31. Dezember 2016

Etymologischer Spaziergang (27): Bitte loss mich kīren! Bitte lass mich kosten!

Wenn es in der Küche gut duftete, konnte eine kleine Naschkatze darum betteln, vom Gebackenen oder Gekochten eine kleine Portion kosten zu dürfen. Die Nähe unseres Mundartwortes kīren zu „kosten“ ist offensichtlich; beide Wörter gehen auf das alte Wort kiesen zurück, was auswählen, versuchen, unterscheiden bedeutet und schon im Gotischen als kiusan erscheint.
Das Substantiv zu kiusan lautet „Kur“ und „Kür“. Wir kennen „Kür“ als Wahl des deutschen Königs durch die sieben Kurfürsten, und ein Turner zeigt im Wettkampf nach den Pflichtübungen, was er für sein Programm ausgewählt hat, seine „Kür“.

Unser Mundartwort kīren engt die Bedeutung von wählen, prüfen, kosten auf die Geschmacksebene ein. Auch das Substantiv von kiusan, nämlich Kus, weist auf das Prüfen durch Schmecken hin: Kus wird im Lateinischen zu gus, und gustus ist der Geschmack. Im Griechischen ist geuesthai das schmeckende Prüfen, und in Sanskrit bedeutet gus neben erwählen, billigen auch genießen. Im Alemannischen ist kost, kust der Geschmack. Früher gab es die Funktion eines Weinkiesers und Bierkiesers, und schweizerisch ist „kiesen“ noch heute das Prüfen des Geschmacks.


Der Übergang von „kiesen“ auf „küren“, von S auf R, entspricht dem vom mittelhochdeutschen „verliesen“ und siebenbürgisch-sächsischen verläsen auf verlieren. Das Wort „kiesen“ ist im Schriftdeutschen verschwunden, verdrängt von prüfen, testen und wählen.

Köstlich bedeutet wohlschmeckend (es sollte nicht vom scheußlichen „lecker“ verdrängt werden!) und hat nichts mit Preis und Kosten zu tun, die auf lateinisch costare zurückgehen; hingegen weist Kostbarkeit (res magni pretii) auf Kosten und materiellen Wert hin.

Aus diesem etymologischen Spaziergang ist eine anstrengende Tour geworden, liebe Leser, die mich oft begleitet haben. Gehen Sie jetzt ohne mich aufmerksam spazieren, vielleicht finden Sie unterwegs etwas Interessantes. Ich mache derweil eine längere Pause.

Dr. Roland Phleps

Schlagwörter: Etymologie, Etymologischer Spaziergang, Mundart

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