13. November 2024

„Ich spreche Frühling, ich spreche Schnee, und ich spreche ein wenig Asche“: Franz Hodjaks neuer Gedichtband erschien pünktlich zum Achtzigsten

Jede Woche erscheint ein neues Gedicht in unserem Paralleluniversum, auf Instagram, und pünktlich zum Achtzigsten, den der gebürtige Hermannstädter und seit den 1990er Jahren Usinger Franz Hodjak am 27. September feierte, ein neues Buch in der analogen Welt. Hübsch ist es geworden, mit seiner Zeichnung in Schwarz-Grau-Tönen von Elke Hopfe, in der verlorene Augen in einem kubistischen Umfeld herumschwirren. Veröffentlicht wurde es im Verlag Manfred Richter in der edition petit mit dem sinnreichen Titel: „Ich verirrte mich im Nadelöhr“. Letzterer deutet zwar auf eine erstickende Enge hin, aber durch das Suchen und Streunen – das im Verirren steckt – unterstellt er zugleich eine unergründliche Weite.
Franz Hodjak. Foto: privat ...
Franz Hodjak. Foto: privat
Wenn man in der Lebenszeit voranschreitet, wird der Radius notgedrungen immer kleiner, so wie es Jacques Brel in seiner Ballade „Les vieux“/Die Alten beschreibt: „Les vieux ne bougent plus… leur monde est trop petit/ Du lit à la fenêtre, puis du lit au fauteuil/ Et puis du lit au lit.“ (Die Alten bewegen sich nicht mehr… ihre Welt ist viel zu klein/ Vom Bett bis zum Fenster/ vom Bett zum Fauteuil/ und dann vom Bett zum Bett). Für Franz Hodjak hat sich der Radius durch seinen „neuen Diktator, die Krankheit“ ebenfalls minimiert, wie er es im Podcast des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) gegenüber Enikö Dácz beschreibt. Doch für sein lyrisches Ich ist „Die Wohnung … viel zu klein/ für (s)ein tägliches Erwachen, das immer/ größer wird.“ (S. 76)

Viel mehr erweitert der Dichter sein Nadelöhr immerzu durch die Literatur. Sein lyrisches Ich reist nach Korfu, oder Khartum, in die Vergangenheit oder vielleicht nur ins nächste Café und vor allem in seine Träume. Die Reise, ohne wirklich anzukommen, d.h. sich im Ankommen einzurichten, ist ein wichtiger Topos in Hodjaks Dichtung, die Reise als solche, als Veränderung, die Ausreise, doch vor allem das Sich-nicht-Ausruhen-und-Festlegen auf eine Heimat, auf etwaige Lorbeeren, im Stillstand. Und schließlich die letzte Reise, auf die man nichts mitnehmen kann. Nicht umsonst heißen seine Bücher: „Landverlust“, „Grenzsteine“, „Ein Koffer voll Sand“ oder „Ankunft Konjunktiv“. Und auch als Vermächtnis, so man das erste Gedicht des Buches auf diese Weise lesen will, soll ein Weg gelten: „Von mir wird nicht viel bleiben/ Wird vielleicht mehr bleiben/ vom Weg,/ den ich gegangen bin.“ (5)

Persönlich kennengelernt habe ich den Dichter 1990 bei einer Tagung des damaligen Vereins Banat-JA (Banat-Junge Akademiker) in Kirchheimbolanden. Es war ein Verein, der mit Hilfslieferungen und Tagungen Brücken nach Rumänien aufbauen bzw. reaktivieren wollte. Die Tagung verlief in feucht-fröhlicher Aufbruchstimmung in jenem schicksalhaften Jahr. Franz Hodjak lebte damals zwischen den Welten. Wohnhaft in Rumänien, nahm er Stipendien in Deutschland wahr, was ihm vorher verwehrt worden war. Damals war es das Stadtschreiberstipendium von Mannheim. Und so lotete er seine Möglichkeiten aus, in der Bundesrepublik als Schriftsteller Fuß zu fassen. Im gleichen Jahr erschien sein erster bundesdeutscher Gedichtband „Siebenbürgische Sprechübung“ bei Suhrkamp (in der DDR war 1988 bereits ein Gedichtband erschienen) und er gewann den Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg-Bachmann-Preis. Dass er dort so gut aufgenommen wurde, bestärkte ihn in seinem Entschluss auszureisen, erzählt er im Podcast.

Nach seiner Ausreise, 1992, hat sich der frühere Verlagslektor und vorwiegend als Lyriker und Kurzprosa-Schriftsteller in Erscheinung getretene Hodjak neu erfunden. In Rumänien hätte man keine Romane schreiben können, sie wären verlogen gewesen, erzählt er mir in einem Telefonat. 1991 veröffentlicht er Kurzgeschichten, ebenfalls bei Suhrkamp, und 1995 seinen ersten Roman, „Grenzsteine“, dem noch zwei weitere folgen sollten. Sein schelmischer Antiheld Harald Frank aus dem ersten Roman hat mit absurden Behörden zu kämpfen, die universell scheinen, und macht sich auf die abenteuerliche Reise zur Grenze. Die Ausreise und die Flucht vor der Ankunft, vor Ithaka, finden sich auch im „Koffer voll Sand“ wieder, dem letzten Buch bei Suhrkamp. „Heimat ist, wie ich denke“, schreibt er da. Vor allem interessiert den Autor aber das Aberwitzige und Absurde in beiden Systemen, hüben wie drüben. Nach dem Weggang von Suhrkamp veröffentlicht er bis 2013 Gedichte und Aphorismen in mehreren Kleinverlagen (siehe Artikel „Helle Nächte in den Karpaten“, Siebenbürgische Zeitung, Folge 1 vom 16. Januar 2023, S. 5), um sich 2022, nach einer längeren Schaffenspause, abermals neu zu erfinden und in einem Jahr gleich vier Gedichtbände herauszubringen. Seitdem müssen die Verleger seinem Einfallsreichtum hinterhereilen. Denn auch zurzeit sind gleich zwei Bände im Druck. Vielleicht hätte er auch vieles verpasst zu sagen, wenn er gesund geblieben wäre, gibt Hodjak ebenfalls im Podcast zu bedenken.
Das Ehepaar Franz und Julia Hodjak verfolgt die ...
Das Ehepaar Franz und Julia Hodjak verfolgt die Laudatio anlässlich der Verleihung des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreises an den damals 69-jährigen Dichter (2013). Hinter den beiden die SbZ-Redakteure Siegbert Bruss (l.) und Christian Schoger (r.). Foto: Konrad Klein
In dem neuesten Gedichtband bekennt sich sein lyrisches Ich zum eigentlichen Zuhause in der Sehnsucht: „nirgends war ich/ so zuhause wie in der Sehnsucht.“ (102). Und auch hier beschäftigen den Autor die großen Themen, Hoffnung, Liebe, Tod. In philosophischen Meditationen, die sich wie Monologe anhören, untersucht er, ob sie keine Täuschungen sind, ob das Feuer der Liebe vielleicht nur halb so groß ist, oder der Tod, „der wie eine Katze um die Häuser schleicht“, etwa nicht so ernst genommen werden muss, denn: „Dass wir sterblich sind, halten wir für logisch. (…) Wer sagt, dass es nicht/ auch anders hätte kommen können.“ (76) Möglicherweise kann man diesem sogar entkommen: „das Wichtigste ist, zu lernen,/ nicht zu sterben.“ (35) Wunderschön bettet der Dichter unsere Vergänglichkeit in die Sprache selbst ein und in den Zyklus der Natur: „Ich spreche Frühling, ich spreche Schnee,/ und ich spreche ein wenig Asche.“ (9) Es gibt jedoch auch die Kehrseite der „Leichtfertigkeit“ im Umgang mit dem Tod, denn manchmal stellt das lyrische Ich seine Daseinsberechtigung in Frage „Manchmal mache ich mir Vorwürfe, dass ich/ da bin, dann wieder sage ich mir, irgendwo/ muss ich ja sein.“ (36) Der Ausweg ist pragmatisch – irgendwo muss man ja sein. Vielleicht ist auch die Zeit des Bedauerns gekommen, „man hat endlich Zeit zu bedauern.“ Doch die Sprache lässt dies nicht zu: „Was die Worte nicht wollen, müssen// sie auch nicht mehr“. (55)

Ein weiterer Topos sind neben der Reise die Tore und Türen – in diesem Band heißen gleich vier Gedichte Tor, mysteriös nummeriert (Tor 113, Tor 118, Tor 119, Tor 120), als Öffnungen zu etwas Neuem oder Ausweg aus der Vergänglichkeit: „Dass ich weiß, wie vergänglich alles ist, gibt mir die Kraft,/ weitere und weitere Türen zu öffnen, auch wenn// sie immer lauter quietschen.“ (75), oder auch als Sinnbild des Schönen: „Das Schöne öffnet Türen, die nur / das Schöne öffnen kann.“ (82) Der Auftrag des Dichters dabei ist es, Dinge zu benennen, aber sie im Chaos zu belassen, denn „Es regnet jede Menge falscher Überlegungen,/ und nebenbei gibt es mich,/ der die Dinge nicht ordnen, sondern bloß aufschreiben will.“ (94) So wird aus Schwerem und Leichtem Literatur: „Die Worte, die Schweres bezeichnen, und / die Worte die Leichtes bezeichnen,/ kommen aus dem Gleichgewicht und rutschen in ein Gedicht.“ (21), und in den Worten entbirgt sich die Freiheit: „die liebsten Wege der Worte sind/ die Wege in die Freiheit.“ (35)

Dabei ist das Schreiben auch nur ein Weg, eine Suche: „Man kann nicht den ganzen Tag die richtigen Worte finden, aber/ man kann sie suchen wie die richtige Liebe.“ (83) Manchmal sind die Gedichte selbst ein Nadelöhr, aus dem sich das lyrische Ich entwindet: „dann fühle ich mich wie in einem Gedicht,/ aus dem ich flüchten will und nicht kann.“ (27), sind sie doch letztendlich eine Reise zu sich selbst. Gerade durch seine Arbeit mit der Sprache, der es neue Valenzen abgewinnt, definiert sich das lyrische Ich: „ich habe die Wörter immer umgedreht,/ damit ich ihr Gesicht sehe.“ (5) Zuweilen reichen sie aber nicht aus: „Auf dem Weg zu mir/ selbst merke ich, wie viele Wörter mir fehlen.“ (25)

Franz Hodjak klopft die Worte ab auf ihre Tauglichkeit für die Poesie, denn die Macht der Poesie durchdringt täglich die Realität. Sprüche oder Worthülsen, eingefahrene Gedankengänge, werden unter die Lupe oder aufs Korn genommen, sodass sich einige Gedichte wie ein Sammelsurium an disparaten Gedanken anfühlen. Vor allem aber im ersten Teil des Bandes ist Hodjaks Lyrik sehr persönlich. Um existenzielle Themen kreisend, die sie umschreibt, umdefiniert, neu aufschlüsselt, und mit denen sie sich schelmisch arrangiert, berührt sie die Leserschaft, ohne sie zu belehren. Hodjaks condition humaine etwa hört sich so an: „Beim Urknall sind wir/ aus schlechtem/ Material entstanden. Es ist brüchig, wenig resistent und/ zerfällt schnell zu Asche oder/ Staub.“ (122) Und da verbietet sich der Dichter jegliche Sentimentalität. Eine Möglichkeit ist noch zu bedenken, dass es uns vielleicht gar nicht wirklich gibt: „Und immer öfter träume ich,/ dass es mich nur gibt, weil ich mich träume.“ (20) Uns, die wir aus der Vergänglichkeit kommen und denen eine Reise außerhalb der Zeit bevorsteht: „Ich komme aus der Vergänglichkeit/ und gehe dorthin/ wo die Zeit auf mich wartet.“ (18) Doch bis dahin, besinnen wir uns lieber und „spreche(n) Frühling“.

Einen herzlichen Glückwunsch nachträglich zum achtzigsten Geburtstag!

Edith Ottschofski

Franz Hodjak: „Ich verirrte mich im Nadelöhr“. Gedichte. Verlag Manfred Richter, Dresden, Reihe: edition petit, 140 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-941209-91-6
In Vorbereitung
Franz Hodjak: „Ehrenplatz im Jenseits“. Gedichte. Mit elf Illustrationen von Astrid Hodjak. Verlag Traian Pop, Ludwigsburg, 146 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3-86356-361-5.
Franz Hodjak: „Ewig ist das Vorläufige“. Gedichte. Eröffnung der Reihe Gravity, Königshausen & Neumann, Würzburg, 17 Euro, ISBN 978-3-8260-9017-2
Sekundärliteratur
Wolfgang Mieder: „Sprichwörtliche Aphorismen“. Von Friedrich Nietzsche bis Franz Hodjak. Praesens Verlag, Wien, ISBN 978-3-7069-1269-3, 43,30 Euro, erscheint am 12.3.2025
Podcast
Podcast-Folge mit Franz Hodjak: 9.2.2024 (https://www.ikgs.de/neue-podcast-folge-mit-franz-hodjak/)
Instagram: franz_hodjak

Schlagwörter: Hodjak, Geburtstag, Porträt

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