15. August 2021
Ein Buch aus der DDR-Vergangenheit streift Siebenbürgen
Zwei Rucksacktouristen aus der ehemaligen DDR erkunden um 1978 die unbekannten Fogarascher Berge. Sie stoßen auf eine Gedenkstele mit deutschen Namen und wundern sich, dass hier eine Schülerklasse aus ihrer DDR von einer Lawine verschüttet wurde. Ein paar Tage später wundern sie sich in Hermannstadt noch einmal, als sie auf deutsch Auskunft erhalten, von sogenannten Siebenbürger Sachsen eingeladen werden, die aber auch gar nichts mit den Sachsen in ihrer Heimat Leipzig zu tun haben. Die zwei Wanderer aus Deutschlands Osten wollten ein archaisches Rumänien entdecken, verliefen sich aber ungewollt in einer versonnenen deutschen Welt, die sich mit neuen Bekanntschaften, Theateraufführungen und Baudenkmälern gegen das Vergessen in ihrer Abgeschiedenheit wehrte. Die vom Kommunismus festgezurrten Grenzen hielten dicht, in der DDR vernahm man wenig von Rumänien, wusste dementsprechend auch gar nichts von einer dort lebenden deutschen Volksgemeinschaft. Umgekehrt war es in Rumänien mit dem Wissen über Ostdeutschland nicht besser, kam es doch als Touristenland kaum in Frage.
Die erwähnten Episoden sind nur ein Teil aus dem Buch „Von einem, der auszog in eine nicht vergangene Zeit“, das mit viel Verstand und Herzblut ein hellwacher Zeitgenosse verflossener und gegenwärtiger Jahre geschrieben hat. Reinhard Bohse, Geologe, Journalist, führender Kopf in der von Leipzig ausgehenden friedlichen Revolution, später Sprecher der Stadt Leipzig und jetzt ein erfolgreicher Buchautor, legt mit dem Hamouda-Verlag ein einmaliges Zeugnis menschlicher Befindlichkeit in der Diktatur sowie in der entfesselten Freiheit auf den Lesetisch. Dem Autor ist bewusst, wie schnell und unwählerisch die Zeit Ereignisse auf den Müllhaufen der Geschichte befördert, die wir für unaustauschbar, ja unersetzlich halten. Bohse lässt keine Larmoyanz aufkommen für das Gewesene, ein kühler Abschied, wenn auch mit Augenzwinkern, ziemt der DDR, aus der mit Fingerspitzengefühl das Bleibende einer nicht unglücklichen Kindheit und Jugend hervorgeholt wird. Denn die befohlene Liebe zum Vaterland konnte eigene Schleichwege nicht ersetzen, auch in Diktaturen gab es die privaten Abenteuer, gute Bücher überlisteten die Zensur, und des Autors Hingabe zum verdächtigen Jazz wurde letzten Endes geduldet. Doch allgegenwärtig der politische Zeigefinger, dessen roter Lack den braunen Rost zuweilen nicht verdecken kann. Autor Bohse veranstaltet keine Treibjagd, brüstet sich nicht mit den in der Gegenwartsliteratur so beliebten Charakterenthüllungen. Wer was zu anderen Zeiten auf sich geladen hat, wird nicht kleingeredet, nur in die nötigen Zusammenhänge gestellt. Unerbittlich jedoch, einem investigativen Journalisten gleich, enthüllt Bohse die geheimgehaltenen Verbrechen seines vaterländischen Kommunismus bei der Ausbeutung der Naturschätze ohne Rücksicht auf Menschenleben und Umweltschutz.
Viele der erzählten und beschriebenen Tatsachen hätten auch in Rumänien geschehen können, zu sehr ähnelten sich die von Moskau gleichgeschalteten politischen Systeme. Und doch gab es die menschengemachten Unterschiede. War der Kommunismus für viele DDR-Bürger eine akzeptierte Herausforderung, der man sich manchmal zu blauäugig hingab, so standen die Siebenbürger Sachsen als rumänische Staatsbürger dem aufgezwungenen System mehr oder weniger geschlossen verneinend und verachtend gegenüber. Die tagtägliche Kommunistenwirtschaft hatte das Staatsvolk, die Rumänen, zu verantworten. Ein Engagement auf roter Linie war den anderen überlassen, machte ein Rumäniendeutscher in diesem Schlamassel mit, dann war er mehr als verdächtig.
Bohses Buch steigert sich zum authentischen Nachschlagewerk, wenn der Autor aus den Notizen seines Tagebuchs die friedliche Revolution von 1989 in Leipzig wie einen Krimi nacherzählt. Wir mit Rumänien Verbundenen bekamen von diesen spannungsreichen Tagen um Nikolaikirche, Montagsdemonstrationen, Neuem Forum und Mauer viel zu wenig mit. Für die Rumäniendeutschen war die Revolution von 1989 ein blutiges Geschäft der Rumänen. Man machte nicht mit, man wartete ab. In der DDR wurde diese Revolution gewagt, mit Angst und Hoffnung erlebt und siegreich beendigt. Ihr Verlauf kann geradlinig nachvollzogen werden, sie bleibt die gestalterische Kraft eines vereinten Volkswillens. In Rumänien folgte auf das manipulierte Chaos auf den Straßen das Durcheinander der Berichterstattung. Der Leipziger Reinhard Bohse führt uns in ein Geschehen voller Gegenwart, obwohl uns schon eine ganze Generation von jenen Tagen trennt.
Der Autor nennt sein Buch im Untertitel „Leben diesseits der Mauer. Historischer Report 1945-1989“. Die Fakten, Jahreszahlen, Straßennamen und Personen belegen das, doch die Seiten lesen sich auch wie eine Danksagung an die Freundschaften, an die nicht verhaftbare Freude am gegebenen Leben. Darum schwebt über diesem so menschlichen Report Lars Gyllenstens Mahnung: „Die Vergangenheit ist unserer Barmherzigkeit ausgeliefert.“
Reinhard Bohse: Von einem, der auszog in eine nicht vergangene Zeit, Edition Hamouda, Leipzig, 2021, 280 Seiten, 15,00 Euro, ISBN 978-3-95817-055-1
Viele der erzählten und beschriebenen Tatsachen hätten auch in Rumänien geschehen können, zu sehr ähnelten sich die von Moskau gleichgeschalteten politischen Systeme. Und doch gab es die menschengemachten Unterschiede. War der Kommunismus für viele DDR-Bürger eine akzeptierte Herausforderung, der man sich manchmal zu blauäugig hingab, so standen die Siebenbürger Sachsen als rumänische Staatsbürger dem aufgezwungenen System mehr oder weniger geschlossen verneinend und verachtend gegenüber. Die tagtägliche Kommunistenwirtschaft hatte das Staatsvolk, die Rumänen, zu verantworten. Ein Engagement auf roter Linie war den anderen überlassen, machte ein Rumäniendeutscher in diesem Schlamassel mit, dann war er mehr als verdächtig.
Bohses Buch steigert sich zum authentischen Nachschlagewerk, wenn der Autor aus den Notizen seines Tagebuchs die friedliche Revolution von 1989 in Leipzig wie einen Krimi nacherzählt. Wir mit Rumänien Verbundenen bekamen von diesen spannungsreichen Tagen um Nikolaikirche, Montagsdemonstrationen, Neuem Forum und Mauer viel zu wenig mit. Für die Rumäniendeutschen war die Revolution von 1989 ein blutiges Geschäft der Rumänen. Man machte nicht mit, man wartete ab. In der DDR wurde diese Revolution gewagt, mit Angst und Hoffnung erlebt und siegreich beendigt. Ihr Verlauf kann geradlinig nachvollzogen werden, sie bleibt die gestalterische Kraft eines vereinten Volkswillens. In Rumänien folgte auf das manipulierte Chaos auf den Straßen das Durcheinander der Berichterstattung. Der Leipziger Reinhard Bohse führt uns in ein Geschehen voller Gegenwart, obwohl uns schon eine ganze Generation von jenen Tagen trennt.
Der Autor nennt sein Buch im Untertitel „Leben diesseits der Mauer. Historischer Report 1945-1989“. Die Fakten, Jahreszahlen, Straßennamen und Personen belegen das, doch die Seiten lesen sich auch wie eine Danksagung an die Freundschaften, an die nicht verhaftbare Freude am gegebenen Leben. Darum schwebt über diesem so menschlichen Report Lars Gyllenstens Mahnung: „Die Vergangenheit ist unserer Barmherzigkeit ausgeliefert.“
Frieder Schuller
Reinhard Bohse: Von einem, der auszog in eine nicht vergangene Zeit, Edition Hamouda, Leipzig, 2021, 280 Seiten, 15,00 Euro, ISBN 978-3-95817-055-1
Schlagwörter: Buch, Buchvorstellung, DDR, Siebenbürgen, Frieder Schuller
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