16. Mai 2015

Evakuierung 1944-1945: Kriegsende im Raum Nikolsburg

Als Anfang März 1945 der letzte große Gegenangriff der Deutschen bei Stuhlweißenburg/Székesfehérvár in Westungarn scheiterte, fielen Wiener Neustadt und Pressburg sehr bald in sowjetische Hand. Danach folgten Wien und St. Pölten und die Amerikaner und Sowjets trafen sich im unteren Ennstal auf der Linie Linz – Budweis. Der Eintausch eines Sektors in Wien hatte die Übergabe der amerikanisch besetzten Teile Südböhmens und des Mühlviertels an die Sowjets zur Folge. Für die Flüchtlinge aus diesen Gebieten änderte sich über Nacht ihre Zukunft. Wer es nicht schaffte, in die amerikanische Zone weiter zu flüchten, war den Sowjets preisgegeben. Kreisnotär Thomas Henning aus Heidendorf schreibt in seinem Bericht von 1956.
Es kam auch diesmal anders, als man dachte und plante. Die Front rückte immer näher, der Krieg ging seinem tragischen Ende entgegen. Zum zweiten Mal mussten wir das Feld räumen. Einige Gebiete des Kreises mussten schon Anfang April geräumt werden. Oft verließen die Leute ihren Wohnort nur, als der Feind in greifbarer Nähe war. Am 23. April verließen die Kreisbehörden Nikolsburg und mit ihnen auch ich. Am nächsten Tage rückten die Russen in die Stadt ein. Knapp hinter der Front, im Artillerie-Bereich des Feindes, nahmen wir Aufenthalt, wo wir bis zur Kapitulation ausharrten und fortwährend die Evakuierung der hinter der Front liegenden Dörfer betrieben.

Am 8. Mai erfolgte die Kapitulation, und was nachher geschah, war eine Flucht im wahren Sinne des Wortes, viel tragischer und nicht zu vergleichen mit der geordneten Evakuierung aus der Heimat. Wehrmacht und Flüchtlinge zogen in endlosen Kolonnen gegen Westen, alle bestrebt, die amerikanische Linie zu erreichen, um nicht in russische Gefangenschaft zu geraten. Es gab Stockungen, gegenseitige Beschimpfungen; die Ordnung hatte sich aufgelöst. Nach einigen Tagen hatten uns die Russen überholt. Die Wehrmacht musste kehrtmachen und in russische Gefangenschaft gehen. Auch ein Teil der Flüchtlinge machte kehrt, um nun nach Kriegsende in die Heimat zurückzukehren. Ich marschierte weiter nach Westen, nun zu Fuß, nachdem mir die Russen das Fahrrad abgenommen hatten …

Textauswahl: Horst Göbbel


Schlagwörter: Rumänien, Evakuierung, Geschichte, Zeitzeugenbericht

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