26. Juni 2016

Von Hexen und Hunden, Bauern und Fürsten - Sieglinde Botteschs Buch „Transsylvania Mythologica“

Seit nicht allzu vielen Jahren gewinnt in kulturwissenschaftlichen Überlegungen ein Begriff an Bedeutung, der fallweise auch in den Bereich der Kunst hinübergreift: der „Kampf gegen das Vergessen“. Ihm kommt nach Ansicht nicht weniger Kenner zu Zeiten wachsender Entwicklungstempi in fast allen Berufs- und Lebensbereichen immer größere Bedeutung zu. Er muss geführt werden, sagen seine Verfechter, sollen nicht „geschichts- und damit gesichtslose“ Generationen – so die Furcht des vor Kurzem verstorbenen Helmut Schmidt – heranwachsen, in deren Händen nicht allein das Kulturerbe, sondern die Kultur als Orientierungskraft verloren geht. Die Siebenbürger Sachsen müssten das – wenn überhaupt jemand – besser verstehen und beherzigen als manche andere.
Mit ihrem Buch „Siebenbürgisch-sächsische Sagen und Sprichwörter“, Haupttitel: „Transsylvania Mythologica“, greift die 1938 in Hermannstadt geborene Malerin, Graphikerin und Kunsterzieherin Sieglinde Bottesch, die seit 1989 auch in Deutschland ausstellt und vor wenigen Tagen mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis ausgezeichnet wurde, in diesen „Kampf gegen das Vergessen“ im Kulturkreis ihres Herkunftsbereichs ein. Sie tut es hier mit 130 Schwarzweißgraphiken, deren Thematik sich aus dem „sagenumwobenen Transsylvanien/Siebenbürgen“ speist. Und sie tut es mit der Bravour der Könnerin, die weiß, dass sich die Meisterschaft – wie Goethe es meinte – in der Beschränkung zeigt: in der Konzentration auf das Wesentliche. Sobald sie gelingt, ist der erste Schritt zu guter Kunst getan.

Die bietet Sieglinde Bottesch in ihren Graphiken allemal. Diese entstanden zu verschiedenen Zeiten, auf die einzugehen hier nicht der Platz ist – im knappen, aufschlussreichen Nachwort „Zu diesem Buch“ weist Hans-Werner Schuster auf sie hin und ergänzt damit das ebenso knappe Vorwort von Sieglinde Bottesch. Dass kurz gefasste und leicht lesbare Texte den erzählenden, auch den berichtenden Hintergrund liefern, macht das Kunstbuch zugleich zur wertvollen Dokumentation.
Sieglinde Bottesch: Der Raub des Keisder Turms, ...
Sieglinde Bottesch: Der Raub des Keisder Turms, Holzstich
So erfahren wir nicht nur, dass König Matthias Corvinus (1443-1490) einst mit Hirten speiste, wir sehen die Speisenden auch in einer vorzüglich komponierten Graphik wie antike Helden am Rundtisch sitzen. Wir lesen nicht nur, dass vor Zeiten ein Klosdorfer den schönen, ans Schäßburger Vorbild erinnernden Keisder Turm stehlen wollte, wir werden auch Augenzeuge, wie die aufgeschreckten Gänse unter Sternen und Mondsichel dem turmtragenden Dieb entgegenstürmen und -schreien – wer denkt da nicht an die Warnrufe der Gänse auf Roms berühmtem Capitol? Anrührend nicht nur die Geschichte von den Kronstädterinnen, die ihren Silber- und Goldschmuck herbeitragen, um die zu knapp bemessene Metallmenge für die große Glocke der Schwarzen Kirche aufzufüllen, sondern ebenso das Bild der begeistert und elegant daherschreitenden Patrizierinnen, das uns Sieglinde Bottesch bietet. Köstlichkeiten wie die musizierenden Hunde oder die nächtens tanzenden Hexen, dann wieder der aus dem Himmel niederfahrende Wetterdrachen oder der zum Fürsten Siebenbürgens gekrönte würdevolle Graf Apafi und vieles andere: Sieglinde Botteschs Illustrationseinfälle, und was sie daraus macht, sind Miniaturkunstwerke von Rang. Ortsnamen wie Wolkendorf oder Rothbach im Burzenland, Agnethlen, Reps, Hermannstadt, Weißkirch, Draas u. a. geben den Texten und den von ihnen angeregten Bildern neben dem Konkretum eine Lebendigkeit, die Freude weckt. Die Künstlerin vermag dabei ebenso die balladeske Stimmung des Kampfs mit der Riesenschlange wie die Idylle des Michelsberger Mädchens mit dem Silberbecher einzufangen, sie überzeugt durch den Witz, mit dem sie die Revolutionäre von Rode 1848 aufbrechen lässt, wie sie das Geheimnisvolle der Burg von Abtsdorf beschwört usw. Die Breite ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, die von Friedrich Schuster und Claus Stephani gesammelten Texte in allen verwendeten Techniken ins Bild zu übersetzen, ist beachtlich.
Sieglinde Bottesch: Der Wetterdrachen mit drei ...
Sieglinde Bottesch: Der Wetterdrachen mit drei Köpfen, Linolschnitt
Zum Dokumentationswert dieses Buches der künstlerischen Bilder – denen Sprichwörter, Legenden, Sagen, Chroniken, Annalen u.Ä. zugrunde liegen – gehören nicht zuletzt die auffallend häufigen Motive aus den Jahrhunderten der Türkenbedrohung Siebenbürgens. Ein Aspekt südosteuropäischer Geschichte wird sichtbar, für den es im mitteleuropäisch-deutschen Bereich kein Pendant gibt: weil es die historische Lage nicht gab und ergo die Erfahrung fehlt. „In der Zeit, als die Türken in Siebenbürgen einfielen und Dörfer und Städte plünderten und zerstörten“, ist eine Wortformel, die in der Geschichtsschreibung Siebenbürgens aberhundertfach auftaucht und daher ähnlich in den Texten zu lesen ist, die Sieglinde Bottesch zum Bild anregten. Bereits die Erwähnung des Ungarnkönigs Matthias Corvinus: Er war der Sohn eines der großen Verteidiger Südosteuropas gegen die osmanischen Eindringlinge, Johann/János/Ioan Hunyadi (1408-1456). Auch geht z. B. der weithin bekannte „Urzelnlauf“ vermutlich auf die Tat einer Frau mit Namen Ursula zurück, die sich dem Feind entgegenstellte – Sieglinde Bottesch fasste den Vorgang in eine lapidare Prägung. Das gilt ebenso für die Graphik, die des Burghütertöchterchens von Underten gedenkt: Es läutete beim Ansturm des Osmanenheeres die Glocke, selbst als schon alle Dorfbewohner erschlagen waren, und wurde schließlich von der herabstürzenden Glocke im brennenden Turm begraben; seither gibt es Underten nicht mehr.

Emblematisch prägnant entworfen auch der Draaser Gemeindehann, der sich von der Burgmauer mit Pfeil und Bogen gegen die Plünderer wehrt. Nicht anders das Bild vom schönsten Mädchen in Schweischer, das der belagernde Pascha als Preis für seinen Abzug forderte: Die Schweischer ließen das schöne Kind in Brautkleidern an einem Seil zum Pascha hinab – als der es entzückt anfasste, war es tot. Durch die Behutsamkeit in der Gestaltung des Motivs macht Sieglinde Bottesch das Verzweifelte des Vorgangs unabweisbar. All diese und die anderen Bilder sind mit suggestivem Elan nicht nur in unsere Anschauung, sondern, mehr noch, in unser Gefühl gerückt. Das gilt vom dramatischen bis hin zum lyrischen, vom humoristischen bis hin zum fantastischen Thema.

Über die Beherrschung des Handwerklichen hinaus, sind es diese Fähigkeiten der Graphikerin, ihr oft auf nur wenige Kompositionselemente konzentriertes Bild jedesmal zum künstlerischen Ereignis zu machen: Das Gespür für die Möglichkeit, den Aussagekern eines Textes in seiner Bildtauglichkeit zu erkennen, die Spontaneität des Ausdrucks während der Arbeit wachzuhalten, und die Einfühlsamkeit, das seelische Befinden des dargestellten Menschen im Betrachter emotional zu wecken. Vor allem jedoch unabhängig vom Gegenstand: Immer kann sich diese Künstlerin auf ihr Formgefühl verlassen. Sieglinde Botteschs „Transsylvania Mythologica“ macht so den enormen spezifischen Reichtum an Vorgängen, Schicksalen und Situationen, an Gedanken, Gefühlen und Bewahrungsfantasie deutlich, die zum geistigen Erbe der Siebenbürger Sachsen gehören. Im Kampf gegen das Geschichts- und Kulturvergessen ist ihr Buch ein ästhetisches und zugleich ein chronistisches Geschenk.

Hans Bergel




Sieglinde Bottesch: Transsylvania Mythologica. Siebenbürgisch-sächsische Sagen und Sprichwörter in Bildern. Mit Texten von Friedrich Schuster und Claus Stephani. Atelier Edition, Ingolstadt, Harteinband, 138 Seiten, 130 Abbildungen, ISBN 978-3-00-052401-1, zu bestellen zum Preis von 22,00 Euro, zuzüglich 3,00 Euro Versand, bei Sieglinde Bottesch, Max-Schott-Straße 13, 85057 Ingolstadt, Telefon: (08 41) 8 10 76, E-Mail: sieglinde_bottesch[ät]freenet.de.
Transsylvania Mythologica
Sieglinde Bottesch
Transsylvania Mythologica

Atelier Edition, Ingolstadt,
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Schlagwörter: Bottesch, Kust, Zeichnung, Kulturpreis, Heimattag 2016, Dinkelsbühl, Bergel

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