16. April 2013

Kritischer Archivar

Franz Zimmermann: „Zeitbuch. Autobiographische Aufzeichnungen eines Hermannstädter Archivars (1875-1925)“, hrsg. von Harald Zimmermann (= Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens 34), Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien, 2013, 262 Seiten, 34,90 Euro.
„Ein Stück Erinnerung an dieses Siebenbürgen vor hundert und mehr Jahren, an das Leben damals und dort, an Freude und Ärger, Nichtiges und eben auch Wichtiges will die Publikation von Franz Zimmermanns ‚Zeitbuch‘ (samt weiterführendem Kommentar) heute vermitteln.“ Mit diesen Worten schließt die Einleitung des Herausgebers Harald Zimmermann, die zum Verständnis der Aufzeichnungen unerlässlich ist, weil sie deren Duktus klärt und in die Biographie ihres Verfassers, diese aber in den Verlauf der siebenbürgischen und der allgemeinen Gesellschaftsgeschichte einordnet. Die kundige Hand des Herausgebers ist weiterhin in 492 erläuternden Anmerkungen zum Text zu ersehen, die stupende Kenntnis der Lebensumstände des Verfassers und dessen weit verzweigter Familiengeschichte erkennen lässt.
Franz Zimmermann (1850-1935).
Bildarchiv ...
Franz Zimmermann (1850-1935). Bildarchiv Siebenbürgen-Institut Gundelsheim
Die „Autobiographischen Aufzeichnungen“ schildern nicht nur die Kindheit und Jugend in Hermannstadt und Wien – in der Metropole und in der Provinz, seine Erziehung in kirchlichen Anstalten, die Spannungen mit dem gestrengen Vater, dem habsburgtreuen Rechtshistoriker und Kirchenrechtler Josef Andreas Zimmermann, Professor an der Rechtsakademie in Hermannstadt. Dieser war seit 1850 im Kabinett des Kultusministers Leo Thun-Hohenstein in Wien mit den Agenden des protestantischen Kultus betraut und als solcher auch ein unverzichtbarer Experte für die Kirche der Siebenbürgischen Nation und deren Bischof Georg Daniel Teutsch. Dem Vater waren die burschenschaftlichen Ambitionen des Sohnes („in alter Burschen-Herrlichkeit“) zuwider. Der Sohn erbte das historische ­Interesse des Vaters, dem es bei allen rechtsgeschichtlichen Arbeiten um die juristische Selbstvergewisserung der Sachsen im Blick auf ihre Selbstständigkeit und Unabhängigkeit gegangen war. Der Sohn, am Wiener Institut für Österreichische Geschichtsforschung ausgebildet, schlug die Archivarslaufbahn in Hermannstadt ein und widmete sich den Quellen für dieses Ansinnen. Als Archivar der Nationsuniversität und der Stadt Hermannstadt war er zwischen 1875 und 1908 für dieses Archiv verantwortlich und erstellte als solcher nicht nur die noch heute gültige Ordnung, sondern regte auch das Urkundenbuch zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen an und gab die ersten drei Bände über die Jahre 1191 bis 1415 heraus (1892-1902). Mit seinen quellengeleiteten Studien ist er gewissermaßen als „der Anti-Teutsch“ (Konrad Gündisch) in die ­Geschichte eingegangen, mit seiner Kritik an der „heldischen“ Historiographie von Vater und Sohn Teutsch hat er auch nie zurückgehalten (S.214ff.). Das Verhältnis zur Bischofsfamilie war denkbar gespannt (S. 155 ff.).

Das Buch enthält sehr schöne Passagen über das Leben in Hermannstadt, auch wenn sich ihr Verfasser in der siebenbürgischen Gesellschaft, deren Honoratioren er so gelungen nachzuzeichnen verstand, zunehmend isoliert fühlte. Für den Ausbau der „Hallerwiese“ zum Cottage nach Wiener Vorbild hat er sich erfolgreich eingesetzt. Aber auf seine Kritik an der Archivpolitik der politischen Verwaltung ging niemand ein, deshalb reichte er schon als 57-Jähriger seinen Rücktritt ein. Dieser wurde durch ein Disziplinarverfahren noch beschleunigt. Bei der Lektüre stellt sich der Eindruck ein, dass die verantwortlichen Stellen froh darüber waren, einen unangenehmen Kritiker losgeworden zu sein. Zimmermann, der 1906 endgültig Hermannstadt verlassen hatte und nach Österreich übersiedelt war, wurde am 29. Januar 1908 in den Ruhestand versetzt. Das Buch endet aber nicht mit diesem Misston, der Herausgeber fügt im Anhang neben Zimmermanns Apologie von 1908 und dessen Analyse des Disziplinarverfahrens noch weitere Texte hinzu, die nicht dem Zeitbuch entnommen wurden, sondern an anderer Stelle erschienen sind, etwa zur siebenbürgisch-deutschen Geschichtsschreibung oder zum Verein der Siebenbürger Sachsen in Wien.

Dem einleitend zitierten Befund des Herausgebers ist zuzustimmen: Das Buch bietet ein Stück Erinnerung an Siebenbürgen vor hundert und mehr Jahren und wird alle Leser, die diese Welt noch halbwegs vor Augen haben, berühren, jenen aber, die nachgeboren sind, in ihrer Suche nach der Welt ihrer Vorfahren gewiss hilfreich sein.

Karl W. Schwarz

Schlagwörter: Archivar, Rezension

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