18. August 2019

Wissenschaftliche Studie: 300 Jahre sächsische Adelsfamilie von Kraus in Fogarasch und Zeiden

Geschichte lebt von Geschichten. Wenn die Geschichten einfacher Menschen vor bedeutenden historischen Ereignissen dann auch noch wahr und gut dokumentiert sind, ersteht sie sozusagen leibhaftig vor unseren Augen auf. Noch eindrucksvoller muss das Erlebnis sein, wenn es sich um die eigenen Vorfahren handelt. Ein in die USA ausgewanderter Siebenbürger Sachse hat das Exempel für sich vollzogen: Im Rentenalter wurde der ehemalige Unternehmer Rüdiger (Rick) von Kraus erneut Student und reichte an der renommierten Harvard-Universität die Geschichte seiner Familie als Masterarbeit ein. Nun ist darüber ein Buch unter dem Titel „Nobili și artizani“ (Adlige und Handwerker) in rumänischer Sprache im Corint Verlag erschienen, das Ende März im Bukarester Jockey Club vorgestellt wurde.
Die 300 Jahre Familienchronik beginnen 1663 mit einem Zufall: Am 17. April 1663 erklärten die Osmanen Leopold dem I. von Österreich den Krieg, nachdem dieser versucht hatte, Siebenbürgen zurückzuerobern, das bereits eineinhalb Jahrhunderte unter der Oberhoheit der Hohen Pforte stand. Im selben Jahr wurde Prinz Eugen von Savoyen geboren, der später eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die Osmanen spielen sollte. Ebenfalls 1663 erblickte Thomas Kraus in Fogarasch das Licht der Welt. Noch trägt der Urahn des Autors kein „von“ im Namen. Es wird ihm am 9. Juni 1702 von Leopold I. verliehen, nachdem Thomas 1697 an der Seite von Prinz Eugen in der Schlacht von Zenta gekämpft hat, im siebenbürgischen Regiment von Graf Rabutin. In der Urkunde heißt es nur, er wurde für Tapferkeit geadelt. Worin sein konkretes Verdienst bestand, erfahren wir nicht.
Rüdiger von Kraus ...
Rüdiger von Kraus
Was war geschehen in der Schlacht von Zenta? Prinz Eugen, der erstmals eine ganze Armee kommandierte – Leopold I. hatte ihm sein ungarisches Kontingent anvertraut – erlebte den Höhepunkt seiner Karriere. Dem 34-Jährigen gelang es, die Osmanen vernichtend zu schlagen. Dokumente verraten: Unter den Toten befanden sich der Großwesir des Sultans, vier Wesire und über 30000 Soldaten. Sultan Mehmet II. ergriff die Flucht.

Adel unter den Siebenbürger Sachsen war selten und ganz anders zu verstehen, als man dies von Österreich oder Ungarn kennt, leitete Dr. Klaus Fabritius, Leiter des Regionalforums Altreich des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), die Buchvorstellung ein. Unter den Einwanderern gab es keine Adligen. Den etwa 200 bekannten adeligen Siebenbürger Sachsen wurden ihre Titel erst zur Zeit der österreichischen Herrschaft verliehen, als Auszeichnung für besondere militärische oder administrative Verdienste, wie bei Samuel von Brukenthal. Ausgedehnte Ländereien, von denen sie hätten leben können, wurden ihnen nicht übertragen. Auch der Zugang zu hohen diplomatischen oder militärischen Ämtern, wie in anderen Ländern, war damit nicht verbunden.

Auf seiner Recherche fördert Rüdiger von Kraus auch Details aus dem Berufsleben seiner Vorfahren zutage. Generationen waren Gerber gewesen, bis neue Verfahren und Automatisierung ihre Anzahl stark dezimierte: War sie mit rund 700 in Siebenbürgen über Jahrzehnte konstant geblieben, gab es 1867 nur noch die Hälfte. Familie von Kraus sattelte um auf den Beruf des Schusters.

Interessante Details erfahren wir über das Umfeld, in dem die Sachsen von Fogarasch im 17. Jahrhundert lebten. Im Adelsdokument steht, Thomas von Kraus sei fortan von seinen Pflichten als Leibeigener entbunden. Denkbar, dass er einem Feudalherrn verpflichtet gewesen war, denn Fogarasch gehörte nicht zum Königsboden. Der Name Kraus wird im Register von Fogarasch erstmals 1640 erwähnt.

Immer wieder waren die Nachfahren von Thomas von Kraus von Kriegen und Aufständen betroffen. Der Kuruzzenaufstand 1703 traf vor allem die Sachsen auf Königsboden, beeinträchtigte jedoch indirekt auch jene in Fogarasch. Die Kuruzzen warfen die Sachsen wegen ihrer Herkunft mit den verhassten Österreichern in einen Topf. Tatsächlich gab es jedoch eine tiefe Kluft zwischen den protestantischen Sachsen und den erzkatholischen Österreichern, die selbst Brukenthal zum Nachteil gereichte, wie eine Bemerkung von Josef II. illustriert: „Er könnte die höchsten Staatsämter bekleiden, wäre da nicht das Problem seiner Religion.“ Als Brukenthal Gouverneur von Siebenbürgen wurde, gab es dort 100 000 Sachsen – 6,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. 52 Prozent waren Rumänen, meist Leibeigene, 41 Prozent Ungarn, die die höchsten Machtpositionen innehatten. Erst die Reformen von Josef II. verliehen allen drei Ethnien gleiches Wahlrecht. Doch die Einführung von Deutsch als Amtssprache weckte in den Ungarn den starken Drang, sowohl die Sachsen als auch die Rumänen zu magyarisieren.

Gelegentlich mussten die von Kraus ihre Existenzgrundlage neu definieren. Ein Teil der Familie zog um 1770 aus unbekannten Gründen nach Zeiden. Einige wurden sehr erfolgreiche Blumenzüchter. Heinrich von Kraus suchte 1906 seine Chance als Gärtner in den USA, von wo er 1909 zurückkehrte und einen florierenden Glashausbetrieb eröffnete. Von dort brachte er eine neue Sorte mit, die sich als „Edelnelke“ außerordentlichen Erfolgs erfreute.

Turbulent wird es im Zweiten Weltkrieg: 1943 lässt sich Erwin von Kraus in die Waffen-SS einschreiben. „Durch seinen Abenteuergeist war er der ideale Rekrut für die Spezialeinheit Friedenthal, die für geheime Missionen, Aufklärung, Sabotage und Auftragsmorde ausgebildet wurde“, schreibt der Autor. Er soll an der spektakulären „Operation Eiche“ zur Befreiung Mussolinis mitgewirkt haben, bei der deutsche Soldaten mit Gleitschirmen auf dem Gran Grasso landeten. Nach Ende des Krieges musste Erwin wegen seiner SS-Vergangenheit untertauchen. Dabei tötete er einen Soldaten, landete nach jahrelangem Versteckspiel im Gefängnis, wurde 1974 nach 16 Jahren wegen guter Führung entlassen.

Schonungslos offen und mit wissenschaftlicher Distanz schildert Rüdiger von Kraus das Schicksal seiner Ahnen. Seine Arbeit wurde mit dem Klein-Preis der Harvard-Universität ausgezeichnet. Eginald Schlattner – der den Namen von Kraus übrigens in „Rote Handschuhe“ erwähnt – lobt: „Ich bewundere die Genauigkeit und die wissenschaftliche Methode des Autors, seine verzweigte Rigurosität, der keine dokumentarische Quelle entgeht, keine Nuance und kein Kontext.“

Kein Roman könnte spannender sein als die Wirklichkeit. Der Autor plant eine deutsche Fassung des Buches.

Nina May


Rüdiger von Kraus, „Nobili și artizani. O istoria neștiută a sașilor din Transilvania“, Corint Verlag, Bukarest, ISBN 978-606793-470-0

Schlagwörter: Wissenschaft, Familienchronik, Fogarasch, Zeiden, USA

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