12. Oktober 2021

Haus des Deutschen Ostens München feiert 50-jähriges Bestehen mit Tag der offenen Tür

Es ist inzwischen 51 Jahre her, seitdem das Haus des Deutschen Ostens München gegründet wurde. Als überregionales Kompetenz- und Vermittlungszentrum für die Kultur und die Geschichte der Deutschen aus dem östlichen Europa erfreut es sich inzwischen einer deutschland- und europaweiten Bekanntschaft. In das Geschehen des Hauses werden die Siebenbürger Sachsen vielseitig einbezogen. Am 26. September feierte das Haus des Deutschen Ostens sein Jubiläum – coronabedingt erst nachträglich – mit einem Tag der offenen Tür.
Das bunte Treiben begann schon im HDO-Foyer. Eine babylonische Sprachverwirrung gab es hier, so könnte man meinen. Nur eine kleine Korrektur sei erlaubt: alle sprachen dabei Deutsch. Ein Deutsch mit Akzenten eben: dem schlesischen, dem sudetendeutschen, dem russlanddeutschen, dem Banater – und auch mit dem siebenbürgischen.

Von dieser „Sprachenvielfalt“ beeindruckt, konnte man dann im ersten Stock des Hauses eine richtige Überraschung erleben. Die HDO-Jubiläumsausstellung „Wer bin Ich? Wer sind Wir? Zu Identitäten der Deutschen aus dem östlichen Europa“ (Kuratoren: Prof. Dr. Andreas Otto Weber, Patricia Erkenberg und Lilia Antipow) zeigte genau das, was man kurz zuvor akustisch in der Vielfalt der deutschen Sprache im östlichen Europa wahrnehmen konnte: die regionale Vielfalt, Ambivalenz, Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit der deutschen Identität in den deutschsprachigen Kulturräumen Osteuropas. Ein Zeichen dafür setzt auch das Interview des Münchner Stadtrats Dr. Florian Roth (Siebenbürgen), das an einer der Medienstationen der Ausstellung (insgesamt sind es sechs) angehört werden kann. Der Enkel eines der bedeutendsten Politiker Siebenbürgens in der Zwischenkriegszeit, Hans Otto Roth, und seit 2012 Vorsitzender der Fraktion Die Grünen – Rosa Liste im Münchner Stadtrat sprach über Hermannstadt und Siebenbürgen als „erzählte Welt“ und „erinnerte Heimat“.
Prof. Dr. Andreas Otto Weber, HDO-Direktor, beim ...
Prof. Dr. Andreas Otto Weber, HDO-Direktor, beim Festakt. Foto: Annette Hempfling
Brauchtum als konstitutives Element der siebenbürgischen Identität konnte man dann in den beiden Ausstellungsteilen erleben, die sich dem Heimattag in Dinkelsbühl und Faschingsbrauch des Urzellaufs widmete. Dank einer Leihgabe, die durch Vermittlung der Bundeskulturreferentin des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, Dagmar Seck, zustande kam, konnte das Originalkostüm einer Urzel in der Schau präsentiert werden. Die politische Instrumentalisierung der siebenbürgisch-sächsischen Trachten in den Jahren des Nationalsozialismus war das Thema einer Vitrinenexposition zum Portrait- und Landschaftsfotografen Hans Retzlaff (1902-1965). Seine Aufnahmen der Bräuche und Trachten der Deutschen in Siebenbürgen und in anderen Gebieten waren dem NS-Ideal von Nation, Rasse und „Großdeutschtum“ verpflichtet und dienten einer entsprechend geprägten „Völkerkunde“ zur visuellen Konstruktion des „arischen Menschen“. Die Literatur-, Musik- und Kunsttradition Siebenbürgens wird in der Ausstellung umfassend thematisiert u.a. am Beispiel der literarischen Medien wie die Zeitschriften Karpaten (von Adolf Meschendörfer) und Klingsor (von Heinrich Zillich), des Komponisten Carl Filtsch, des Waldemar-von-Baußnern-Musikfestes der 1920er Jahre und des Hermannstädter Bach-Chores sowie des Malers Heinz Schunn. Die Präsentation vor Ort, im HDO ist jedoch nur eine Version der Ausstellung – die im Realmodus. Das Projekt „Wer bin Ich? Wer sind Wir?“ ist dagegen viel mehr: eine multimediale Schau. Zwei weitere Versionen bestehen als digitale Editionen. Eine virtuelle Ausstellung im 3D-Modus, für deren technische Umsetzung Oliver Balazs (Berlin) zeichnet, erschließt die meisten Texte, Videos und Ausstellungsobjekte. In der YouTube-Reihe „Kurz erklärt“ gehen KuratorInnen und weitere Beteiligte auf bestimmte Themen und Objekte der Ausstellung ein. „Wissenshäppchen“ dazu bietet schließlich eine Telegram-Version der Jubiläumspräsentation.
Lilia Antipow bei der Lesung im HDO. Foto: Josef ...
Lilia Antipow bei der Lesung im HDO. Foto: Josef Balazs
Mehr über das Handwerk der Siebenbürger Sachsen erfuhr man bei der Präsentation von Christine Ober, einer Münchnerin und Gesinnungssiebenbürgerin, die seit vielen Jahren Kurse zur siebenbürgischen Stickerei im HDO anbietet und diesmal deren Grundtechniken vorstellte. Literatur mit dem Themenbezug zur Geschichte Siebenbürgens war ein Stockwerk höher bei der Lesung mit Lilia Antipow zu erleben, die aus der „Atemschaukel“ (2009) von Herta Müller las.

Wer die „Kulturreise“ durch das Haus abgeschlossen hat, konnte dann eine kulinarische „Reise“ antreten: In der HDO-Gaststätte „Zum Alten Bezirksamt“, die seit mehreren Jahren von der gebürtigen Brenndorferin Annerose Kloos geführt wird. Neben anderen Köstlichkeiten aus der deutschen Küche des östlichen Europas standen auch diesmal Speisen aus der siebenbürgischen Küche auf dem Programm – ob Palukes oder Mici.

Abschluss der Festivitäten bildete der Festakt am Abend des Tages. Der amtierende Direktor des Hauses, der Mittelalter- und Frühneuzeit-Historiker Prof. Dr. Andreas Otto Weber, eröffnete ihn mit einem prägnanten und kurzweiligen Festvortrag, einer Leistungsschau seines Hauses in den letzten fünfzig Jahren. Das Konzert „Crossing Life Lines“ mit dem faszinierenden Mulo Francel und seiner Band ließ das Publikum diesen Tag mit einem emotionalen Höhepunkt abschließen.

Dieses Programm am Tag der offenen Tür steht nur als pars pro toto. Wie dem Vortrag von Professor Weber zu entnehmen war, waren Veranstaltungen zur Geschichte und Kultur Siebenbürgens vom Gründungsjahr des HDO 1970 an und bleiben bis heute ein fester Bestandteil des Bildungs- und Kulturprogramms des Hauses. In seiner Amtszeit wurde dieser Themenschwerpunkt verstärkt ausgebaut. Alleine der Blick auf die letzten Jahre zeigt die Themen- und Formatvielfalt des Siebenbürgen-Programms. Zu Glanzstücken dieses Programms gehören: Festveranstaltung „‚Mit der Prägnanz kleistischer Sprachkunst‘. Ehrung des Schriftstellers Hans Bergel in seinem 95. Lebensjahr“ mit Josef Balazs, Hannes Höchsmann und dem Peter Clemente String Quintet in der Allerheiligen Hofkirche der Münchner Residenz; Ausstellungen von Sieglinde Bottesch und zur „Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgen – ein europäisches Kulturerbe“ (2019); Vorträge zu Grete Csaki-Copony und Margarete Depner mit Dr. Heinke Fabritius(2020) und zum Frauenweltbund zur Förderung internationaler Eintracht (Siebenbürgisch-Sächsische Sektion) mit Dr. Ingrid Schiel; Lesungen mit Hellmut Seiler (2018), Iris Wolf (mehrfach, zuletzt 2021) und Dagmar Dusil (2019); Buchpräsentationen mit Prof. Dr. Pieter M. Judson („Habsburg – Geschichte eines Imperiums“) und Prof. Dr. Jürgen van Buer („Der befestigte Glaube. Kirchenburgen in Siebenbürgen“). Auch in den HDO-Ausstellungen „Das ‚Who is Who‘ der Deutschen aus dem östlichen Europa“ (Dauerausstellung), „Mitgenommen – Heimat in Dingen“ (2015), „Kann Spuren von Heimat enthalten“ (2017) und in der oben erwähnten aktuellen Schau „Wer bin Ich? Wer sind Wir? Zu Identitäten der Deutschen aus dem östlichen Europa“ waren Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen umfassend vertreten. Das gleiche gilt für die sehr erfolgreiche HDO-Programmreihe „Versailles, Trianon, Brest-Litowsk: Das lange Ende des Ersten Weltkrieges und das östliche Europa“ (https://daslangeendevon1918.de/), die 2019-2020 stattgefunden hat. So war „Gesellschaftlicher Wandel und Minderheitenschutz in Ungarn und Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg“ Thema eines Symposiums unter Beteiligung von IKGS-Direktor Dr. Florian Kührer-Wielach, Prof. Dr. Gerhard Seewan (München), des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten und Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, Dr. Bernd Fabritius, und des Schriftstellers und Historikers Györge Dalos.
Mulo Francel and Friends beim Jubiläumskonzert. ...
Mulo Francel and Friends beim Jubiläumskonzert. Foto: Annette Hempfling
Die zahlreichen Projekte und Veranstaltungen zum Themenbereich Siebenbürgen, die in diesen Jahrzehnen über das HDO-Sachgebiet Kulturförderung bezuschusst wurden, zu nennen hieße den Rahmen dieses Beitrags zu sprengen. Der stellvertretende Direktor des HDO, Thomas Vollkommer, und seine Mitarbeiterin Hariett Schmidt (ihre Heimat liegt in Siebenbürgen, in Stolzenburg) standen schon vielen Antragstellern mit Rat und Tat zur Seite.

Teil der Brückenfunktion des HDO für das Verhältnis zwischen dem Freistaat Bayern und seinen östlichen Nachbarländern ist der Ausbau der Kulturkontakte nach Siebenbürgen. Mit der Ausstellung „Kann Spuren von Heimat enthalten“ durften wir im Sommer 2019 Gäste im Begegnungs- und Kulturzentrum „Friedrich Teutsch“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (Hermannstadt) sein. Von Mai bis Oktober 2022 wird im Friedrich-Teutsch-Haus eine weitere Ausstellung – „FREMD : VERTRAUT. Kronstadt: Hermannstadt, fotografiert von Jürgen van Buer“ – gezeigt, ein Kooperationsprojekt des HDO und des Teutsch-Hauses, kuratiert von Josef Balazs (Nürnberg) und weiteren Beteiligten. Dass ein derart breites und vielfältiges Programm nie ohne Kooperationspartner umzusetzen ist, gilt auch in diesem Fall. Teil eines landes- und europaweiten Netzwerks der Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen, die sich mit dem östlichen Europa, seiner Geschichte und seinen Kulturen auseinandersetzen, kooperiert das HDO im Rahmen seines Siebenbürgen-Programms mit dem Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., der Kulturreferentin für Siebenbürgen, dem Generalkonsulat Rumäniens in München, dem IKGS an der LMU (München), dem Goethe-Institut Bukarest, der Stiftung Kirchenburgen (Hermannstadt / Sibiu).

Das HDO war und bleibt ein Verhandlungsort über Geschichte und Kultur Siebenbürgens und, was vor allem wichtig ist, ein Begegnungsort für die Siebenbürger Sachsen – und die Gesinnungssiebenbürger. Für Jung und Alt.

Lilia Antipow



Lilia Antipow ist promovierte Slavistin und leitet seit 2018 das Sachgebiet Öffentlichkeits-, Medien- und Pressearbeit und Bibliothek am Haus des Deutschen Ostens München.

Schlagwörter: Haus des Deutschen Ostens München, Jubiläum, Tag der offenen Tür, Antipow, Hermannstadt, Weber, Brauchtum, Seck, Kulturreferat

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