27. August 2022

Rektor Georg Seraphin (1669-1677): Festschrift zur 500-Jahr-Feier des Schäßburger deutschen Gymnasiums 1522-2022

„Wo konnten die Musen besser ihren Wohnsitz aufschlagen, als hier auf der freien Höhe des Berges, erhaben über das Getöse des geschäftigen Lebens, von wo man eine entzückende Aussicht genießt auf die wald- und rebenbepflanzten Berge oder die fruchtbaren Äcker der Ebene? Wo kann der durch Studien ermüdete Geist rascher Erholung finden als unter dem Blätterdach der Bäume in der nächsten Umgebung der Schule?“ Mit diesen warmen Worten in Latein begrüßt Georg Seraphin in seiner Antrittsrede vom 23. November 1666 seine Vaterstadt und Schule: „Dulce decus meum, Musarum domus egregia, salve illustruis Schaessburga, patria dulcissima…“ Damit wäre schon fast alles gesagt; damals wie heute. „Indess ist es Zeit“, fährt Seraphin – mein direkter Vorfahre – fort, „dass ich zu meinem Gegenstand zurückkehre und ein Bild ,Von der richtigen Erziehung der Jugend‘ gebe.“
Ein Sägsischer Stadt Schuhl Meister ...
Ein Sägsischer Stadt Schuhl Meister
Georg Seraphin wurde um 1640 in Schäßburg in Siebenbürgen geboren. Der Vater von Georg Seraphin hieß ebenfalls Georg Seraphin und war Schneider. Er starb am 21. Oktober 1646 an der Pest, als der kleine Georg erst sechs Jahre alt war, fast zeitgleich mit einem einjährigen Brüderchen Martin, das nur drei Wochen nach dem Vater diesem in den Schwarzen Tod folgte. Die Pestepidemie grassierte mit unerbittlicher Wut in Schäßburg, von Herbst 1645 bis Frühjahr 1647, und forderte 1800 Menschenopfer – eine Tragödie, die man sich heute nicht mehr vorstellen kann! Dank der modernen Medizin ist die Pest zwar heute so gut wie ausgerottet, aber wir haben dafür die weltweite Pandemie mit dem Coronavirus.

Georgs Mutter Barbara, geb. Gräf (*1612), wurde 80 Jahre alt und starb 1692 bei ihrem Sohn Georg in Hundertbücheln, als dieser hier bereits ein hochverehrter Pfarrer war. Georg Seraphin besuchte zunächst die Schule seiner Vaterstadt Schäßburg, die 1522 unter „Dom. Baccalaureus Rector“ erstmals urkundlich erwähnt wird. Heute im Jahr 2022 nehmen wir dies als Gründungsdatum an und feiern die 500-Jahr-Feier des Schäßburger Gymnasiums. Das erste Gebäude stand auf der Höhe des „Schulberg“ neben der Bergkirche und war teilweise in die Burgmauer eingelassen. Unter Rektor J. G. Mild wurde dieser Bau 1793 erweitert und umgebaut. Er trug fortan die stolze Aufschrift: „PATRIAE FILIS VIRTUTI PALLADIQUE SESE VOVENTIBUS SACRUM – Den Söhnen des Vaterlandes, die sich der Tugend und Wissenschaft weihen, ein Heiligtum“.

Diese Inschrift ziert auch heute noch, im Jahre 2022, das Schäßburger Gymnasium, das 1901 eine erneuerte Erweiterung und Umbau an gleicher Stelle, in neogotischem Stil erfuhr. Wenige Schritte davon entfernt wurde 1619 ein neues Schulgebäude aufgeführt. Es erhielt, die für den Sinn der Siebenbürger Sachsen und die Bedeutung, welche sie der Schule beilegten, bezeichnende Aufschrift: „schola seminarium reipublicae 1619“.

1660-62 wurde eine Schülertreppe gebaut, die mit ihren „an die 300 Stufen“ den Lehrern und Schülern den täglichen Auf- und Abstieg zum Gymnasium erleichterte. Daher leitete man in Schäßburg das Wort „Gymnastik“ als körperliche Ertüchtigung von „Gymnasium“ ab.

Nach dem Besuch der Schule in seiner Vaterstadt zog Georg Seraphin weiter an die Lateinschule in Großschenk und später nach Klausenburg. Zum Studium begab er sich nach Nürnberg „in agrum Noricum deveni“, wo er seine Ausbildung an der Schule „Zum heiligen Geist“ und am „Gymnasium publicum“ fortsetzte. Letzteres stand damals unter der Leitung des protestantischen Theologen Johann Michael Dilherr (*1604). Dieser hat auf Seraphin einen vorzüglichen Eindruck gemacht, sodass er ihm in seinen Schriften 1669 einen schönen Nachruf widmete.
Georgius Seraphin Schesburga-Transyl. ...
Georgius Seraphin Schesburga-Transyl. Immatrikulation an der Uni Jena 1660
Sein weiterer Lebensweg führt ihn an die altehrwürdige Universität Jena, wo er am 17. April 1660 inskribierte. Der Eintrag in der Uni-Matrikel ist auch heute noch zu lesen und lautet: „Georgius Seraphim , Schesburga-Transyl., S. 1660; Dep. 17. 4. 1660.“ Noch zu DDR-Zeiten, und durch den „Eisernen Vorhang“ hindurch erreichte mich 1987, auf meine Anfrage hin, diese für unsere Familie so interessante Eintragung vom Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena bzw. von deren Archivleiter Dr. Herz.

An der Universität Jena war er ein sehr fleißiger Student und hat die Diktate der Dozenten in den Vorlesungen gewissenhaft nachgeschrieben und später in die Heimat mitgebracht. Diese Manuskripte sind uns in zwei starken Quartbänden, oh Wunder, bis heute erhalten geblieben. In Jena stand er ganz unter dem Einfluss der freien Theologen, die eine humanistische und ästhetische Richtung vertraten. Zu diesen gehörten u. a. Johann Musaeus, Johann Gerhard und Friedemann Bechmann. Auch das Studium der Geschichte hat Seraphin unter Prof. Sleidanus sehr interessiert. In den Bereichen der Medizin besucht er Vorlesungen über Metaposcopie, die Charaktereigenschaften aus den Gesichtszügen zu deuten versucht, und „Chiromantie – ist eine approbierte Wissenschaft, die lineamenta und andere Zeichen in des Menschen Hand zu erkennen und darvon zu Urteilen“ (Handlesen).

Wegen einer grassierenden Epidemie muss Seraphin seine Studien in Jena bedauernswerterweise abbrechen. Er gedenkt zwar in die Heimat zurückzukehren, aber auch dieser Weg ist ihm wegen der andauernden Kriegswirren versperrt. Zum Glück findet er eine Anstellung als Erzieher im Haus des Baron Wolfgang Ehrenreich Storch de Claus, der im Oberschloss von Vach bei Fürth residierte. „Hier fühlte ich mich zufriedener als Krösus und glücklicher als Polykrates von Samos“.

Eine erfreuliche Nachricht erreicht ihn hier 1666 aus dem fernen heimatlichen Schäßburg; der Rektor des Gymnasiums Joseph Ockershauer beruft ihn auf die vakante Stelle des Lektoren. „Dieser Aufforderung konnte und durfte ich mich – wie es Gewissenspflicht ist – nicht verschließen und beschloss dem Rufe zu folgen“. Am 23. November 1666 hielt er seine Antrittsrede in lateinischer Sprache, als neuer Lektor am Gymnasium von Schäßburg.

Es war Sitte, dass der neuangestellte Lehrer in feierlicher Versammlung in sein Amt eingeführt wurde. An dieser Einweihungsfeier nahmen der Stadtpfarrer als Schulinspektor, der Bürgermeister, die übrigen weltlichen Beamten, die Geistlichen, Bürger der Stadt und Anverwandte von Seraphin sowie die Lehrer und Schüler der Anstalt teil. Der Rektor des Gymnasiums Josef Ockershauer stellte dann den neuen Lehrer Georg Seraphin in feierlicher Rede vor und widmete sich anschließend dem Thema der Pflege der Wissenschaft, die vornehmlich in der Schule ihren Lauf nimmt und mit dem Handel vergleichbar ist: Die Schule ähnelt einem Marktplatz, auf dem die Verkäufer die Lehrer sind. Die Ware, die sie darzubieten haben, ist eine lautere, unverfälschte Lehre der Wissenschaft. Die Schüler sind die Käufer dieser Schätze des Wissens, die sie ihrerseits mit Freude und Interesse aufnehmen sollen.

Nach diesem ersten Teil übergibt der Rektor das Wort dem neuen Lektor Georg Seraphin, der nun die Rednerkanzel besteigt und seine Antrittsrede in Latein hält. Latein war die führende Sprache der Gelehrten in Literatur, Wissenschaft, Politik und Kirche in ganz Europa bis ins 19. Jahrhundert und, neben Deutsch und dem siebenbürgisch-sächsischen Dialekt, Unterrichtssprache auch an der Schäßburger Schule.

„Oratio inauguralis de bene informanda iuventute“ – Die richtige Erziehung der Jugend

Diese Antrittsrede ist uns im Original in Latein erhalten geblieben und geht über mehrere Seiten. Da ich aber, 300 Jahre später am gleichen Gymnasium, nur das kleine Latinum machte, musste ich mir 1991 die Rede von Oberstudiendirektor a. D. Heinrich Müller aus Mülheim an der Ruhr für die stolze Summe von 700 DM ins Deutsche übersetzen lassen. Und so ist auch heute noch wahr, was Rektor Ockerhauer in seiner Präsentation vor drei Jahrhunderten schon wusste: „Die Schule ist ein Marktplatz“.

Die Antrittsrede von Seraphin besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen:
Der erste Teil handelt von der Wandelbarkeit des Glücks im Allgemeinen, illustriert mit Beispielen aus seinem eigenen Werdegang im Speziellen. Dabei schildert er seinen bisherigen Lebensweg, der oft schwierig und dornenreich war, aber auch viele sonnige Glücksmomente enthielt, nicht zuletzt auch die Berufung als Lektor an die Schäßburger Schule.

„Glück“ ist ein häufig genanntes Ziel der antiken und modernen westlichen Erziehung. In Deutschland begründete der ehemalige Schulleiter Ernst Fritz-Schubert 2009 ein Institut, das für das Schulfach „Glück“ eintritt. Hier sollen Lebenskompetenz, Lebensfreude und Persönlichkeitsentwicklung als regelmäßiger Unterrichtsgegenstand im schulischen Alltag etabliert werden. So fortschrittlich war Georg Seraphin bereits 1666 schon!

II. „Indes ist es Zeit, daß ich zu meinem Gegenstand zurückkehre, und ein Bild der richtigen Erziehung der Jugend gebe: Wenn ein Gemeinwesen auf lange Zeit hinaus seinen Bestand sichern will, so ist dazu die erste Bedingung, daß für eine richtige Erziehung der Jugend Sorge getragen werde…

Ist die Schule eine Erziehungsstätte, so soll der Lehrer in seiner ganzen Persönlichkeit ein Beispiel der Nachahmung bieten; im Lebenswandel und Charakter…

Der Lehrer soll jeden Schüler nach seiner Individualität behandeln und danach seine pädagogischen Mittel wählen.“

Anschließend wendet sich Seraphin an die Schüler, denen er die Religiosität ans Herz legt, mit häufigen Gebeten, sowie eine Reinheit und Unbescholtenheit des Lebenswandels. Er empfiehlt den Schülern Grundtugenden anzustreben, wie: Fleiß, eigene Fähigkeiten ausbilden bzw. Mängel ausmerzen und begeistert am Unterricht teilnehmen. Abschließend dankt der Redner seinen Befürwortern, die ihn an die Schule berufen haben.

Bald nach seiner Anstellung als Lehrer heiratet Seraphin 1668 die Pfarrerstochter Esthera Keller aus Braller, mit der er vier Kinder hat: Georg, Catharina, Esthera und Anna. Nach 27-jähriger Ehe stirbt seine Frau 1697 in Hundertbücheln, wo er ein zweites Mal heiratet und 1697 eine weitere Tochter bekommt. Seine zweite Frau stirbt als Witwe 1709 in Schäßburg an der Pest.
Schessburg 1699. Die Schule, am höchsten Punkt ...
Schessburg 1699. Die Schule, am höchsten Punkt der Burg, bereits 1522 erstmals erwähnt. Georg Seraphin war von 1669-1677 ihr 35. Rektor. Radierung von Giovanni Morando Visconti
Georg Seraphin ist drei Jahre als Lehrer am Gymnasium tätig und wird 1669 zum Rektor ernannt. Auch bei dieser Beförderung zum höchsten Schulamt hält er eine Antrittsrede, in der er sich als neuer Rektor vorstellt: „Ihr möget wissen, daß der hochwohlweise Rat mich unlängst zum Rektor ernannt und bestellt hat. Euch Alle und jeden Einzelnen ermahne ich, fordere ich auf, bitte und beschwöre ich, Daß ihr mir dieselbe Liebe, die ihr mir bisher entgegengebracht habt, auch weiterhin zu Teil werden lasset…“

Eine der wichtigsten Taten in seiner Funktion als Rektor des Gymnasiums ist neben dem Unterricht der Schüler die Einführung eines neuen Schulgesetzes im Jahre 1675. In der Präsentation dies Gesetzes vertritt er die Meinung, dass es besser und gerechter ist für einen Richter oder Rektor, nach einem festgeschriebenen Gesetz zu entscheiden, als jeden Einzelfall stets aufs Neue, im Staat wie auch an der Schule, zu interpretieren.

Aber die Schule bestand nicht nur im Lernen, auch das Feiern gehörte in den Ablauf des Schuljahres. Ein wichtiges Fest war das Gregorius-Fest, das noch aus der katholischen Zeit stammte und auf den 12. März fiel. Im Laufe der Zeit wurde es zu einem Frühlingsfest, ohne starre Datierung. In Schäßburg fiel mit der Feier auch eine öffentliche Jahres-Prüfung zusammen, nach der die Versetzung der Schüler in die höheren Klassen vorgenommen wurden. Im Jahre 1672 wurde das Fest mit der Gedächtnisfeier des jüngst verstorbenen Schäßburger Stadtpfarrers (1653-1671) Paul Graffius verbunden und mit Lobesreden und geistlicher Musik ausgemalt. Im Jahre 1675 eröffnete Rektor Georg Seraphin das Gregorius-Fest mit einer feierlichen Rede, in welcher er den Wert der Wissenschaften gegenüber ihren Verächtern darlegte.

In seinen Manuskripten findet sich noch eine große Anzahl von Ansprachen, so auch zum Gallus-Fest, das am 16. Oktober gefeiert wurde, und an dem die Schüler und Lehrer Ausflüge in die umliegenden Eichenwälder zum Einsammeln von Galläpfelchen machten, die zur Herstellung der Eisen-Gallus-Tinte dienten.

Zur Schärfung der Schlagfertigkeit und Redegewandtheit der Schüler wurde jeden Samstag um 9 Uhr eine Disputation abgehalten, in der ein Streitgespräch zwischen zwei Parteien öffentlich ausgefochten wurde. Von Rektor Seraphin sind uns zwei davon in seinen Manuskripten erhalten geblieben.

Rektor Georg Seraphin bekleidete sein Amt acht Jahre, von 1669 bis 1677, eine lange Zeit für damalige Verhältnisse. Bei den Siebenbürger Sachsen und ihrer evangelischen Kirche war über all die Jahrhunderte der Lehrer- und Pfarrer-Beruf ein einheitliches Berufsbild. Es war erstrebenswert, nach einer gewissen Zeit als Lehrer bzw. Rektor eine Pfarrerstelle anzustreben, da die soziale Stellung in der Gemeinde und die Vergütung eine bessere war. In diesem Sinne wechselte Georg Seraphin 1677 zunächst für kurze Zeit in die Stelle des Montagspredigers in Schäßburg. Im gleichen Jahr 1677 wurde er zum Pfarrer von Hundertbücheln, einem wohlhabenden Dorf in der Nähe von Schäßburg, mit einer imposanten Kirchenburg auf einem von hundert Bücheln-Hügeln, gewählt. Hier wirkte er viele Jahre segensreich für seine Gemeinde und wurde sogar Dechant des Kosder Kapitels. Dies ist aber eine andere Geschichte.

Nach einem erfüllten, arbeitsreichen Leben berief der Herr den Schüler, Lehrer, Rektor und Pfarrer Georg Seraphin im Jahre 1700 zu sich. Unser Vorfahre Rektor Georg Seraphin soll hier als Pars pro toto für die unzähligen Schüler- und Lehrer-Generationen mit ihren jeweiligen Einzelschicksalen stehen, die unsere Bergschule von 1522 bis auf den heutigen Tag besucht, gelehrt und gelernt haben. Wir sind ihnen allen zu Dank verpflichtet und froh, dass wir das Fest der 500-Jahr-Feier des Deutschen Gymnasiums in Schäßburg gemeinsam feiern dürfen. Gaudeamus igitur!

Dr. Rolf Reinhold Schneider, Oberhausen

Schlagwörter: Schäßburg, Bergschule, Schulgeschichte

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