Das Beste aus dem „Medwescher Tramiter“ in Buchform erschienen
Das Buch „Der Medwescher Tramiter“ war anfangs eine besondere Herausforderung für mich und dürfte es auch für viele andere Leser sein. Das Siebenbürgisch-Sächsische, meine Muttersprache, die meine Kindheit und Jugend begreifbar und (er)lebbar machte, ist den Angehörigen meiner Generation vorwiegend als gesprochene Sprache vertraut. Als Schriftsprache wurde Hochdeutsch verwendet. Mittlerweile hat sich die Lebenssituation vieler von uns verändert, oft ist Hochdeutsch zur alleinigen Kommunikationssprache geworden und daher ist das Lesen und Verstehen des schriftlichen „Medwescher Saksesch“ nichts Alltägliches. Die einzigen Leseübungen – oft nicht einfach – waren für mich bisher Texte aus der gleichnamigen Mundartbeilage des „Mediascher Infoblatts“. Und nun ein ganzes Buch!
Die siebenbürgisch-sächsische Mundart, die sich im Laufe von 800 Jahren innerhalb des Karpatenbogens entwickelt hat, gilt mittlerweile als gefährdet. Durch ihre Abgeschiedenheit von verwandten Sprachräumen hat sie viele Eigenheiten mittelalterlicher Sprachen behalten und so ist es wünschenswert, sie vor dem Aussterben zu bewahren. Vor diesem Hintergrund weiß ich die vorliegende Anthologie besonders zu schätzen, ist sie doch wie eine Schatzkiste voller „Kulturjuwelen“ in der Mundart meiner Heimatstadt Mediasch. Herausforderung angenommen, ich nähere mich dem Buch mit Neugier und Respekt.
Bereits das Titelbild stimmt nostalgisch. Das Bild eines Paares in traditioneller sächsischer Tracht, das ein übergroßes Glas mit der Aufschrift „Saksesch Sproch/Haoltbuer bäs …“ trägt, ist bezeichnend für die Absicht des Buches: Es ist der sorgfältige Versuch, unsere Mundart über einen möglichst langen Zeitraum zu bewahren. Und wie es sich für eine Schatzkiste gehört, glänzt und glitzert es bunt durcheinander. Die Beiträge, nach dem Jahr ihrer Veröffentlichung in der gleichnamigen Mundartbeilage geordnet, laden dazu ein, zu stöbern und sprachliche Kostbarkeiten zu bestaunen.
Ich entdecke Werke siebenbürgischer Dichter, die bereits mein Vater gerne zitierte: „Et schnoat, et schnoat, et rample Floken …“ aus einem Gedicht des Mediascher Dichters Schuster Dutz erinnert mich an heimatlich-vertraute Zeiten. Und immer wieder finde ich Stimmungsbilder, die Heimweh erwecken, sei es in Naturgedichten oder in Werken, die vertraute Orte beschreiben. Greweln, Tramiterturm, Klettengasse oder die Schulen unserer Kindheit erstehen vor meinem inneren Auge und erwecken Sehnsucht.
Viele Gedichte und kurze Erzählungen sind zu Zeitbildern des siebenbürgischen Familien- und Gemeinschaftslebens aus vergangenen Jahren geworden, häufig satirisch, oft gepaart mit einem Augenzwinkern. Es werden lustige Alltagssituationen dargestellt, in denen Auseinandersetzungen in der Ehe oder zwischen Eltern und Kind, der zechende Ehemann, der lernfaule Schüler, der ungeschickte Jäger, die streitlustige Ehefrau und, und, und … liebevoll aufs Korn genommen werden. Dann wieder finde ich Gedichte zu gesellschaftlichen Ereignissen wie einer Hochzeit, dem „Chrästowend“ in der Stadtkirche oder einem Jahrmarkt früher und heute und vieles mehr, das vertraut anmutet, selbst wenn man nie dabei war. An anderer Stelle finde ich kurze Chroniken über das Leben und Wirken bekannter Künstler, ebenso Gedichte mit besinnlich-philosophischen Überlegungen.
Die neueren und zeitgenössischen Werke der Anthologie vermitteln ein spürbar verändertes Lebensgefühl. Nach der Auswanderung der großen Mehrheit der Siebenbürger Sachsen, vorwiegend nach Deutschland und Österreich, prägen neue Lebensumstände das Dasein und verändern Lebensweise und Lebenseinstellungen. Auch das vertraute Siebenbürgisch-Sächsische weicht mehr und mehr dem Hochdeutschen oder den Mundarten der neuen Heimatregionen.
Die Frage nach Zugehörigkeit, Tradition und den Werten des kulturellen Erbes wird zu einem zentralen Thema. Bleibt ihre Bewahrung unter diesen Bedingungen sinnvoll und möglich?
Die neueren Werke greifen beides auf: sowohl die Auswanderung und die Auseinandersetzung mit den neuen Lebensumständen als auch die Frage nach der Identität und Gemeinschaft in der neuen und der alten Heimat. Wir finden Gedichte und kurze Erzählungen, die wehmütig oder lustig die letzten Feiertage in der alten Heimat und gleiche Feiertage in der neuen Heimat beschreiben, satirisch-humorvolle Berichte über Auseinandersetzungen mit Ämtern oder Behörden. Neben nostalgischen Erinnerungen finden wir aber auch Auseinandersetzungen mit aktuellen Themen, sei es Corona oder Fragen zur Weltpolitik oder zum Klimawandel.
Die Fragen zum Erhalt einer kulturellen Gemeinschaft, Erhalt von Traditionen und deren Weitergabe an die kommenden Generationen finden sich vorwiegend in Form von Prosatexten. Besonders die vielen „Gedonken of Noasaksesch“ setzen sich meistens damit auseinander. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Aussage „Mer wällen blewen, watt mer sen“ wird gestellt und die Antwort jedem einzelnen überlassen. Das Thema des Zugehörigkeitsgefühls und der Verbindung zur alten Heimat wird aufgegriffen, oft ironisch („Mer wulen norr uch norr eweech …!“) und humorvoll, nie mit erhobenem Zeigefinger.
Nicht zuletzt geben die vielen Zeichnungen und Karikaturen von Wolfgang Untch dem Buch eine ganz besondere Note. Oft wirken sie mit leichter Feder gezeichnet, aber auf den zweiten Blick erschließt sich ein tieferer Sinn, lustig oder ernst, besinnlich oder satirisch. Auf alle Fälle waren sie für mich meistens leichter zu „lesen“ als manches Gedicht.
Günther Schuster, Ingrid Fillinger und Wolfgang Untch haben als Herausgeber und Co-Autoren mit dieser Anthologie einen wunderschönen Beitrag zum Erhalt der Sprache „Aold- und Noasaksesch“ geleistet. Wie kann sie besser aufgehoben sein als zwischen zwei Buchdeckeln? Abschließend bin ich froh darüber, die Herausforderung „Saksesch liesen“ angenommen zu haben und kann nur empfehlen, es selbst zu versuchen. Laut lesen hilft dabei. Die Herausforderung kann gern auch weiter verschenkt werden … Es weihnachtet …
Der „Medwescher Tramiter“ im Format 24×24 cm, fester Einband (Hardcover), 432 Seiten, mit über 200 Karikaturen und Zeichnungen, erschienen im Eigenverlag der HG Mediasch 2025, ISBN 978-3-00-079613-5, ist für 30 Euro zuzüglich Versandgebühren erhältlich. Bestellungen bitte unter
E-Mail: buecher[ät]mediasch.de.
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