „Man müsste weitaus mehr deutsche Stücke spielen, weil uns solche sowohl von der Mentalität der Autoren beziehungsweise der Problematik her näher stehen und demzufolge eher mit Gewinn auf die Bühne gebracht werden können“, mahnte er in den kunstfeindlichen achtziger Jahren in einem Interview mit der „Neuen Banater Zeitung“. Zeugnisse seiner Zivilcourage ließen sich noch viele aufzählen. Selbst dem Studentenpublikum hielt er den Spiegel vor, weil es Unterhaltungsprogramme vorzog.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Mathias Pelger die Einpersonenstücke als sein erstrebenswertes Markenzeichen wertete und damit auch glänzte, so wie im bereits erwähnten „Kontrabass“ und im „Bericht“ oder gar im „Gesang unterm Galgen“, in dem der Schauspieler Gedichte von François Villon rezitierte und interpretierte und damit das Niveau des abendfüllenden Auftritts weit über klassisches Gedichte-Sprechen und Bänkelsängerei hob. Ihn als einsamen Einzelgänger in der Bühnenkunst abzustempeln, wäre billig und falsch. In vielen anderen Stücken bewies Pelger – insbesondere in seiner Temeswarer Zeit – seine vielseitigen Fähigkeiten, deren Fächer verblüffend von tragisch-dramatischen über humorvollen bis hin zu komisch-skurillen Interpretationen oder Personenverkörperungen reichte. In diesem Sinne seien etliche Rollen angeführt: der Mann („Der gute Mensch von Sezuan“ von Bert Brecht), Orest („Iphigenie auf Tauris“ von Goethe), Maxim („Nachtasyl“ von Maxim Gorki), Butler Rudolf („Fisch zu viert“ von Wolfgang Kohlhaase/Rita Zimmer) oder Theobald Maske („Die Hose“ von Carl Sternheim) sowie der Part des Dichters Rattengift in Dietrich Grabbes „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“.

Und noch viele andere Rollen sind als Wegmarken seiner schauspielerischen Laufbahn zu werten. So seien erwähnt: der Held Achilles oder der Engel Gabriel („Schöne Helena“ bzw. „Adam und Eva“, beide Stücke von Peter Hacks). Seine ausgefeilten Interpretationen wurden mit Beifall und Anerkennung bedacht auch in der damaligen DDR – Glanzpunkt war der Auftritt im Deutschen Theater Berlin – und dann ab 1987 in der Bundesrepublik mit Stationen in Marburg, Aalen, Neu-Ulm, Würzburg oder mit dem Ensemble des Schlosstheaters Ellwangen (hier z.B. als Oberon in Shakespeares „Sommernachtstraum“ oder als Faust in Goethes Weltklassiker).

Seine Traumrolle Peer Gynt im gleichnamigen Stück von Henrik Ibsen blieb Mathias Pelger verwehrt. Vielleicht ahnte er schon damals, dass auch er wie der alte und verarmte Peer Gynt nach seiner Heimkehr um seine Seele werde kämpfen müssen. Und ihn faszinierte Peer Gynts Erkenntnis, dass er wie eine Zwiebel mit vielen Hüllen ist, die jedoch ihren Wesenskern verborgen hält und ihn nicht (an)greifbar lässt – Tragik, wie sie nur ein wahrer Künstler erleben und ertragen kann. Vollblutakteure brennen und leiden für ihren Beruf; und sie bezahlen diese Vermischung von Kunst und Leben immer wieder teuer. Mathias Pelger ist so ein Beispiel: Bühne war für ihn kein nachäffender Spiegel, Bühne war für ihn Fernrohr, ja Lupe. Er war Schau-Spieler, kreativ und facettenreich, der den Kontakt zu seinem Publikum suchte. Seine Ausstrahlung auf andere Kulturschaffende war in seiner Temeswarer Periode offensichtlich. Die jungen Autoren der „Aktionsgruppe Banat“ ­sahen in ihm einen Erneuerer, einen Reformwilligen und unterstrichen diese Wahlverwandtschaft in Gesprächen und Porträts. Nationalitätenübergreifend bewunderten Theaterfreunde seine Ehrlichkeit und Leidenschaft und verstanden insgeheim so manche Geste, dass hier einer zum Anderswerden auffordert, zum Aufräumen mit würgenden Zwängen und verbrämten Lügen.

Wo immer Mathias Pelger agierte, investierte er viel Herzblut in seine Bühnenleistungen – nicht stur pedantisch oder nervend perfektionistisch, sondern ehrlich und bestrebt, besser zu werden. Noch heute liebt er mehr einen Stehplatz in der ersten Klasse als einen Sitzplatz in der zweiten. So ist er halt: ein bisschen eigenartig, etwas eigensinnig, aber einzigartig – genau das, was den Künstler ausmacht. Und unter den Künstlern ist der Schauspieler am stärksten mit dem Geschmack, dem Bildungsstand, den Anschauungen, ja sogar mit den Launen der Zeitgenossen konfrontiert. Ein kühles und distanziertes Publikum hat er nicht gehabt, denn dieser Mime warf all sein Können in die Waagschale, um den Zuschauer in den Bann zu schlagen. Und er setzte sich durch.

Anton Palfi

Schlagwörter: Theater

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