30. Mai 2014

Der Dialog mit der Landschaft: Zum Tod des Grafikers Heinz Schunn

Am 23. April dieses Jahres verstarb in Ebersberg, Oberbayern, der am 3. Mai 1923 in Bistritz als Sohn burzenländischer Eltern geborene Grafiker und Kunsterzieher Heinz Schunn. Der Vater, Heinrich Schunn (1897-1984), seit 1961 in Deutschland, gilt bis heute als Siebenbürgens bedeutendster Landschaftsaquarellist, die Schwester Susanne Schunn (*1927), die 1964 Siebenbürgen verließ, erwarb sich als Porträt- und Landschaftsmalerin einen Ruf, ehe sie beachtliche afi­gurative Großformat-Kompositionen schuf. Heinz Schunn kam von der Zeichnung und dem Aquarell zum Farbholzschnitt, der ihm meisterhafte Arbeiten von eigenwüchsigem Zuschnitt verdankt.
Heinz Schunn wuchs in Kronstadt auf, absolvierte das 1540 gegründete, einst über Siebenbürgen hinaus gerühmte Honterus-Gymnasium und erhielt, wie seine Schwester, vom Vater ersten Zeichen- und Malunterricht. 1943-1947 als Soldat an der Front und, verwundet, in Kriegsgefangenschaft, studierte er 1948-52 an Münchens Akademie der Bildenden Künste bei seinem Landsmann Walther Teutsch (1883-1964) Malerei; Teutsch war hier 1931 zum ordentlichen Professor ernannt und 1939 bei gleichzeitiger Vernichtung eines Teils seiner Werke mit Berufs- und Ausstellungsverbot belangt worden, 1946 hatte er die Professur wieder erhalten. Bei A. Thiermann erlernte Schunn die Radierung, bei H. Lohwasser den Holzschnitt, den Hoch- und Tiefdruck. Nach Einreichung der Zulassungsarbeit über frühe deutsche Grafik legte er das Staatsexamen in Kunsterziehung ab. Neben dem bis 1980 ausgeübten Lehrerberuf entfaltete der dynamische, ja arbeitsbesessene Mann eine künstlerische Tätigkeit, die nach und nach eindeutiger dem Holzschnitt galt. Relativ früh wurden Fachwelt und Publikum auf ihn aufmerksam.

Heinz Schunn mit der geliebten Druckpresse im ...
Heinz Schunn mit der geliebten Druckpresse im Lechbrucker Atelier (1997). Foto: Konrad Klein
Nicht nur anlagebedingt hatte sich Heinz Schunn auf der Suche nach dem ihm angemessenen Bereich der bildenden Kunst dem Holzschnitt zugewandt. Bestimmend war das Bedürfnis, „die Fußstapfen des Vaters“ zu meiden, d. h. nicht ebenfalls zum Aquarellmaler zu werden. In die über ein halbes Jahrhundert erstreckte Konzentration auf den Farbholzschnitt floss allerdings ein väterliches Erbe ein: die Faszination von der Farbe. Bei aller grundlegenden Unterschiedlichkeit der Kunstauffassung gibt sich die Farbe als dasjenige Element zu erkennen, das die drei Maler bzw. Grafiker Heinrich, Heinz und Susanne Schunn in gleicher Weise auszeichnet: Sowohl die transparenten Farbenlichter der Landschaftsgemälde Heinrich Schunns als auch die chromatischen Fantasien Susanne Schunns sind mutatis mutandis als Intensität der Präsenz ebenso in Heinz Schunns gesamtem Werk lebendig. Zugleich fällt der Umstand ins Auge, dass die Landschaft – als Medium künstlerischer Auseinandersetzung mit der Welt – dem Oeuvre Heinz Schunnns ebenso das Gepräge gibt wie dem des Vaters und, über einen bestimmten Zeitraum hinweg, dem der Schwester.

Freilich als unverwechselbares spezifisches Credo! Kunsthistoriker und -interpreten wiesen auf Schunns Spezifika aus vielerlei Blickwinkeln und in vielen Texten hin. Von „Klarheit und einfacher großer Form mit rhythmisch gesetzten kantigen Akzenten“ (A. G. Wiesbaden, 1998) ist dabei die Rede wie vom „Archaischen“ (H. Schlandt, 1994), vom „expressionistischen Grundton und der konsequent durchgehaltenen Beschränkung“ (T. Wellens, 1998) wie von den „unbearbeitet zu Kompositionen gefügten objets trouvés“ (I. Niedermeier, 1998) und von „abstrakten Formspielereien“ (E. Häuseler, 1990) oder von der „Suggestivität im Erschauen der Landschaftsform und -farbe“ (E. Just, 1987) etc.

Heinz Schunn ließ sich von der Landschaft zunächst als Gebilde natürlicher Strukturen und deren koloristischen Möglichkeiten fesseln. Er blickte aber von Mal zu Mal unbefangener durch die fotografisch erfassbare Landschaft hindurch quasi auf ihre innere Disposition, ehe sie wurde, als was sie uns erscheint. „Wir werden“, schrieb Franz Marc in diesem Sinn, „nicht mehr den Wald und das Pferd malen, wie sie uns (...) erscheinen, sondern (...) ihr absolutes Wesen, das hinter dem Schein lebt.“ Das führte Schunn gelegentlich zum afigurativen Versuch: zur abstrakten Bildgestaltung, niemals jedoch zum Verzicht auf die sinnenhaft erfühlte Befindlichkeit seines Gegenstands. Erst sie macht ja den Wert und den Zauber eines Kunstwerks aus. Ob der Chiemsee in Bayern, die Kușadasi-Küste in der Türkei, die Monsunwolken über Sri Lanka oder die Alm in der Moldau, Kronstädter Häuser im Winter oder norwegische Wasserfälle, die Himmelsweite über dem irischen Hochmoor oder Bäume auf Rhodos, Mallorca, in Dalmatien: Jedesmal suchte Schunn den Blick durch die Vordergründigkeit des Sichtbaren hindurch, ohne die sensuelle Komponente seines Gegenstands außer Acht zu lassen. Es gelangen ihm beschwörende, sogar beglückende Erhellungen wie z.B. die Sizlianischen Boote (1975), das montenegrinische Herceg-Novi (1971), der See in Valdres (1975), die Adria (1975) u.a.
Heinz Schunn, Strandkiefern in Jugoslawien, ...
Heinz Schunn, Strandkiefern in Jugoslawien, Farbholzschnitt, 1963, 42 cm x 55 cm
Schunn wandte die vom Wesen der Landschaft mehr als von der Erscheinung bestimmte Schau der gewachsenen Dinge auf Landschaften an, die er in Zentralasien, in Mexiko, Thailand und Spanien, in Griechenland, Tunesien, Äthiopien, Ägypten und den USA, Kambodscha oder Siebenbürgen besuchte: Er machte sie auf eine vorher nicht wahrgenommene Weise sichtbar. Seine Vorstellung vom Farbholzschnitt, wurde geschrieben, habe er so nicht nur „souverän bewältigt“ (K. J. Schönmetzler, 1999), er habe generell eine Meisterschaft im Holzschnitt entwickelt „wie nicht viele außer ihm“ (derselbe).

Heinz Schunn sprach verschiedentlich davon, dass ihm Cézanne, van Gogh, Matisse, Kandinsky, auch Franz Marc Wegweiser, Anreger, Prüfinstanzen gewesen seien. Abgesehen von den sofort erkennbaren Spuren, der empreinte dieser Großen der europäischen Malerei in seinem Werk – etwa von der Wärme der weitflächigen Reduzierungen Cézannes oder van Goghs Aufloderungen –, wird sich dem prüfenden Blick vor allem auf die späten Arbeiten eine Erkenntnis erschließen, die ein Kritiker „die Menschlichkeit der Natur“ nannte. Sie gehört zu den Hauptcharakteristika des Werkes Schunns. Zwar stellen sich nämlich seine reifen Arbeiten als Annäherungen an den Geist der Landschaft dar. Doch sie sind ebenso Spiegelbilder von Seelenzuständen – der weltentrückten Ruhe, der stürmischen Aufgewühltheit o.a. –, und sie sind zu gleichen Teilen zwangsläufig Dialoge zwischen Künstler und Gegenstand; die Ausgewogenheit des Verhältnisses ergibt das überzeugende Kunstwerk. Strandkiefern, die sich im Wind biegen; hart konturierte Bergfelsen, die sich dramatisch türmen; das Haus unter Baumkronen in der Provence, das Geborgenheit ausstrahlt: Der Mensch ist mit der ganzen Skala innerer Vibrationen im Bild gegenwärtig („Berge sind mir ein Gefühl“: Lord Byron), gleichzeitig teilt sich ihm das Objekt mit, das er konterfeit. Vornehmliches Gestaltungsmittel ist immer die Farbe. Sie gerinnt zu Formen, die ihr die Gliederung sichern. „Die Farbe“, notierte van Gogh, „muss alles tun ...“ Verhält es sich anders – um an den großen Beispielen zu veranschaulichen – mit C. D. Friedrichs „Morgennebel im Riesengebirge“ (1810/11), van Goghs „Feld unter stürmischem Himmel“ (1890), Cézannes „Meer bei L’Estaque“ (1895), Noldes „Das Meer“ (1913) – diesen genialen Offenbarun­gen des Dialogs zwischen menschlicher Gestimmtheit und der Natur, der Landschaft, in der er lebt?

Die in die Tausende gehenden Blätter in Heinz Schunns Nachlass – ähnlich dem in Leimen, Baden-Württemberg, privat aufbewahrten Nachlass des Vaters und dem zum Teil auf Schloss Horneck deponierten der Schwester – zeugen nicht allein vom berserkerhaften Fleiß dieses Künstlers mit der Freude an der handwerklichen Seite seiner Arbeit. Sie bezeichnen auch – in der chronologischen Folge gesichtet – die Stufen und Marken eines in der Substanz nicht beirrbaren Entwicklungswegs. Zahllose Versuche mit diversen Druckverfahren, dazu Bleistiftskizzen, Farbenentwürfe, Blätter mit afigurativen Experimenten oder lange zurückliegender, für die Wiederaufnahme gedachter Studien u.Ä. Dies alles weist auf Bedachtheit, Geduld und Hartnäckigkeit im Umgang mit dem künstlerischen Ideenreservoir hin. Weit über hundert Einzelausstellungen machten seit 1959 den Namen Heinz Schunn in Deutschland bekannt. Die – mit wenigen Ausnahmen – regelmäßige Beteiligung an der weltweit beachteten Münchner Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst seit 1951, an Wanderausstellungen des Goethe-Instituts in Afrika, Norwegen, Spanien u.a.O., an den vielen repräsentativen Ausstellungen der Künstlergilde Esslingen sind, zu allem anderen, Stationen einer beachtlichen Kenntnisnahme des Werkes. –

Heinz Schunn war zuletzt Witwer; seine Frau Ingrid, geb. Ehricht, starb 2009 (*1923). Er hinterließ drei Kinder und zehn Enkelkinder.

Wo – ist abschließend zu fragen – findet sich der Kunsthistoriker oder Galerist, Heinz Schunns Werk wissenschaftlich zu ordnen und publikumsorientiert vorzustellen? Das gilt ebenso für den Nachlass Heinrich Schunns, der vor dreißig Jahren starb, und den Vorlass der künstlerisch nicht mehr aktiven Susanne Schunn. Die drei, deren Werk sich kontrapunktreich ergänzt, schufen ein grafisches bzw. malerisches Universum, dessen Qualität und Divergenz, Spannweite und Umfang dazu auffordert.

Hans Bergel

Schlagwörter: Maler, Nachruf, Graphik, Porträt

Bewerten:

16 Bewertungen: ++

Neueste Kommentare

  • 30.05.2014, 09:42 Uhr von bankban: Ein guter und informativer Artikel, wie es ihn selten gibt; vielen Dank. [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.