8. Mai 2023

Ein Wunderkind für die Ewigkeit: Bamberg in Oberfranken erinnert an Carl Filtsch

Oftmals wird bei druckreifen Rückblicken auf Ereignisse gern mit dem Wort „bemerkenswert“ jongliert. Ein viersilbiges Adjektiv, welches unbedenklich mit „beachtlich“ oder „bedeutend“ gleichgesetzt werden darf. Aber was war denn am dritten Aprilsonntag dieses Jahres in Bamberg eigentlich nicht außergewöhnlich? Klar, die Stadt in Oberfranken atmet regelrecht erlebte Geschichte, ist zugleich ein Ort praller Lebendigkeit. Und der Grüne Saal der dortigen Harmonie darf getrost als Dauerspender in punkto Kultur gelten. Selbst die Natur, welche die froh gelaunten Betrachter bei einem Blick aus den dortigen Fenstern farbenfroh anhimmelte, befeuerte eine gerade um sich greifende Aufbruchsstimmung.
Dieses Trio sorgte in Bamberg für Hochkultur: ...
Dieses Trio sorgte in Bamberg für Hochkultur: Dagmar Dusil, Irisa Filip, Luise Pelger Pomarius (von links). Fotos: Roland Barwinsky
Eine Aussage, die durchweg auch für ein Programm galt, welches von der dort ansässigen und einst im fernen Hermannstadt geborenen Autorin Dagmar Dusil vorbereitet wurde. Aufgrund von kräftig verteilter klanglicher Hochkultur und veredelter literarischer Wortkost sollte Carl Filtsch (1830-1845) gewürdigt werden. Dem aus Siebenbürgen stammenden und einstigen Lieblingsschülers von Frédéric Chopin(1810-1849). Die Aura dieses „Wunderkindes“ – übrigens auch so ein ganz spezieller Begriff aus der Sparte Semantik – muss einfach besonders gewesen sein. Ansonsten würde es heutzutage kaum gewichtige Gründe geben, um ihn noch immer voller Hochachtung plus Respekt zu würdigen. Wichtig waren den Vortragenden inhaltliche Harmonien. So dass der detailverliebte Bildungsbürger genauso elektrisiert von der Veranstaltung nach Hause ging wie der eher dort zufällig Vorbeischauende.

Sorgsam sortierte und ordnete deswegen im Vorfeld die Planerin einzelne Komponenten für den gehaltvollen Vormittag. Erstes Ergebnis: Am Klavier erlebten Zuhörende eine zielstrebig Aufstrebende, für die das Wort „talentiert“ eher eine Untertreibung darstellte. Fast „en passant“ feierte Irisa Filip am Tag der Veranstaltung auch noch ihren 16. Geburtstag. Die von weither Gekommene – sie reiste aus der rumänischen Schwarzmeerstadt Konstanza an – ist damit übrigens schon jetzt älter geworden als jene Persönlichkeit, um die es hauptsächlich ging. Beizeiten begann die Künstlerin mit dem Unterricht am Piano, belegte regelmäßig Meisterkurse, erhielt längst nationale und internationale Auszeichnungen. So war sie bereits 2018 – also mit nur elf Jahren – dreifache Preisträgerin beim Internationalen Klavier- und Kompositionswettbewerb „Carl Filtsch“, der seit Mitte der 1990er Jahre in Hermannstadt – dem geistig-kulturellen Zentrums Siebenbürgens – ausgetragen wird. Darf so unsere pianistische Zukunft aussehen? Ganz bestimmt! Hochkonzentriert ging sie mit der vorhandenen klassischen Erbmasse um, verdichtete stilvoll die vorgestellten Notenblätter zu einem Kunstwerk. Neben Kompositionen von Filtsch stellte die schon Hochdekorierte auch Werke von Robert Schumann, Franz Liszt, Frédéric Chopin sowie Anton Rubinstein vor. Starker Applaus zeigte unerbittlich, was für positive Emotionen damit beim Publikum freigesetzt werden konnten.

In Mühlbach erinnert diese Büste an Carl Filtsch. ...
In Mühlbach erinnert diese Büste an Carl Filtsch.
Aber ohne den parallel dazu abgelieferten historischen Kontext wären die Erinnerungen an das Naturtalent aus der gern als „Land hinter den Wäldern“ bezeichneten Region eindeutig unvollendet geblieben. Für diese dringendst erforderliche Aufklärung übernahmen Dagmar Dusil und Luise Pelger Pomarius die Verantwortung. Zwei Sprecherinnen, die bestens in der siebenbürgischen Kulturlandschaft vernetzt sind. Anwesende erlebten somit plastisch, welche Entwicklung ein in Mühlbach geborener Wunderknabe durchlief und wie sein Schaffen wiederentdeckt wurde. Denn lange bevor ihm ab Mitte der 1990er Jahre ein ganzes Festival gewidmet wurde, tauchte im geschichtlich recht ereignisreichem Jahr 1968 eine Biografie über ihn unverhofft in einer rumänischen Bibliothek auf. Diese gedruckten Worte besaßen tolle Sprengkraft, elektrisierten umgehend wichtige Multiplikatoren wie den Mathematiklehrer Hans Tobi und den Pianisten Peter Szaunig. Aufmerksame im Saal erfuhren aufgrund der vorgenommenen Traditionspflege allerhand über prägende Ereignisse im Geburtsjahr des Geehrten. Gut konnten zugleich familiäre Verhältnisse und eine einst prosperierende Gegend, wo zu Lebzeiten von Filtsch mindestens 4 000 Klaviere auf einem eher räumlich überschaubaren Raum standen, dargestellt werden. Als kleines Kind ermahnte der Einzigartige bereits Kirchenmusiker bei unkorrekten Tönen und träumte zugleich von einer Welt jenseits der für ihn sichtbaren elterlichen Weinberge. Im Alter von fünf Jahren schaffte es der Außergewöhnliche bis nach Klausenburg. Dort attestierten ihm Auskenner kurzerhand eine „hervorragende Musikalität“. Seine nachfolgenden pianistischen Reisen durch Europa mutierten zu wahren Triumphzügen. Ein Knabe – der von anderswo her kam – begeisterte Chopin und Liszt und hinterließ bleibende Eindrücke bei der Witwe Mozarts. Kurzum: Dieser Junge erlebte in wenigen Jahren mehr als viele andere, denen wesentlich mehr Zeit für eine Karriere blieb. Mit 15 Jahren verstarb der Virtuose in Venedig.

Dieses als „Musikalisch-Literarischer Salon“ bezeichnete Programm hob viel Unbekanntes ans Licht, weckte zugleich Interesse an weiterer Tiefenschärfe. Dagmar Dusil erklärte auf Anfrage, dass ihr Kopf längst schon neue Sachen über dieses Genie vorbereite. Gedanken für Kommendes, für notwendige Verfeinerungen und passgenaue Weiterentwicklungen seien reichlich da und sprudelten schon heftig. Ohne Unterstützer hätte es aber diese Veranstaltung am 23. April mit einer im Gedächtnis der Dabeigewesenen verwurzelten langen Haltbarkeitsdauer keineswegs gegeben.

So stellte Brigitte Klepper, eine Bambergerin sowie durch und durch klassisch Geerdete, ihr Tonstudio zur Verfügung. In diesem Raum mit sechs Meter Höhe übte die aus einem fernen Land gekommene hochmotivierte Pianistin vorab ausgiebig. Recht üppig fiel zudem die Förderung durch das Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen aus. Zum Glück! Ohne diesen finanziellen Zuschuss hätte es die gesamte Choreografie so wohl niemals gegeben und natürlich auch nicht diesen Nachbericht. Außerdem wurden von den Gästen 400 Euro gespendet, die dem Kinder- und Jugendhospiz „Sternenzelt“ in Bamberg zur Verfügung gestellt werden.

Roland Barwinsky

Schlagwörter: Carl Filtsch, Bamberg, Dagmar Dusil, Barwinsky

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