13. Oktober 2015

Jedes Dorf – eine Welt

Über diesem Buch steht ein Name, den man sich merken muss: Maria Schotsch. Das Buch heißt „Wie lieb ich dich mein Dörflein klein. Meine Jugend in Meschen im siebenbürgischen Weinland“, Schiller Verlag Hermannstadt, 2015, 285 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 9783944529516, zu bestellen beim Schiller Verlag.
Roswith Capesius hatte eine besondere Wertschätzung für die Meschener, sie sagte: Sie sind so begabt. Dabei bezog sie sich auf die Musikantenbrüder Bretz, aber auch auf den Sprachwissenschaftler Heinrich Mantsch, der mit Ruth Kisch im selben Bukarester Institut gearbeitet hat. Und nun kommt mit einer ungerechten Verspätung der Name Maria Schotsch hinzu.

Sie war drei Jahre älter als ich, wurde am 2. Dezember 1931 in Meschen als Maria Henning geboren, ist 1980 mit ihrer Familie nach Deutschland ausgewandert, die Leute haben sich in Dortmund niedergelassen, sie ist 2011 gestorben. Die vier Kinder haben sich um die Veröffentlichung des Buchs im Schiller Verlag bemüht, eigentlich haben sie ihre Mutter auch überredet, das Buch überhaupt zu schreiben, das war um das Jahr 2000. In der Einleitung meint die Verfasserin, dass sie so schreibt, wie sie erzählt. Es muss also in der Familie und im Kreise der Verwandten oft Gelegenheit dazu gegeben haben, so dass die Kinder ihre Mutter überredeten: Schreib das doch alles auf. Herausgekommen ist eine vollständige und exemplarische Zeitbeschreibung des 20. Jahrhunderts.

Volkskundler könnten daraus soviel herausschreiben wie aus keinem anderen Buch unserer neueren Literatur. Ich selber habe darin jede Menge Parallelen zu meinem eigenen Erleben gefunden, obwohl Großpold und Meschen recht weit voneinander entfernt liegen. Es handelt sich aber um den gleichen zeitgeschichtlichen Rahmen und ähnliche Lebensverhältnisse. Für mich waren es also Bestätigungen oder neue Entdeckungen, alles aus der Sicht eines außergewöhnlich begabten Mädchens.

Nehmen wir nur den Schweinskübel. Die Schweine wurden mit grob geschroteten Maiskörnern und gekochten Kartoffeln, alles zu einem Brei vermengt, gefüttert. Weil es aber kurz vor dem Abendessen nichts mehr zu naschen gab, setzte sich das Mädchen daneben und stopfte sich den Brei in den Mund. Selber habe ich mir aus dem Schweinskübel nur die gekochten Kartoffeln herausgefischt und mit Vergnügen verzehrt.

Die Kinder hatten keine besonderen Spielsachen, man konnte mit der Schubkarre spielen und wenn die größeren Burschen einen Spaß machen wollten, nahmen sie den Wagen eines Bauern auseinander und stellten ihn oben auf dem Scheunenfirst wieder zusammen.

Das Barfußgehen aber konnten die Kinder nicht früh genug lernen, die Autorin schreibt: „Ich lief den ganzen Sommer lang barfuß über die Wiesen, Äcker und über das Stoppelfeld, es machte mir nichts aus, denn die Fußsohlen waren hart wie Leder geworden, und die Füße so breit vom vielen Reiten, dass sie am Sonntag kaum noch in die Schuhe passten.“

In jedem Teil ist das Buch voller lustiger Vorfälle, oft werden auch Dorfanekdoten erzählt. An einer gefährlichen Stelle auf der Hill war der Wagen mit den Garben umgestürzt, musste abgeladen und wieder aufgeladen werden. Da kam eine alte Frau mit Quersack und Hacke vorbei und sagte freundlich: „Na, habt ihr überschlagen?“ Recht verärgert antwortete der Vater: „Ja, wir haben überschlagen.“ Ein Ehepaar entdeckte auf dem Heimweg, dass sein kleines Mädchen, das den ganzen Tag auf der Decke gespielt hatte, verschwunden war. Alles Rufen half nichts, da erinnerte sich die Mutter, das das Kind einen Satz konnte und den rief sie: „Hanno, leck die Geis“. Prompt kam die Antwort aus dem Maisfeld: „Leck du sie.“

Die Volksästhetik besagt: Eine Geschichte ist dann gut, wenn man lachen oder weinen kann. In diesem Buch ist es mir öfters zum Weinen gekommen, am stärksten geweint habe ich an der Stelle, wo das Mädchen das alte Pferd Gabor, das zuletzt enteignet worden war, wieder trifft, und zwar vorgespannt an eine Kutsche aus dem Nachbardorf. Tier und Mädchen werden grob getrennt. Die Beziehung zwischen dem Mädchen und dem Vater ist eine der ergreifendsten Beziehungen, die in unserer siebenbürgischen Literatur beschrieben wurden. Der Vater war nicht nur der schönste, er konnte auch alles: Von der Arbeit auf dem Feld und dem Umgang mit den Pferden bis zur Herstellung von Holzsandalen für das Mädchen. Er wurde 1943 zur Wehrmacht einberufen, war auf dem Balkan stationiert und ist in einem Gefangenenlager in Sibirien gestorben.

Die Autorin hat in den miserablen Jahren nach 1945 eine Anstellung in einer Gärtnerei in Mediasch gefunden, wo sie eine Ausbildung zur Gärtnerin machte. Hier sind mir zwei Episoden aufgefallen: Schuster Dutz, der bekannte Mediascher Mundartdichter, war nach dem Krieg im Gefängnis in Caracal eingesperrt, er ist um eine Zeit heimgekommen, war aber so kaputt, dass er allein nicht einmal den Weg in die Gärtnerei fand, wo er zum Mittagessen eingeladen war und wieder aufgefüttert werden sollte.

Die Autorin ist mit dem Zug öfters nach Schäßburg gefahren, wo ihre Schwester am Päda studierte und wo sie gern in die Komponistenstunden von Professor Ernst Irtel ging. Das kommt stark meiner Zeit in Schäßburg in die Nähe, und so muss ich Maria Schotsch in einer Sache widersprechen. Sie schreibt, dass ihre Schwester im Internat wenigstens ein warmes Essen am Tag bekam. Das stimmt nicht, denn es gab das Frühstück, das Mittagessen und das Abendessen, und wer nicht satt wurde, der konnte sich mit dem Teller noch einmal anstellen für das „Surplus“.

Am Ende der vier Jahre in der Gärtnerei hatte Maria in Meschen den Lehrer Wilhelm Schotsch kennengelernt, der sich grenzenlos in sie verliebte. Das Buch hört aber knapp vor der Hochzeit auf.

Hans Liebhardt

(Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien)

Schlagwörter: Rezension, Meschen, Erinnerungen

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