27. August 2018

Der Cherusker Hermann und die Siebenbürger Sachsen: Kurt Thomas Ziegler über große Geister

Im Hora Verlag in Hermannstadt erschien Kurt Thomas Zieglers Band „Den großen Geistern auf der Spur. Erkundungen und Besprechungen, Essays und Aperçus“. Der aus Hermannstadt stammende, im Burgenland in Österreich lebende Arzt ist Freunden und Bekannten als Kenner der Künste, der Literatur und Musik ein Begriff. In der Lebensatmosphäre einer intellektuell wie musisch geprägten Familie aufgewachsen, eignete sich Ziegler bereits als Kind erstes Wissen in diesen Bereichen an. Dazu trugen im Hause Ziegler verkehrende Maler, Musiker und Schriftsteller erheblich bei.
Trotz kommunistischer Drosselung 1947-89/90 historisch gewachsener Geisteskultur behauptete sich in Rumänien, so auch in Hermannstadt, mehr oder weniger verdecktes Fortleben überlieferten Kulturbewusstseins. Bezeichnend für diesen Selbstbehauptungswillen: Der aus mehrfacher Kerkerhaft und Verbannung nach Hermannstadt heimgekehrte Maler, Dichter und Komponist Wolf von Aichelburg (1912-1994), mittel-und wohnungslos, fand Aufnahme und Bleibe im Haus des Arztes Dr. Kurt Ziegler, des Vaters Kurt Thomas‘ – ungeachtet des bedrohlichen Status, der der Familie daraus hätte erwachsen können. Es ist naheliegend, dass im vorliegenden Band unter insgesamt 40 literarischen Porträts in einem mit Bewunderung verfassten Text Aichelburgs gedacht wird; der Adlige wurde zur frühen geistigen Leitfigur des jungen Kurt Thomas.

Zieglers Bildnisgalerie reicht von Riesen europäischer Kultur wie Karl dem Großen bis Johann Sebastian Bach, von Shakespeare bis Verdi und Richard Wagner etc. Ein Viertel der Texte kreist um siebenbürgische Themen, der erste davon um den Vater (1909-1972) und den Großvater Dr. Wilhelm Otto (1859-1932), vielfach verdienstvollen Ärzten. Alle Texte des Bandes sind das Ergebnis genauer Dokumentation sowie der Fähigkeit, das Wesentliche der Porträtierten zu erfassen und in flüssigem Sprachduktus zu skizzieren. Kritisch sei nur eines vermerkt: Zwischen dem Anspruch, „großen Geistern“ nachzuspüren und einigen der transsilvanischen Diagramme klafft – bei allem Verständnis für die Liebe zu Siebenbürgen – eine unübersehbare Distanz. In einem gesonderten Band hätte diesen die Reverenz erwiesen werden können.

Im Einzelnen auf die Vorzüge der Texte einzugehen, kann nicht Zweck dieser wenigen Zeilen sein. Hingewiesen sei aber auf einige Charakteristika. Kurt Thomas Ziegler lässt die Vorgestellten im Licht ihrer Epoche erscheinen. Das solcherart in deren Präsentation einfließende Zeitgeschichtliche erhöht Reiz und Wert der Mitteilungen. So wenn er z.B. über den Kolumbianer Gabriel García Márquez (1927-2014) schreibt. Zuerst lässt er dessen große Vorgänger „auftreten“, ehe er zum erzählerischen „Vollblut“ García Márquez kommt – m. E. der vitalste Erzähler seiner Epoche nicht nur Lateinamerikas. Ebenso verfährt er im Fall Tschechow (1860-1904). Bevor uns Ziegler Näheres über den in Badenweiler Verstorbenen wissen lässt, führt er uns in die Literatur der Russen seit dem überragenden Puschkin (1799-1837) ein. Nicht anders, wenn er sich über das „Eldorado“ des dramatischen Schaffens der Europäer, d.i. Frankreich, von Paul Claudel (1868-1955) bis zu Eugène Ionesco (1909-1994) auslässt; etc. So erhalten wir über die – immer substanziellen und konturklaren – Einzelbildnisse hinaus auch Skizzen historischer Situationen.

Einer der besten Texte des Bandes ist der über Karl den Großen (747-814); in knapper, präziser Prosa wird auf nur sechs Seiten das Bild einer der größten Gestalten des abendländischen Europa überzeugend bis in die letzte Nuance entworfen. Nach dem Prinzip „Kein Wort zu viel, keins zu wenig“ ist hier dem Autor ein Muster guter Prosa geglückt. Chapeau! Nicht übersehen werden darf Zieglers sympathische Neigung zu gelegentlich humorvoller, geistreicher Spekulation – so wenn er z.B. über „Hermann, den Cherusker, und die siebenbürgische Nachwelt“ das Folgende befindet:

„Hätte Arminus (Hermann) die Römer nicht besiegt, wäre die Romanisierung auch der Nord-Ost-Hälfte des Kontinents wohl weitergegangen. Es hätte wahrscheinlich keinen Odoaker gegeben, der Roms Untergang hätte besiegeln können, keinen Karl den Großen, der sein Riesenreich rund um seine Aachener Pfalzkapelle erkämpfte. Kein Kölner oder Naumburger oder Magdeburger Dom deutscher, romano-gotischer Bauweise würde existieren. Es hätte wahrscheinlich keinen staufischen Friedrich II. mit seinen monumentalen apulischen Burgbauten gegeben. Im Norden Europas hätte das Handelsimperium der Hanse, im Süden das Bankengroßunternehmen der Fugger nicht Geschäfte lukrieren können. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit seiner vielhundertjährigen Herrscherdynastie der Habsburger wäre wohl bloße Illusion geblieben, ebenso wie das Stift Melk und Schloss Schönbrunn nie gebaut worden wären. Das Phänomen Luther mit dem Reichstag zu Worms, aber auch das große Martyrium Europas, der zerstörerische 30-jährige Krieg, hätte nicht stattgefunden. Die Spekulationen könnten auch in meine siebenbürgischen Breiten verlagert werden. Wahrscheinlich hätte es auch keinen legendären Hermann geben können, der vor 850 Jahren im Zentrum des zugewiesenen ungarischen Königsbodens kreuzweise die zwei Schwerter als Zeichen der Landnahme dort in den Boden rammte, wo die zunächst ‚Villa Hermani‘ genannte spätere Hermannstadt entstehen sollte. Also ohne den cheruskischen Hermann (Arminius) auch wohl kein transsilvanischer Hermann? Warum sollte man sich dem Pläsier derartiger Spekulationen entziehen?“

Eben: Warum nicht? Spekulierte doch kein Geringerer als der Historiker der Goethezeit, August Ludwig von Schlözer (1735-1809): Was wäre aus Südosteuropa geworden, hätte sich der Deutsche Ritterorden in der Terra Borza über das Jahr 1225 hinaus halten und Einfluss bis zur Donau und darüber hinaus gewinnen können! Pläsier im besten Wortsinn – hier: Lesegenuss, gepaart mit einer stattlichen Menge kurzweiliger konkreter Information – bieten die 450 Seiten dieses Buches. Dass sein Autor mit der Gabe der Bewunderung gesegnet ist, bleibe nicht unerwähnt. Denn ohne sie hätte er die Texte seines Opus nicht schreiben können. Er habe Zeit seines Lebens bewundert, notierte kurz vor seinem Tod einer der Großen: Goethe.

Hans Bergel

Kurt Thomas Ziegler: Den großen Geistern auf der Spur. Erkundungen und Besprechungen, Essays und Aperçus, Hora Verlag, Hermannstadt/Sibiu, 2018, 456 Seiten, Harteinband mit Porträtfotos, 17,00 Euro, ISBN 978-606-8399-14-0, erhältlich in der Erasmus-Buchhandlung

Schlagwörter: Rezension, Ziegler

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