7. Dezember 2025

Würdigen, pflegen und bearbeiten: Gedanken zu Geschichte, Identität und Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen

In der Siebenbürgischen Zeitung vom 7. Juli 2025 hat Horst Göbbel unter dem Titel „Komplex Artur Phleps II. Vor 80 Jahren: Flucht und Evakuierung aus Nordsiebenbürgen“ Tagebuchaufzeichnungen von General Artur Phleps (1881-1945) veröffentlicht. In einem Diskussionsbeitrag mit dem Titel „Unsere Faschisten“ hat Ortwin-Rainer Bonfert in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien vom 24. Juli 2025 dazu Stellung genommen. An dessen Ende heißt es: „Dieser Beitrag spiegelt die Meinung von Ortwin-Rainer Bonfert. Welches ist die Ihrige? Wir müssen reden.“
Dr. Hermann Fabini an seinem Schreibtisch im ...
Dr. Hermann Fabini an seinem Schreibtisch im Architekturbüro in Hermannstadt. Foto: Cynthia Pinter
Das kann man als eine Aufforderung verstehen, sich mit unserer Vergangenheit, aber auch mit unserem Selbstverständnis als Siebenbürger Sachsen zum gegenwärtigen Zeitpunkt auseinanderzusetzen. Das heißt aber auch, dass wir uns Gedanken machen über unsere Identität, und daraus folgt die Notwendigkeit der Arbeit an einem Konzept für den Umgang mit unserem kulturellen Erbe hier in Siebenbürgen.

Zu der Beurteilung unserer Geschichte scheint es mir zu kurz gegriffen, wenn wir hier das heute gängige Koordinatensystem der Verurteilung des Hitler-Faschismus und seiner Verbrechen übernehmen. Die Transzendierung dieses Regimes, das heißt die negative Heiligsprechung, die auch in der Erklärung seiner Einmaligkeit zum Ausdruck kommt, ist eine schlechte Voraussetzung für eine nüchterne und realitätsnahe Beurteilung geschichtlicher Tatsachen und Prozesse. Im Fall von General Phleps sollte man sich schon die Mühe machen, sich mit seiner Entwicklung, seiner Sozialisation und seiner Familie zu beschäftigen, um ein realistisches Bild seiner Persönlichkeit zu erhalten. Dazu gehört dann z. B. unter anderem auch, dass man die Leistungen seines älteren Bruders, des Architekten Hermann Phleps (1877-1964), mitberücksichtigt. Angesichts der Zeitenwende, in der wir uns gegenwärtig befinden, sollten wir uns grundsätzlich bemühen, die Richtwerte für unsere sächsische Geschichte und Identität aus einem Blickwinkel zu sehen, der nicht nur auf das 20. Jahrhundert fixiert ist, der vielmehr sich auch an den sieben vorangegangenen Jahrhunderten orientiert.

Wenn wir uns zum Zweiten dem Begriff Identität zuwenden, stellt sich die Frage, wie die weltweit verstreuten Siebenbürger Sachsen ihre Identität heute erleben. Da kann man in erster Linie an den alljährlichen Heimattag an Pfingsten in Dinkelsbühl denken, aber auch an die großen Sachsentreffen von 2017 und 2024 in Hermannstadt, mit ihren Festveranstaltungen auf dem Großen Ring. Was da an Brauchtumspflege und Erleben von Gemeinschaft geleistet wurde und wird, kann man nur mit Achtung und Wertschätzung zur Kenntnis nehmen. Auch können verschiedene sommerliche Veranstaltungen überzeugen, die für kurze Zeit neues Leben in die historische Umgebung der Dörfer in Siebenbürgen bringen und zu dem Erhalt dieser Ortschaften und ihrer Bausubstanz beitragen. Nur bleibt die Frage, ob man auf dieser Ebene von Brauchtumspflege und Gastronomie der in der Vergangenheit gewachsenen Identität der Siebenbürger Sachsen vollständig gerecht wird? Braucht es nicht gerade heute, in einer Zeit des Umbruchs – in der viele Grundsätze und Überzeugungen, die noch vor kurzem als unfehlbar und zuverlässig galten, auf den Prüfstand kommen – eine Neuausrichtung, die die geistige Dimension menschlicher Existenz, im Gegenüber zum materiellen leiblichen Dasein, auch in unserem siebenbürgisch-sächsischen Umfeld entsprechend berücksichtigt?
Innenansicht des Chores der Birthälmer ...
Innenansicht des Chores der Birthälmer evangelischen Kirche, die nach dem Erdbeben von 1977 in den achtziger Jahren restauriert wurde. Foto: Hermann Fabini
Diese Dimension können wir z.B. an verschiedenen Persönlichkeiten der siebenbürgisch-sächsischen Geschichte erkennen und festmachen, wie etwa dem Reformator Johannes Honterus (1498-1549), dem Gubernator Samuel von Brukenthal (1721-1803), dem Pädagogen und Pfarrer Stephan Ludwig Roth (1796-1849), dem Volkswirt Dr. Carl Wolff (1849-1929), dem Historiker und Pfarrer Georg Adolf Schuller (1862-1939), dem Architekten Fritz Balthes (1882-1914), dem Politiker Hans Otto Roth (1890-1953), dem Bischof Friedrich Müller-Langenthal (1884-1969) u. a.

In dem 1947 im „Christlichen Hausfreund“ erschienenen Beitrag „Vom Glaubensgrund unserer Kirche“ (Nachdruck in Gerhard Schullerus, „Aus Verantwortung für die Kirche”, Hermannstadt 2010, S. 69ff.) hat Friedrich Müller-Langenthal darauf hingewiesen, dass in der Geschichte der Siebenbürger Sachsen, vom Zeitpunkt ihrer Einwanderung bis ins 20. Jahrhundert, Glaubenserweckungen und Umkehr zu christlicher Treue die entscheidenden Voraussetzungen für den Erhalt ihrer Präsenz in diesem historischen Raum waren. Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Neuheidentum des Nationalsozialismus, durch Deportation zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion und die Demütigungen der Nachkriegszeit, war die Bereitschaft für ein grundsätzliches Umdenken und einen Neuanfang gegeben.

1989, als erneut eine Zeitenwende erfolgte, mit dem Ende des Kalten Krieges, der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, dem Untergang der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes, mit der Auswanderung der meisten Deutschen aus Rumänien, waren die Voraussetzungen für eine Neuorientierung nicht günstig. Zu stark hatte das Viertel Jahrhundert vor der Wende die Mentalität unserer Minderheit polarisiert, so dass eine nüchterne und weitblickende Beurteilung der gegebenen Lage damals praktisch nicht möglich war – weder hier noch bei der damaligen Landsmannschaft in Deutschland.

Heute, 35 Jahre nach der Wende von 1989, die zu der Auswanderung von über 90 Prozent der Siebenbürger Sachsen geführt hat, ist es, zum Dritten, legitim und sinnvoll, sich Gedanken über den Umgang mit dem geschichtlichen und kulturellen Erbe dieser Minderheit in Rumänien zu machen, die das in Jahrhunderten gewachsene geschichtliche und kulturelle Bild Siebenbürgens entscheidend mitgeprägt hat.

Der Umgang mit diesem Erbe hat mich, besonders im Bereich von Architektur, aber auch auf anderen Gebieten von Kunst und Wissenschaft, zeitlebens beschäftigt. Im Rückblick auf mein berufliches Leben als Architekt kann ich zwei unterschiedliche Lebensabschnitte sehen. Im ersten war ich, nach dem Studium in Bukarest, Angestellter bei unterschiedlichen staatlichen und kirchlichen Arbeitgebern: dem Bürgermeisteramt in Mediasch, dem Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, der staatlichen Denkmalpflege und dem Kommunalunternehmen des Kreises Hermannstadt.
Die Birthälmer Kirchenburg ist seit 1993 auf der ...
Die Birthälmer Kirchenburg ist seit 1993 auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes und deren Restaurierung wurde 1991 mit dem Europa Nostra-Preis ausgezeichnet. Foto: Hermann Fabini
Im zweiten Abschnitt, nach der Wende von 1989, bestand die Möglichkeit, eine eigene Firma zu gründen, die ich schon im Mai 1990 ergriffen habe. Dieses damals entstandene Architekturbüro war bis 2022 aktiv.

Im Mai 2012 haben günstige Umstände es ermöglicht, dass wir die Stiftung „Patrimonium Saxonicum“ nach rumänischem Recht gründen konnten. Das für die Gründung der Stiftung erforderliche Stiftungskapital von 100 Mindestgehältern (damals etwa 16000 Euro) konnte ich aus von der Firma ABF erwirtschafteten Beträgen zur Verfügung stellen. Seit ihrem Bestehen wurden durch die Stiftung, die auch von Partnern unserer Firma Unterstützungen erhielt, verschiedene Buch- und auch andere Projekte ermöglicht.

2015 gründete das Landeskonsistorium der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien die Stiftung Kirchenburgen, die sich in letzter Zeit stärker in Richtung Kirchenburgentourismus entwickelt hat. Durch die Besetzung des Postens des Leiters der Stiftung mit einem Fachmann für touristische Ereignisse in den Kirchenburgen, sogenannte Events, ist wohl beabsichtigt, diese Baudenkmäler auch wirtschaftlich effizienter zu nutzen. Sicher kann dies Konzept zum Erhalt und auch zur besseren Vernetzung mit der heutigen Bevölkerung der Dörfer beitragen. Für einen kompetenten Umgang mit diesen Zeugen einer Jahrhunderte alten Geschichte sollte komplementär zu dieser vorrangig materiellen Dimension ihre geistige Aussage entsprechend berücksichtigt werden. Das heißt, dass durch Dokumentation, Forschung und Kontrolle verhindert werden soll, dass die geschichtliche, soziale und ästhetische Aussage dieser Bau- und Kulturdenkmäler verfälscht, entstellt und letztendlich zerstört wird. Dass dies trotz der Existenz staatlicher Behörden passiert, die für den korrekten Umgang mit diesen historisch wertvollen Bauten sorgen sollten, kann stellvertretend am Beispiel Marienburg im Kreis Kronstadt deutlich gemacht werden.

Es stellt sich heute die Frage, wie in Zukunft mit unserer Stiftung „Patrimonium Saxonicum“ umgegangen werden soll. Aus meiner Sicht hat es die geistige Dimension des sächsischen Kulturerbes verdient, wie in der Vergangenheit auch hier in Rumänien und nicht nur in Deutschland – wo Gundelsheim diesbezüglich viel leistet – entsprechend gewürdigt, gepflegt und bearbeitet zu werden. Da dieses Kulturgut eng an die evangelische Kirche der Siebenbürger Sachsen gebunden ist, sollte das Vorhaben im Einvernehmen und in Zusammenarbeit mit der Kirche erfolgen.

Am Sitz der Stiftung und der früheren Firma ABF Architekturbüro Fabini in Hermannstadt, Wiesengasse (Tipografilor) 12, befinden sich Bestände von Informationsträgern, die für die erwähnte geistige Dimension des sächsischen Kulturguts von Bedeutung sind. Dieses Archivmaterial und der Verlag Monumenta, zusammen mit den entsprechenden Autorenrechten, soll meiner Vorstellung nach in den Besitz der Stiftung „Patrimonium Saxonicum“ übertragen werden. Das kann ein Beitrag für den kompetenten Umgang mit historisch wertvollem Kulturgut sein.

Dass die oben angesprochene Neuausrichtung der Gemeinschaft als Siebenbürger Sachsen eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit voraussetzt und dass diese auch anstrengend und schmerzhaft sein kann, sollte uns nicht daran hindern, uns diesem Prozess zu stellen. Dazu will dieser Beitrag anregen.

Dr. Hermann Fabini (Hermannstädter Zeitung)

Stiftung Patrimonium Saxonicum

Die Stiftung Patrimonium Saxonicum mit Sitz in Hermannstadt (Sibiu), Wiesengasse (Tipografilor) 12, verfügt über die folgenden Informationsträger:
1. Das Archiv mit Informationen über die 527 Orte, die im „Atlas der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und Dorfkirchen“, Band 1 und 2, und im erwähnten Buch „Sakrale Baukunst“ enthalten sind.
2. Ein Fotografie-, Film- und Plattenarchiv.
3. Archiv von Plänen für Restaurierungs- und auch Neubauprojekte von evangelischen Kirchen und anderen Gebäuden in Städten und Dörfern Siebenbürgens.
4. Fachliteratur für siebenbürgische Architektur und Städtebau, für Denkmalpflege und Restaurierung. Fachpublikationen aus dem Verlag Monumenta, die für den Verkauf bestimmt sind.

Mit Hilfe der Stiftung konnten von 2012-2024 folgende Vorhaben umgesetzt werden: die Veröffentlichung von: „Sakrale Baukunst in siebenbürgisch-sächsischen Städten“, die zweite Auflage von Band 2 des „Atlas der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und Dorfkirchen“, dritte Auflage der deutschen Fassung des Buches „Die Kirchenburgen der Siebenbürger Sachsen“ und das Buch „Charles Boner und die Siebenbürger Sachsen“.

Schlagwörter: Fabini, Kulturerbe, Siebenbürgen

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