20. November 2022

Literarischer Brunch im HDO: Carmen Elisabeth Puchianu, Kristiane Kondrat und Hilde Link bei „Frauen schreiben Geschichte(n)“

Fast bis auf den letzten Platz besetzt waren die hübsch gedeckten Tische, an ebenso ungewöhnlichem wie jedoch gerade passendem Ort: der Bibliothek des Hauses des Deutschen Ostens (HDO) in München. Gemeinsam mit den Kulturwerken der Siebenbürger Sachsen und der Banater Schwaben sowie dem Verlag danubebooks hatte das HDO zu einer literarisch-kulinarischen Matinee geladen, am Sonntag, den 16. Oktober 2022.
Die Beteiligten der Veranstaltung: Gergely ...
Die Beteiligten der Veranstaltung: Gergely Szurgyi, Dr. Enikő Dácz, Dr. Lilia Antipow, Prof. Dr. Carmen Elisabeth Puchianu, Dr. Iris Oberth, Dr. Hilde Link, Sigrid Katharina Eismann und Kristiane Kondrat (von links). Foto: HDO
Carmen Elisabeth Puchianu, Kristiane Kondrat und Hilde Link waren die Gäste der zweiten Ausgabe der jährlichen Lesereihe „Frauen schreiben Geschichte(n)“. Die Themen der drei Autorinnen sind in den multikulturellen und mehrsprachigen Geschichts-, Kultur- und Sprachräumen Südosteuropas angesiedelt. Sie kamen zu ihnen auf unterschiedlichem Wege. Puchianu wurde im siebenbürgischen Kronstadt geboren und ist heute eine der bedeutenden Akteurinnen seiner Kulturszene. Kristiane Kondrat stammt aus dem Banater Bergland – und dieses ist als literarischer Topos in ihrem Werk präsent. Die gebürtige Münchnerin Hilde Link führte ihr Interesse an historischen Themen an die Orte der donauschwäbischen Geschichte. So vielschichtig dieser Kulturraum ist, mit dem sich die drei ­Autorinnen in ihren Werken auseinandersetzen, so literarisch und thematisch vielseitig waren auch die drei Lesungen, die dem beeindruckten Publikum geboten wurden.

Musikalisch vortrefflich umrahmt – und teils spontan auch mitgestaltet, bei der performancehaften Lesung von Carmen Elisabeth Puchianu – wurde die Veranstaltung von Gergely Szurgyi und seinem berührenden Gitarrenspiel.

Dr. Iris Oberth, die Leiterin des Kulturwerks der Siebenbürger Sachsen, begrüßte im Namen des HDO und der weiteren Veranstalter die Gäste und stellte die erste Autorin vor. Professor Dr. Carmen Elisabeth Puchianu ist Schriftstellerin, Theaterschaffende und Germanistin. Nach dem Besuch der deutschen Schule in Kronstadt und dem Abitur am Honterus-Gymnasium studierte sie Anglistik und Germanistik an der Universität Bukarest. Nach einigen Jahren Tätigkeit im Schuldienst ist sie seit 1995 Lektorin und Dozentin, seit 2017 Professorin für Deutsche Literatur an der Transilvania Universität, Kronstadt. Als Schriftstellerin, vor allem aber auch als Regisseurin und Darstellerin der experimentellen Bühne trat sie erstmals Anfang der 1990er Jahre in Erscheinung. Sie hat unter anderem einen Gedichtband sowie einen Roman und mehrere Bände mit Erzählungen veröffentlicht. Im Haus des Deutschen Ostens las sie aus ihrem 2019 erschienen Werk „Die Professoressa. Ein Erotikon in gebundener und ungebundener Rede“. Wobei Puchianu, ganz Bühnenmensch, ihren Vortrag mehr als performancehafte Lesung gestaltete. So kommt der „Entertainer Tod“, der in Frack und Lackschuhen tanzt, dem Publikum besonders nahe, so wird „Polnisches zum Dessert“ noch eindrucksvoller serviert. Die Texte des Bandes, die Gedichte und die kürzeren, meist recht szenischen Prosastücke, zeichnen sich gleichermaßen durch ihre, mitunter sehr humorvolle, Groteske sowie durch ihre Hintergründigkeit aus. So tritt der Tod im gleichnamigen Gedicht als formvollendeter Entertainer mit Charme auf (in weiteren Gedicht als Liebhaber, Feinschmecker oder auch Palaverer), so bekommt das „Polnische zum Dessert“ am Ende der Erzählung von der Anziehung zwischen einer Hochschuldozentin und einem polnischen Gastprofessor während eines Kongresses mit dem bizarren Hereinbrechen des Todes, gerade als es zur Sache geht, mittels einer wahrlich grotesken Erinnerung endgültig den bitteren Beigeschmack, der bereits während des gesamten, mit enorm scharfsichtigen Humor erzählten Flirts fahl auf der Zunge lag. In all den erotischen, genussvollen und emotionalen Erfahrungen der Protagonisten geht es letztlich um die Begegnung mit dem Tod. Der Tod als ständiger Begleiter der Figuren. Die komplexe Beziehung zum Tod wird in den Texten intensiv und facettenreich betrachtet. So ist die Einstellung dem Tod gegenüber zuweilen melancholisch, oftmals jedoch auch ironisch, grotesk oder karnevalesk und durchaus auch voyeuristisch. In ihrem, nun, herrlich lebendigen Vortrag hat Carmen Elisabeth Puchianu ihrer Zuhörer eindeutig in den Bann der schillernden und verstörenden Auseinandersetzung mit dem Tod und manchen Absurditäten des Lebens geschlagen.

Nach einer kurzen Pause, in der die Gäste neben Gergely Szurgyis Gitarrenklängen auch das von der Gaststätte „Zum Alten Bezirksamt“ bereitete Büfett genossen, folgte der zweite Lese- und Gesprächsblock.

Hier übernahm danube books-Verleger Thomas Zehender die Moderation und stellte „seine“ Autorin Kristiane Kondrat vor. Sie nimmt in der deutschsprachigen Literatur aus dem Banat eine Sonderstellung ein: im Mittelpunkt ihres Werks, das u.a. ihre „Schubladen-Texte“ aus der Zeit der kommunistischen Literatur in Rumänien verarbeitet, steht das Thema der „existenziellen Unbehaustheit des Menschen“ (Spiegelungen), das sie, sich an der Grenze zwischen Realität und Fiktion bewegend, in surrealen Bildern poetisch aufarbeitet. Kristiane Kondrat, eigentlich Aloisia Bohn (das Pseudonym war aufgrund drohender Restriktionen seitens des kommunistischen Rumäniens bei Publikationen nötig), wurde 1938 in Reschitza im Banater Bergland geboren und stammt aus einer deutschsprachigen Familie mit sozialdemokratischer Tradition. Eine prägende Erfahrung, die sie auch in ihren einführenden Worten thematisiert. Nach dem Studium der Germanistik und Rumänistik in Temeswar arbeitete die Lyrikerin und Autorin als Deutschlehrerin und Kulturredakteurin der Neuen Banater Zeitung. Bereits in Rumänien publiziert Kondrat ihren ersten Gedichtband. Seit 1973 lebt und arbeitet sie in Deutschland, unter anderem war sie als freiberufliche Kulturjournalistin für die Süddeutsche Zeitung tätig. In ihrem 2021 erschienen Roman „Bild mit Sprung“ werden Kindheitserinnerungen aus dem Banater Bergland wieder wach, erzählt aus der Sicht des Kindes und der sich erinnernden Erwachsenen, zwischen Realität und Fiktion. Hierzu führt die Autorin aus: „Es war mein Wunsch gewesen, […] die Landschaft und den Ort meiner Kindheit wie auch die Atmosphäre der damaligen Zeit wieder erstehen zu lassen […] Doch nicht nur ‚eine Welt, die es so nicht mehr gibt‘, wollte ich in Erinnerung bringen, sondern vielmehr das Kindsein selbst, das jeder anders, jedoch ähnlich erlebt hat; die Welt, wie sie ein Kind im ‚magischen Alter‘ mit all seinen Sinnen wahrnimmt.“ In berückend schöner Prosa und poetischen Bildern, in denen wir mit dem Kind die Nachbarinnen beim Tratsch beobachten und sich die Hälfte eines Wochentages einfach im Erinnerungsnebel verliert, der eigentlich einem Sonntag eigen ist, entrollt Kondrat eine Familiengeschichte aus dem Banater Bergland, die Erschreckendes und Berührendes in sich trägt.

Nach einem weiteren – auch kulinarischen – Interludium folgt der Vortrag der dritten Autorin dieser Matinee: Dr. Hilde Link und ihr 2021 ebenfalls bei danube books erschienener Oral History-Roman aus der Wojwodina (Vojvodina) „Die Weltreisenden–Schleichwege zum Hass“ wurde von der Initiatorin der Veranstaltung und Gastgeberin Dr. Lilia Antipow vorgestellt. Das Themenspektrum, mit dem sich die renommierte Ethnologin Hilde Link in ihrem Werk auseinandersetzt, reicht von der gesellschaftlichen Situation intergeschlechtlicher Menschen über das sakrale Theater und religiöse Raum- und Zeitkonzeptionen in Indien bis zur Nationalität und Identität im transnationalen Diskurs. Hilde Link studierte Ethnologie, Philosophie und katholische Theologie. Sie arbeitete in Forschung und Lehre am Institut für Ethnologie der Freien Universität Berlin, am Institut für Ethnologie der LMU München, an der Pondicherry University, Indien, und an der Università della Svizzera Italiana in Lugano, u.a. zu Identität und Nationalität. Sie hat bislang acht Bücher veröffentlicht. In ihrem neuesten Roman geht es um die sogenannten „Weltreisenden“, arglistigen Gesellen, die schon Ende der Zwanzigerjahre aus dem Reich auf dem Balkan auftauchten und in der dortigen Bevölkerung Hass und Zwietracht säten. Das Buch geht der Frage nach, welche Mechanismen funktionieren, welche Kräfte sind am Werk, dass aus Nachbarn Feinde werden, dass Ausgrenzung im Massenmord endet, dass antisemitische Hetze zur Vernichtung von Juden führt? Wie ist es dazu gekommen? Basierend auf Zeitzeugenberichten, erzählt Link die Geschichte von zwei Freunden und einem jüdischen Mädchen in einem serbischen Dorf. Da spielt sich im Kleinen ab, was im Großen geschieht. Sepp, Friddi, Lena und ihre Familien geraten in den Sog von politisch organisierter Gewalt. Dabei fing alles doch so harmlos an, mit einem Spielenachmittag für die Kinder der Region.

Im Anschluss an die drei Lese- und Literaturtalk-Blöcke trug, ebenso spontan wie höchst willkommen, Sigrid Katharina Eismann noch zwei Gedichte aus ihrem gerade erschienen Band „Dschangakinder“ vor. Nach all dem literarischen Genuss hatte das nachhaltig beeindruckte Publikum, wahlweise bei weiteren kulinarischen Genüssen, noch ausreichend Gelegenheit, sich mit den Autorinnen zu unterhalten.

Unser großer Dank gilt dem Haus des Deutschen Ostens, insbesondere Dr. Lilia Antipow, für die Initiative und Einladung zur Kooperation. Ferner bedanken wir uns bei den weiteren Partnern dieser Veranstaltung. Herzlichst möchten wir den drei Autorinnen danken, für diese so bereichernden Lesungen und Diskussionen.

Dr. Iris Oberth

Beilage „Werken & Wirken“, Siebenbürgische Zeitung, Folge 18 vom 14. November 2022, Seite 9

Schlagwörter: Literatur, Lesung, Frauen, HDO

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