23. Dezember 2024

Evakuierung aus Nordsiebenbürgen 1944-1945

Vor 80 Jahren: „Die Flucht!“ und Todesangst
Die Viehtrecks setzten sich ab dem 7. September 1944 in Bewegung. Die Größe der Trecks schwankte, den Einwohnerzahlen der einzelnen deutschen Dörfer entsprechend, zwischen 50 und 400 Fuhrwerken, die zum Teil mit Pferden, zum Teil mit Ochsen oder Kühen bespannt waren. Geführt von den Ortsleiten, vielfach aber auch von Urlaubern der Waffen-SS, zogen die Wagenkolonnen in Tagesmärchen von 25-40 km auf der festgelegten Route vorwärts. Es kam allerdings wiederholt zu Straßenverstopfungen durch vor oder zurückgehende deutsche Truppen, so dass gelegentlich Umwege gewählt werden mussten. Größere Teile, vor allem der zu langsam vorauskommenden Hornviehtrecks wurden in Desch und Carol aufgelöst und auf Güterzüge verladen. Im Ganzen ereigneten sich im Verlauf der Trecks keine ernsthafteren Zwischenfälle. Jedoch manchmal schon.
Michael Kroner 1880-1960. Foto: Familienarchiv ...
Michael Kroner 1880-1960. Foto: Familienarchiv
Michael Kroner, geboren am 23. Oktober 1880 in Petersdorf, gestorben am 18. September 1960 in Deutsch-Budak, schreibt über die „Flucht“ und die Nachkriegszeit einen umfassenden Erinnerungsbericht:

Es war in den ersten Septembertagen des Jahres 1944, als wir das erste Mal das Wort „flüchten“ hörten. Es hatte große Bestürzung unter uns Sachsen hervorgerufen. … Man sprach, dass General Phleps die Nordsiebenbürger aufgefordert habe, sich ruhig zu verhalten und ruhig zu bleiben, es bestünde momentan keine Gefahr, die Heimat zu verlassen. … Aber nach einigen Tagen ging wieder wie ein leiser Wind das Wort „flüchten“ durch die sächsischen Gemeinden, die Russen waren im Roten Turmpass durchgebrochen und es gab keinen Halt mehr für sie. Nun hieß es „packen“. Kleider, Wäsche, Mehl, Kartoffeln und andere Lebensmittel wurden eingepackt, Hafer für die Pferde und alles wurde für die große Reise vorbereitet. Die Angst „Wohin und Wie“ klemmte das Herz zusammen und manche Träne rollte über die Wangen, denn nach 800-jährigem Bestand soll man Haus, Hof, Äcker, Wiesen, Vieh, Geflügel und alles, was bei einer Wirtschaft ist, verlassen und an einen unbestimmten Ort zu unbekannten Menschen flüchten. Am Sonntag, den 17. September, früh um 6 Uhr berief der Ortspfarrer Peter Gärtner alle Ortsbewohner auf den Pfarrhof und teilte mit wehem Herzen mit, dass die siebenbürgisch-sächsische Geschichte nach 800 Jahren aufgehört habe, und teilte mit, dass in der Früh um 6 Uhr „Abmarsch sei“. … Es hieß anfänglich, dass wir bis Nagy Károly fahren sollten, dieses Ziel war jedoch nicht stichhaltig, was wir jedoch erst später ersehen haben. Wir fuhren über Bistritz, Schönbirk, Blasendorf usw. Am dritten Tag abends waren wir oben auf dem Magyarlaposcher Gebirge angelangt und fuhren westlich vom Ziblesch auf der anderen Seite hinunter, es war der 20. September 1944. Und nun ereignete sich hier für unsere Familie das „Schrecklichste“.

„Es war der 20. September 1944. Und nun ereignete sich hier für unsere Familie das ,Schrecklichste‘. Ich ging, da es steil abwärts ging, vorne neben den Pferden, die Maria (16 Jahre alt) saß vorne und hatte das Leitseil um den Hals gewickelt, rückwärts im Kober war der kleine Miki (5 Jahre alt), beim zweiten Wagen, der hinter uns fuhr, war mein Sohn, seine Frau, meine Schwiegermutter, die Katharina, Anna, Erika und meine Frau. Die Maria beim ersten Wagen, welche, wie gesagt, vorne auf der Kutscherlade saß, rutschte aus zwischen die Pferde und blieb am Leitseil hängen, die Pferde wurden scheu und liefen wie wahnsinnig bergab. Ich konnte sie nicht mehr aufhalten, ich fiel um und der vollbeladene Wagen fuhr mir über den rechten Oberarm und hing nur an der Haut, der Bruch war gerade über dem Muskel, wo auch eine offene Wunde war. Ich sah mit schwerem Herzen dem hinunterrasenden Wagen nach und rief, ,Die Kinder, die Kinder!!!‘ Die Maria hatte das Leitseil um den Hals gewickelt und wurde unter dem Wagen nachgeschleppt. Es konnten auf einmal drei Tote sein, aber wenn die Not am größten ist, ist Gottes Hilfe am nächsten. Die Pferde liefen etwa 300 Meter am Berg hinab neben den Wagen, die im Treck auf der rechten Seite fuhren, da fand sich doch ein beherzter Mann namens Hofgräff Michael, Nr. 12, aus unserer Gemeinde, der die Pferde auf den Kopf schlug, so lange bis sie nach rechts bogen in den Treck. Die Deichsel lief auf den Kober seines Wagens, es zerbrach ihm ein Rad, seine Tochter fiel durch den Stoß zwischen die Pferde – es war ihr, Gott sei Dank, nichts passiert. Unserer Marie war aber, da sich die Deichsel so hoch gehoben hatte, das Kreuzholz hinter den Nacken gekommen und hatte sie so fest an die Erde gepresst, dass, wenn die Pferde noch einen Meter nach vorne gegangen wären, das Mädchen tot gewesen wäre. Es kamen schnell Männer herbei, hoben den Wagen in die Höhe, zogen das Mädchen heraus und so war es vom Tode gerettet und kam nur mit Abschürfungen am Gesicht und an den Händen davon. Als die Leute den kleinen Miki rückwärts im Kober sahen, rief er: ,Ich hu mich fast geholn!‘ (;Ich habe mich fest gehalten!‘)

Mich hatten einige Männer auf einen heimfahrenden mit Kürbis beladenen Wagen gehoben, und so fuhr ich bis in die nächste Ortschaft. Noch an demselben Abend brachten mich mein Sohn und unser Nachbar Johann Gross, 48, mit einem deutschen Militärauto nach Magyarlápos zum Arzt, um den Arm in Gips zu legen. Der Arzt jedoch riet davon ab, es müsse der Bruch röntgenisiert (geröntgt) werden, um zu sehen, ob der Bruch kompliziert sei, und wir fuhren zurück an die Stelle, wo unser Treck übernachtete. Mich legten sie in ein Bauernhaus, wo ich eine schwere Nacht durchmachte. Am nächsten Morgen fuhr ich mit demselben Auto nach Desch in ein deutsches Militärlazarett. Hier untersuchte mich der Arzt, gab mir eine Injektion gegen Wundstarrkrampf und legte den Arm in Gips.“

Von Desch wird Michael Kroner abtransportiert, einwaggoniert und gelangt mit 450 weiteren deutschen Verwundeten und Kranken im Schneckentempo (acht Tage lang) über Budapest nach Wien. Aufgeteilt wurden sie in Wien, Tulln und Krems, wo er sechs Wochen bleibt. Am 7. November trifft er in der Nähe von Mautern in Niederöstereich endlich seine Landsleute und seine Familie wieder.
Michael Kroner: Erinnerungen, Quelle: Manuskript (Familie)

Textauswahl: Horst Göbbel

Schlagwörter: Flucht und Evakuierung, Nordsiebenbürgen, Zeitzeugenbericht

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