27. Oktober 2024
„Schwerer Stoff. Frauen – Trachten – Lebensgeschichten“: Ausstellung in Ulm
„Wer schön sein will, muss leiden“, bekommt Marianne Reng von ihrer Mutter zu hören, als sie 1975 als 15-Jährige an ihrer ersten Kirchweih in ihrem Heimatort Neudorf teilnimmt. Die Kirchweihtracht ist nämlich alles andere als bequem. Damit Mariannes ausladender Rock die richtige Form erhält, werden ihr fünf steif gestärkte Unterröcke um die Taille geschnürt. Stundenlang muss sie darin ausharren, sie kann weder sitzen noch zur Toilette gehen. Auch wenn die Jugendliche ein gewisses Unbehagen beim Tragen ihrer Trachtenröcke empfand, dürfte der Stolz, beim Kirchweihfest dabei zu sein, überwogen haben.

Repräsentieren – Herstellen – (Er)tragen – Manipulieren – Verlieren – Bewahren – Verwandeln sind die sieben Themenbereiche der beeindruckend gestalteten Ausstellung, deren doppeldeutiger Titel „Schwerer Stoff“ zum einen auf die Last der Trachtenröcke hinweist, zum anderen verdeutlichen will, wie vielschichtig und komplex der Stoff „Tracht“ ist.
Kleidung war in der bäuerlich geprägten Lebenswelt der Donauschwaben Frauensache. Mädchen und Frauen stellten sie eigenhändig her, passten sie an, reinigten und reparierten sie. Dadurch waren sie selbst Gestalterinnen ihrer äußeren Erscheinung, gleichzeitig jedoch eingeschränkt durch feste dörfliche und kirchliche Regeln, die ihre Lebenswelt bestimmten. Obwohl traditionell gewachsen, waren die Gewänder und Trachten nichts Starres, sondern stets in Bewegung. Neumodische Stoffe – in den 1930er Jahren vor allem Kunstseide und Plüschsamt –, Einflüsse der benachbarten Ethnien, das Aufkommen neuer Accessoires führten zu Änderungen und setzten neue Moden in Gang. Dass Tracht auch ideologisch nutzbar gemacht wurde, zeigt die in den 1930er Jahren in Jugoslawien von nationalsozialistischen „Erneuerern“ eingeführte „Einheitstracht“ – eine reine Erfindung, eine „Uniform im Dirndlstil“, die die deutsche Gemeinschaft stärken, sie aber auch gegen andere sichtbar abgrenzen sollte.
Flucht, Vertreibung, Aussiedlung führten meistens zu einer Abkehr vom gewohnten Kleidungsstil. Die Frauen stellten fest, dass sie sich durch die mitgenommenen Kleidungsstücke als Fremde selbst ausgrenzten. Aus den Gewändern wurde mitunter modische Kleidung genäht, wobei sich die breiten Röcke als wertvoller Materialfundus erwiesen. So entstand auch das grüne Dirndl der Ungarndeutschen Katharina Märcz. Die damit verbundene Geschichte wurde von Jugendlichen vom Ulmer Zentrum für Gestaltung – neben dem Ethnographischen Museum Budapest, der Koordinierung Ostmittel- und Südosteuropa am Museum Europäischer Kulturen Berlin und der Kulturreferentin für den Donauraum, einer der Kooperationspartner der Ausstellung, illustriert. Ein weiteres Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind die von Schülerinnen und Schülern im Fach Modedesign aus Resten alter donauschwäbischer Kleidungsstücke geschaffenen modischen Outfits.
Die sehenswerte Ausstellung gewährt Einblicke in einen wichtigen Bereich der Alltagskultur der Donauschwaben und beleuchtet das Thema Kleidung/Tracht in all seinen Facetten. Die Ausstellung ist bis zum 21. April 2025 geöffnet. Näheres zum Programmangebot finden Sie unter www.dzm-museum.de.
Walter Tonţa
Schlagwörter: Ausstellung, Trachten, Donauschwaben, Ulm
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