16. November 2024

KulturWochenende auf Schloss Horneck über „Aufbruch und Neubeginn“

Das Siebenbürgische Kulturzentrum „Schloss Horneck“ e.V. (Schlossverein) veranstaltete am 25.-27. Oktober ein zweites KulturWochenende mit dem Motto „Aufbruch und Neubeginn“. Teilnehmende an der ersten Veranstaltung im März 2024 und viele, die damals nicht dabei sein konnten, hatten um eine Fortsetzung und Vertiefung dieser Thematik gebeten. Gäste und Künstler aus vier Ländern (sechs aus Rumänien, drei aus Österreich, zwei aus Belgien) und fünf Bundesländern (23 allein aus München) hatten sich schließlich eingefunden.
Helge Krempels, Vorstandvorsitzender des Schlossvereins, begrüßte am Freitag alle Gäste, Kooperationspartner und Ehrengäste, unter ihnen Georg Aescht, Schriftsteller, Übersetzer, Literaturkritiker sowie Vorsitzender der Jury des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreises; Dr. Ramona Besoiu, Autorin, Übersetzerin, Leiterin der Projektarbeit der Evangelischen Kirche in Rumänien; Martin Bottesch, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen; Dr. Richard (Ricky) Dandel, Musiker; ­Dr. Heinke Fabritius, Kulturreferentin für Siebenbürgen am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim; Pfarrer Michael Gross; Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, Ehrenvorsitzender des Schlossvereins; Doris Hutter, Vorsitzende des Kuratoriums des Schlossvereins; Heinz Hugo Lahni, European Commitee of Regions in Brüssel; Mag. Wolfgang Rehner, Superintendent der evangelischen Superintendentur der Steiermark.

In festlichem Rahmen wurde Martina Handel, langjährige Mitarbeiterin des Schlossvereins, in den wohlverdienten Ruhestand dankend verabschiedet, die Nachfolgerin Elke Gaber mit besten Startwünschen begrüßt, und Karl Mantsch für seine ehrenamtliche Tätigkeit mit einer Urkunde als „Schloss-Tonmeister“ gewürdigt. Die Ausstellung „Vergangenheit, Erinnerungen, Zukunftsträume – alles in einer Kiste“ der aus Mediasch stammenden Brüdern Karl und Wolfgang Untch im Flur zum Festsaal erweckte persönlich durchlebte Gefühle der Ausreisezeit. Besonders ansprechend für viele Gäste waren die Karikaturen zur Ausreise von Wolfgang Untch.

Bertolt Brechts Einfluss in der rumäniendeutschen Literatur und Brechtlieder

Dr. Heinke Fabritius stellte Georg Aescht vor, der im Januar 2024 mit dem rumänischen Verdienstorden im Rang eines Ritters für seine Tätigkeit „als Vermittler zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Literaturen“ ausgezeichnet worden war. Aescht stellte in seinem inhaltlich und rhetorisch glänzenden Vortrag fest, dass Bertolt Brecht eigentlich nichts mit Siebenbürgen zu tun hatte, obgleich sein Horizont weit nach West wie Ost, Nord wie Süd und in die Geschichte reichte.
Georg Aescht im Gespräch mit Dr. Heinke ...
Georg Aescht im Gespräch mit Dr. Heinke Fabritius. Foto: Hans Günter Zerwes
Er habe aber die jungen deutschsprachigen Literaten im sozialistischen Rumänien nachhaltig beeinflusst: „Eingekerkert in einen rasant sich verfinsternden Sozialismus, erkoren sie einen Dichter zum Lehrmeister…, der eine Generation zuvor nicht angestanden hatte, sich sozialistisch zu nennen.“ „Hätte dieser Brecht allerdings um seinen Nachruhm in der rumäniendeutschen, auch siebenbürgischen Nachkriegslyrik gewusst, er hätte gewiss seine Freude auch daran gehabt und die späten Kollegen einbezogen in sein ironisches Vermächtnis: ‚Ich benötige keinen Grabstein, aber / Wenn ihr einen für mich benötigt / Wünschte ich, es stünde darauf: Er hat Vorschläge gemacht. Wir / haben sie angenommen.‘ Durch eine solche Inschrift wären wir alle geehrt. Wir alle, auch Anemone Latzina und Bernd Kolf, auch Frank Hodjak und Richard Wagner – und wir, die wir hier zusammen sind“. Aescht rief seinen Zuhörern die verhaltene Schönheit von Brechts Gedicht „Die Liebenden“ in Erinnerung. Das anschließende Gespräch zwischen Aescht und Dr. Fabritius lieferte weitere inspirierende und klärende Gedanken.

Nach einer kurzen Pause wurden Brechtlieder von Bettina Ullrich (Gesang und Moderation) und Claudia Hrbatsch (Klavier) besonders leidenschaftlich, gefühlvoll, gekonnt und mitreißend vorgetragen. Mit dem pazifistischen Lied „Mein Sohn – Lied einer deutschen Mutter“ (Musik Hanns Eisler) drückte Ullrich die Sorge einer Mutter aus, ihren Sohn in einem sinnlosen Krieg zu verlieren, und die Entschlossenheit, ihn dafür nie herzugeben. Auch das Lied „Die Seeräuber Jenny“ aus der Dreigroschenoper (Musik Kurt Weill) wies auf die aktuell wieder drohende Kriegsgefahr hin. Spätestens bei dem „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“ (Musik H. Eisler) lief es vielen eiskalt über den Rücken. Zuletzt sang das Publikum beim bekannten Lied „Moritat von Mackie Messer“ (Musik K. Weill) begeistert mit.

Die frühen Vormittage waren interessanten Schlossführungen gewidmet: zu seiner Geschichte von Dr. K. Gündisch, zur baulichen Entwicklung Dr. A. Froese, und durch die Informationsräume zur siebenbürgischen Musikgeschichte von Prof. H. Acker.

Geschichte der Landler – Zwangsdeportation nach Siebenbürgen

Konrad Gündisch und Wolfgang Rehner führten ein Gespräch über die Herkunft und das Schicksal der aus dem Salzburgischen und aus den habsburgischen Erbländern nach Siebenbürgen deportierten so genannten „Landler“, über den evangelischen „Weg des Buches“ (eröffnet 2008 in Ramsau am Dachstein), der einer Bibel-Schmugglerroute aus evangelischen Staaten zu den Geheimprotestanten in den katholisch dominierten Gebieten des Habsburgerreiches folgt.
Geschichte der Landler, von links: Dr. Konrad ...
Geschichte der Landler, von links: Dr. Konrad Gündisch, Wolfgang Rehner, Martin und Katharina Scheiber. Foto: H. Menning-Heidner
Durch die Gegenreformation wurde der Protestantismus im 16.–18. Jahrhundert in den Untergrund gedrängt. Lutherbibeln, evangelische Gesangbücher und dergleichen wurden verboten. Deshalb entwickelte sich ein Schmuggelwesen, unter anderem aus der württembergischen Bibelanstalt in Urach oder aus Weimar und Nürnberg. Die lutherischen Schriften wurden versteckt zwischen Salzsäcken, in Fässern, Baumhöhlen, Heuschobern, unter auf Stroh gebetteten Säuglingen. Wolfgang Rehner konnte einige unglaubliche Geschichten aus dem österreichischen Auswanderungsgebiet berichten. Gündisch zeigte eine wertvolle Kurfürstenbibel von 1641, deren Bezeichnung sich von den elf protestantischen Herzögen und Kurfürsten aus Sachsen ableitet.

Aufwühlend waren einige Deportationsgeschichten, die Gündisch und Rehner erzählten. Die Landler wurden unter Zwang nach Siebenbürgen verbracht und schließlich vor allem in Großpold, Großau und Neppendorf angesiedelt, wo die sächsische Bevölkerung durch Kriege und Seuchen dezimiert war. Allmählich integrierten sie sich in die sächsische Gemeinschaft, behielten aber ihre Dialekte, Tracht, Bräuche und Sitten.

Abschließend sangen das Ehepaar Katharina und Martin Scheiber sowie Heinz Piringer landlerische Lieder, die mit ihrer Zartheit das Herz der Zuhörer berührten, Liedtitel wie: „Am Berg stehen zwei Tannen“, „Lass mich schauen in die Äuglein die blauen“. Katharina Scheiber zitierte den österreichischen Schriftsteller Peter Rosegger: „Wer dem Volke sein Lied – das entschwindende – widergibt, gibt ihm seine Seele wieder“. Im Schlusslied hieß es „und geben uns zum Abschied die Hand“ – alle im Festsaal standen auf und reichten sich spontan die Hände. Berührende Momente.

Freiheits­gedanke als ­Ursprung des Aufbruchs

Prof. Heinz Acker stimmte am Nachmittag mit einer Klavierimprovisation „Vöglein mit Freiheitsgedanken“ auf den nächsten Vortrag ein. In dem hervorragenden Klavierspiel waren die Liedmelodien „Et såss e kli wåld Vijjelchen“, „Die Gedanken sind frei“ und „Geh aus mein Herz und suche Freud“ herauszuhören.

Dem Aufbruch und Neubeginn liegt oft der Freiheitsgedanke zugrunde. Das Gefühl der Freiheit und damit auch der Aufbruch, um Freiheit zu erlangen, hat die Menschen seit biblischen Zeiten bewegt. Gibt es eine Begrenzung der Freiheit? Hat Freiheit Regeln? Ist Freiheit immer positiv? Welchen Preis ist der Mensch bereit für die Freiheit zu zahlen? Innere und äußere Freiheit? Diese und viele weitere Freiheitsaspekte wurden vom Hochschuldozenten und Pfarrer Michael Gross in einem großartigen Vortrag behandelt. Er referierte auch darüber, dass die Frage nach der Freiheit eng mit der Frage nach dem Menschenbild verknüpft ist. Im Alten Testament spielen Befreiungserfahrungen eine wichtige Rolle. Es wird deutlich, welches Gottesbild das Christentum hat; weitergedacht ist Gott an der Freiheit seiner Geschöpfe interessiert, der die Menschen befähigt, frei zu entscheiden und frei zu sein. Gross hielt seinen nachhaltig beeindruckenden Vortrag frei und zitierte auch auswendig frei aus Goethes „Faust“, aus Immanuel Kant und anderen.
Freiheitslieder mit (von links) Claudia Hrbatsch, ...
Freiheitslieder mit (von links) Claudia Hrbatsch, Bettina Ullrich, Karl Heinz Piringer. Foto: Roland Oberländer
Freiheitslieder, gesungen von Bettina Ullrich und Karl-Heinz Piringer (auch Gitarre und Klavier), am Klavier begleitet von Claudia Hrbatsch lockerten auf und vertieften für jeden Gast den eigenen Freiheitsbegriff: Beginnend mit dem sieben-bürgischen Volkslied „Kli wåld Vijelchen“ wurden berühmte Freiheitslieder wie „La Liberté“, „Über den Wolken“, „Bella Ciao“, „Du hast den Farbfilm vergessen“, „Freiheit“, „Morning has broken“, „Blowin` in the wind“ vorgetragen bis hin zu „Die Gedanken sind frei“, das die Zuhörer inbrünstig mitgesungen haben. Tränen des Berührtseins der Sängerin gab es bei dem Lied „Nein, meine Söhne geb ich nicht“ von Reinhard Mey.
Spontanes Gedicht von Finn Ullrich zum Thema ...
Spontanes Gedicht von Finn Ullrich zum Thema Freiheit, links Bettina Ullrich. Foto: Roland Oberländer
Und als Sohn Finn (12) danach seine Mutter umarmte und spontan ein Freiheitsgedicht vortrug, das er im Schlosszimmer gegoogelt hatte, wischten auch im Saal einige Gäste versteckte Tränen weg. Deutlich wurde: Der Freiheitsgedanke war für die Siebenbürger Sachsen immer wichtig und das neu gebackene Trio ist ein gelungener Beweis für die Vernetzung von Künstlern auf Horneck.

Die Wende: Exodus, Neuanfang, Pioniergeist in Siebenbürgen, Musik dieser Zeit

Martin Bottesch stellte die Lage der deutschen Minderheit nach 1989, den Exodus, aber auch den dortigen Aufbruch dar. Das DFDR (Demokratisches Forum der Deutschen in Rumänien) wurde während der Revolutionstage Ende 1989 gegründet. In den frühen 1990er Jahren war die deutsche Bevölkerung nur noch in kleiner Zahl in Rumänien vertreten. 1989 lebten rund 200 000 Rumäniendeutsche in Rumänien, 2002 waren es laut Zählung nur noch 60 000. Im weiteren Verlauf kam es dann zur Stabilisierung im Schulbereich. Das DFDR entwickelte sich zum Akteur in der Lokalpolitik und stellte auch die Beziehung zur Kirche her. Viele Diagramme und Zahlen belegten genauestens die Entwicklung in Rumänien. Fragen des Publikums wurden beantwortet und Gross dankte Bottesch abschließend für die standhafte Arbeit.

Dr. Ramona Besoiu aus Hermannstadt, gegenwärtig Leiterin der Projektarbeit der Evangelischen Kirche in Rumänien, berichtete über ihre Arbeit und Erfahrungen. Anschließend stellte sie ihr Interviewbuch „Gelebte Berufung“ vor. Sie hat einfühlsam vier Persönlichkeiten der evangelischen Siebenbürger Sachsen zu Wort gebeten, die vor und nach der Wende Pioniergeist bewiesen haben: Altbischof Prof. Dr. Christoph Klein, Prof. Dr. Hermann Pitters, Prof. Dr. Hans Klein und Prof. Dr. Gerhard Konnerth. Laut Bischof Reinhart Guib wurde „damit ein Bogen gespannt über fast ein ganzes Jahrhundert siebenbürgischer Geschichte“. Es handle sich um „Persönlichkeiten, die die Geschicke der deutschen Minderheit in Rumänien und damit wesentlich auch die der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien maßgeblich und positiv beeinflusst haben.“
Dr. Ramona Besoiu stellt ihr Buch vor- Foto: ...
Dr. Ramona Besoiu stellt ihr Buch vor- Foto: Adrian Besoiu
Im letzten Programmpunkt, auf den alle erwartungsvoll hinfieberten, wurde die eigene Ausreisezeit musikalisch in Erinnerung gerufen. Rock- und Popstar Ricky Dandel interpretierte Songs wie „Wind of change“, „I am looking for freedom“, „Steh auf!“ oder „Unchain my heart“. Ricky rockte den Saal und brachte das Publikum zum Mitsingen, Schunkeln und Tanzen.
Mit "Steh auf" begeistert Ricky Dandel sein ...
Mit "Steh auf" begeistert Ricky Dandel sein Publikum. Foto: Heidrun Negura

Andacht und Dank

Siebenbürgische Kirchenglocken läuteten am Sonntag zur Andacht der „Schlossgemeinde“, wie Pfarrer Michael Gross sie angesprochen hat. Seine Predigt nahm das Thema des KulturWochenendes wieder auf und beeindruckte durch ihre Tiefgründigkeit und Klarheit. Prof. Heinz Acker begleitete am Klavier.

Krempels dankte den Kooperationspartnern dieser Veranstaltung: dem Kultur-werk der Siebenbürger Sachsen e.V. und der Kulturreferentin für Siebenbürgen Dr. Heinke Fabritius. Besonders dankte er allen Vortragenden und Künstlern sowie den Kulturpaten und dem gesamten Organisationsteam, ohne die solch eine Veranstaltung nicht stattfinden könnte. Geehrt wurden der Kulturpate für dieses Wochenende, Heinz Lahni, sowie die Schlosspaten Werner Wirsing-Lueke, Freundeskreis Anita und Frieder Schaser, Krista und Dieter Faber. Das Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen machte dankenswerterweise mit einer Spende von 5000 Euro den Anfang der Dachpatenschaften für die anstehende Dachsanierung. Der Schlossverein hofft auf Nachahmerinnen und Nachahmer. Ihre Namen werden auf einer Tafel im Schloss verewigt. Geistig und emotional gestärkt machten sich die Gäste auf den Heimweg.

Dr. Heidrun Menning-Heidner

Schlagwörter: Schloss Horneck, Gundelsheim, KulturWochenende, Landler, Heinke Fabritius

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Neueste Kommentare

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  • 16.11.2024, 20:13 Uhr von Ursula Hummes: Sorry, ich habe nichts von anderen Töpfen gewusst und danke Ihnen für Ihre Antwort,die mir die ... [weiter]
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