6. Februar 2023

„Der eisige Atem des Glücks“: Werner Söllners postumer Lyrikband

Als Werner Söllner am 19. Juli 2019 in Frankfurt am Main starb, verstummte eine bedeutende Stimme. Und doch war sie auch so unaufdringlich, in den letzten Jahren fast leise. Im Deutschlandfunk zitierte man den Autor mit den Worten: „Meine Gedichte sind im Grunde orientiert an einem nüchternen Pathos“. Aber gibt es überhaupt dieses Oxymoron, diese Verbindung zwischen Pathos und Nüchternheit?
Im postumen Lyrikband „Schartige Lieder“, herausgegeben und ausgewählt von Susanne Söllner, Björn Jager, Nancy Hünger und Alexandru Bulucz und erschienen in der Edition Faust, hat man noch einmal die Gelegenheit, dies herauszufinden. Eva Demski hat Söllner, wie sie im Vorwort schreibt, in diesen Gedichten Zeile für Zeile neu gesehen – seine wundervolle Lakonik, die in tragisch ausufernde Monologe wechselt, und nennt ihn einen Dichter par excellence.

Zusammengestellt ist das Buch aus einer Auswahl aus elf Lyrikbänden, beginnend mit „wetterberichten“ aus dem Jahr 1975 bis zum letzten Gedichtband „Knochenmusik“ (2015). Mit eingeflossen sind auch Texte aus Zeitschriften oder dem „Land am Nebentisch“ (hrsg. von Ernest Wichner) sowie verstreute Gedichte und welche aus dem Nachlass. Der in Horia, im Banat, geborene Dichter wuchs in Arad auf, hatte aber eine siebenbürgisch-sächsische Mutter und studierte in Klausenburg. Er pendelte also zwischen diesen beiden rumäniendeutschen Minderheiten, orientierte sich aber auch thematisch in seinen Gedichten eher an Siebenbürgen.

Anfang der 1990er Jahre legte er eine Schweigepause ein. 2009 wurde bei einer Tagung seine Spitzeltätigkeit für die Securitate aufgedeckt, worauf er sich öffentlich erklärte, die Konsequenzen zog und als Leiter des Hessischen Literaturforums zurücktrat. 2015 veröffentlichte er seinen letzten Gedichtband „Knochenmusik“, in dem nachdenkliche Verse ertönen und Söllner auch mit sich selber ins Gericht geht (Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2017, S. 6, und SbZ Online vom 4. Januar 2017).

Der einprägsame Titel des postumen Bandes „Schartige Lieder“ taucht zunächst in der Einzahl im „Siebenbürgischen Heuweg“ auf und wurde dann von der Literaturkritikerin Sibylle Cramer als Plural vorweggenommen, als sie von „Schönen schartigen Liedern“ sprach, so wie es in der Editorischen Notiz am Ende des Buches heißt. Verfolgt man jedoch die Verwehungen des Adjektivs weiter, reichen sie bis zu Odysseus‘ Steuerruder, das schartig war vom Salz, bei Peter Huchel.

„Worte, Worte, Worte. Plunder und Wunder“ würde vielleicht Werner Söllner einwenden, so wie es in einem seiner verstreuten Gedichte, das bezeichnenderweise „Leg den Stift weg“ heißt, in dem ein lyrisches Du gnadenlos feststellt, dass es so viel gesprochen, aber nichts gesagt habe. Und auch hier ist, wie bei Huchel, von einer Amsel die Rede, die nicht etwa nach Worten fischt, wie sich Huchels lyrisches Ich das wünscht, sondern schreit „als wäre sie losgelassen aus der Hölle“.

Im Zwiegespräch mit ihrem Vorgänger fragt sich die lyrische Instanz bei Söllner: „Ob aus dem Schoß des Schweigens der eisige Atem des Glücks noch einmal zurückkehrt?“ Schonungslos pathetisch, oder… um mit dem Autor zu sprechen, mit nüchternem Pathos.
Sanfter Rebell mit IM-Vergangenheit: Werner ...
Sanfter Rebell mit IM-Vergangenheit: Werner Söllner nach einer Lesung im Münchner Lenbachhaus im März 1990. Foto: Konrad Klein
Noch weiter nimmt sich das lyrische Er diesmal im Gedicht aus dem Nachlass „Nein, er ist nicht“ zurück, in dem das endgültige Verschwinden mit einer trockenen, abgeklärten Leichtigkeit vorgeführt wird: „Von wem reden wir hier? (…) War er/ Denn jemals da. Keiner weiß das“. In den letzten beiden Gedichten des Bandes thematisiert Söllner die Krankheit und die Zeit nach dem Tod. Ein lyrisches Ich spricht diesmal von zwei Gewebeklumpen in der Brust, neben dem Herz ist ein anderer, der es an den Tod heranwächst – auch im Sterben also gibt es ein verborgenes Wachsen. Die Bilanz des Lebens fällt jedoch nicht bitter aus: „Ich bin ein glücklicherer Mensch geworden“, heißt es da.

Am Ende des letzten Gedichts hingegen wird ein imaginäres Du aufgefordert, in den Wald zu gehen: „So sind wir zusammen im Wald/ Du im Gras unterm Baum/ Am Rande der Lichtung. Und ich/ Bin der Wind, der die Blätter/ Bewegt.“ Traurigschön sind diese Zeilen, und so erklingt die Stimme Werner Söllners aus seinen letzten Gedichten trotz der Einflüsse, auf die immer wieder verwiesen wird, unverwechselbar, manchmal trocken und abgeklärt, manchmal rigoros realistisch, doch vor allem und immer wieder auch formschön und vollendet.

Edith Ottschofski

Werner Söllner: „Schartige Lieder“. Gedichte, herausgegeben und ausgewählt von Susanne Söllner, Björn Jager, Nancy Hünger und Alexandru Bulucz. Edition Faust, Frankfurt am Main, 2021, 152 Seiten, gebunden, 19,00 Euro, ISBN 978-3-945400-91-3.

Schlagwörter: Lyrik, Buchbesprechung, Söllner

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