25. September 2006

Retrospektive Reinhardt Schuster: Lob der Konsequenz

Das Gerhart-Hauptmann-Haus Düsseldorf zeigt zum 70. Geburtstag des aus Siebenbürgen stammenden Künstlers Reinhardt Schuster bis zum 20. Oktober eine Retrospektive. Gezeigt werden Gemälde und grafische Arbeiten aus 50 Jahren. Reinhardt Schuster wurde am 1. September 1936 in Brenndorf geboren und ist in Bonn und Düsseldorf ansässig. Von 1985 bis 2004 war er Dozent am "Lernort-Studio" Düsseldorf. Bei der Vernissage am 10. September beleuchtete der Publizist Franz Heinz das Werk des Malers und Grafikers. Die hervorragende Einführung wird im Folgenden in gekürzter Form veröffentlicht.
Es ist ein prätentiöses Anliegen, aus 50 Arbeitsjahren das auszuwählen, was Übergänge und Entwicklungen sichtbar macht und als repräsentativ gelten kann. Ist nicht jedes Bild repräsentativ, und hat nicht jedes seine Geschichte? Und ist der Künstler letzthin nicht doch allein im Ganzen zu erkennen? Zudem ist Schusters Retrospektive mit siebzig nicht die letzte Summe seines Künstlerlebens. Frische Ausführungen älterer Vorlagen, Studien und Entwürfe zeigen die andauernde Kreativität seiner Werkstatt, den Ideenreichtum und eine geradezu explosive Intensität der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Erlebnis Welt.

Reinhardt Schuster:
Reinhardt Schuster: "11. September 2001", Öl auf Leinwand, 2001, 120 x 90 cm.

Was aber ist Welt anderes als in einem bestimmten Raum in einer bestimmten Zeit zu leben, dazugehören und ausgestoßen sein, weggeschwemmt in der Menge und vielleicht, wenn auch nur vorübergehend, ein Zeichen setzen. Trotz allem. Nach dem Zweiten Weltkrieg schutzlos geworden, war auch das Land im Karpatenbogen jener totalen "Befreiung" ausgesetzt, die alles gekostet hat: das Eigentum, die bürgerlichen Rechte, Würde und Stolz, die Vergangenheit und die Zukunft und auch die Träume. Was blieb übrig, ließe sich fragen? Und es ist, nicht ohne geheime Freude, festzustellen, dass nach dieser totalen Befreiung nicht nur Platz für Elend und Erniedrigung war. Neue Überlebensstrategien wurden angedacht und sich zugeeignet, die jenseits der Verzweiflung aufkamen und das bereits zerstört geglaubte Selbstwertgefühl wieder stärkten. Das hat, finde ich, mit dem Erlebnis Welt zu tun, das man sich ja nicht aussucht, aber mit dem umzugehen entscheidend ist.

Wenn im künstlerischen Werk von Reinhardt Schuster immer wieder symbolhaft die gesellschaftliche und individuelle Freiheit durchscheint, so gibt es dafür gute Gründe, und sie alle haben damit zu tun, was wir als unsere Welt und den Umgang mit ihr bezeichnen. Es ist der Mensch ja nicht ausschließlich den äußeren Zwängen und Mächten ausgesetzt. Langwieriger und stets mit einem umständlichen Lernvorgang verbunden ist die Selbstbefreiung von Vorstellungen und verinnerlichten Diktaten, die uns durch Erziehung, das jeweilige Umfeld und die Zeitumstände ins Leben mitgegeben werden und sich häufig als wenig brauchbar erweisen. Denn es ändert sich auch das Schöne, die Methoden, der Geschmack, der gute Ton, ja selbst das Material, aus dem wir die Dinge und Undinge fertigen, mit denen wir uns umgeben. In der Technik haben die Kunststoffe die alten, soliden Werkstoffe verdrängt, die deutsche Rechtschreibung befindet, man könne ein Wort so und auch anders schreiben, und die moderne Kunst ist nicht darauf aus, ein Bild zu malen, sondern eine Idee oder doch das, was man dafür halten könnte.

Reinhardt Schuster gehört zu den Künstlern, in deren Werk die räumliche Versetzung in den Westen nicht von einer markanten Zäsur gekennzeichnet ist. Er muss nach Bukarest in Düsseldorf nicht von vorne beginnen. Noch geistert die erinnerte Bedrohlichkeit des rumänischen Diktators aus den neuen Bildern von Reinhardt Schuster, gleichzeitig aber entsteht das "Düsseldorfer Triptychon" mit seiner Bedenklichkeit vor der Realität des Westens. Es enthält keine Enttäuschung, nicht einmal eine Ernüchterung überstiegener Erwartungen; es ist als hörten wir den Künstler sagen: Ich hab's ja gewusst. Er musste es wissen, dass seine ausgeprägt individualistische Kunst nicht zuwanderungsfähig sein kann, dass sie keine Heimat findet, wohl aber jenen Freiraum, der Kunst erst möglich macht.

Dieser wahrgenommene und angenommene Freiraum ist nun sehr wohl im Werk zu erkennen. Während Bilder wie "Der Satrap" oder "Der böse Blick" nahezu unverhüllt auf die Schreckgestalt Ceausescu hinweisen, ist die Darstellung deutscher Verwaltungsbeflissenheit im "Schreibtischtäter" eher eine nebenher gemachte Erfahrung. Was dort bedrohlich wirkt, will hier über eine sarkastische Anspielung nicht hinausreichen. Terror und amtliche Verknöcherung sind beide verzerrt skizziert, was aber dort das Merkmal des Tragischen trägt, kommt hier mit einem karikierten Strich zurecht.

Reinhardt Schusters Kunst will nicht die Welt verändern, sie kann hingegen auch nicht an ihr vorüber. Ein Bild wie "Der 11. September" drückt sich nicht am Ereignis vorbei und muss nicht erst umständlich erklärt werden. Dennoch wird es zum Bild und hat vorweg als Malerei der Beurteilung standzuhalten. Ein Thema an sich, sagt eine alte Regel, rechtfertigt nicht das Werk. Reinhardt Schusters subjektive Auswahl aus dem, was geschieht, wird weniger von der gesellschaftlichen Bedeutung als von dem bestimmt, was die künstlerische Reaktion auslöst. Entsprechend geschieht die Übertragung der Ereignisse ins Bildhafte. In seinem Entwurf für ein monumentales Wandgemälde im Tagungsraum des Gerhart-Hauptmann-Hauses Düsseldorf greift er das Thema "Wanderungen" auf, wobei er völlig auf die figürliche Darstellung von Flucht, Deportation, Vertreibung, Auswanderung und Landnahme verzichtet, wie sie in unserer Vorstellung oder Erinnerung verankert sind. Eine Vielzahl von Linien, Pfeilen und Markierungen kommen von irgendwoher und streben irgendwohin, überschneiden sich, ändern die Stoßrichtung, weichen ab, drehen sich im Kreis, versickern, werden aufgefangen von einer Gegenströmung. Alles ist Bewegung und bleibt Bewegung, vielleicht ein Rastpunkt irgendwann aber keine Bleibe. Weder Ursache noch Wirkung und Ziel der Wanderungen sind skizziert, der Künstler erklärt nicht und verurteilt nicht. Schriftzeichen sind da und dort zu erkennen, aber nicht zu entziffern. Seine "Wanderungen" sind nicht eine regionale oder nationale Erscheinung - nichts könnte globaler sein als die Migrationen der Völker und ihrer Kulturen. Als Kinder des 20. Jahrhunderts von vielen Vertreibungen und ethnischen Säuberungen betroffen, reden wir uns ein, aus der Geschichte gelernt zu haben und genügend gerüstet zu sein, die Welt im Lot zu halten. Unser neues Jahrhundert aber kündigt sich als eine Zeit großer Migrationen an, von denen wir nicht wissen, wie sie zu steuern wären. Im Zentrum von Schusters Monumentalgemälde weist ein Doppelpfeil darauf hin, dass die Wanderungen hin und her gehen und dass es so bleiben wird. Das ist die im Bild festgehaltene Wahrheit, und es bleibt uns überlassen, etwas damit anzufangen.

Die Ausstellung enthält eine Reihe von Bildern, die sich zeitgeschichtlich zuordnen lassen und den Gegenwartskünstler ausweisen. Reinhardt Schuster sieht jedoch seine Gegenwärtigkeit nicht vorrangig in der Thematik seiner Bilder, sondern in ihrer Ästhetik, und hier sind es insbesondere die Arbeiten ohne vordergründig lesbaren Inhalt, die ins Auge fallen. Zwar verweisen die Titel da und dort auf konkrete Bezüge zur Gesellschaft und zum Zeitgeschehen, aber sie stehen nicht immer schon fest, bevor die Leinwand gespannt ist.

Wenn Reinhardt Schuster seine fünf Bilder auf der Hauptwand mit Titeln versehen hat, die entbehrlich oder verwirrend scheinen, so mag damit die Absicht verbunden sein, diese ungleichen Bilder nicht mit dem Titel zu verschließen. Bedrohliches, Witziges, Körperhaftes und Undefinierbares ist zu sehen, ausgetüftelte Kombinationen stehen neben verspielten Einfällen, das Strenge kann auch nichts weiter sein als schöne Form. Die paradenhafte Uniform in "Die letzten Drei" hat eher eine dekorative als eine Aussage-Funktion und wird durch drei unterschiedliche Fingerstellungen und die Markierungen x,y,z entschärft. Das "Strahlende Material" kann sowohl radioaktive Substanz als auch schlichtweg meisterhafte Fertigkeit sein. Ein Problem damit wird nur der haben, der sich auf die Eindeutigkeit der Mitteilung festlegt, das Bild liest und es nur in diesem Zusammenhang anzunehmen bereit ist. "Wenn ich ein Gemälde betrachte, auf dem ein Haus dargestellt ist", so Schuster, "sehe ich nicht ein Haus, sondern ein Bild."

Schusters Farben sind sauber, sorgfältig abgestimmt und abgegrenzt, sie verwässern nicht und weichen nicht auf. Nichts ist sich selbst überlassen. Was ruht, kann anders nicht sein, was stört, ist darauf angelegt. Das große Format kommt diesem Umgang mit der Farbe entgegen und wird flächig überdeckt mit Formen, die rund oder kantig, schräggestellt oder gewölbt, gestaffelt oder separiert das Bild bestimmen. Wir erleben eine eigenständige Entschlüsselung der Farbe als Gestaltungsprinzip, das seine Vorgabe eher darin haben mag, wie es auf keinen Fall zu machen ist.

Das macht auch seine Zeichnungen zum Erlebnis. Sie sind das Ergebnis einer Eigendynamik der Linie, visionäre Erfahrungen mit existentiellem Hintergrund, gestalterische Bewegungsabläufe, dem Stift überlassen, der Laune, dem Tag, dem Spiel und doch geordnet von einer unbestechlichen künstlerischen Sinnhaftigkeit. Das trifft in gleicher Weise auf die Buchstaben- und Zahlenreihen zu, die Schuster als grafische Variante zeigt und zu anscheinend strengeren Formationen gruppiert. Auch hier jedoch ist die Reihung eine Fortschreibung der Linie, die Entdeckung der Form als ästhetisches Erlebnis.

Es überrascht nicht, dass auch der gängige und weithin kapitalisierte Kunstbetrieb keine Zäsur in Reinhardt Schusters Werk verursacht, nichts verdrängt oder auch nur überlappt. Es mag wenig bedeutend sein, ob es das Ergebnis einer festgefügten künstlerischen Konsequenz ist oder mangelhafter Anpassungsfähigkeit. Beides wächst auf demselben Holz. Die Konsequenz, als zielbewusste Beharrlichkeit aufgefasst, schließt allerdings die Beweglichkeit nicht aus - die Bewegung an sich ist ja nichts anderes als Konsequenz. Die frühen Bilder, die Schuster in seiner Retrospektive zeigt, weisen, im Vergleich mit neueren Arbeiten, auf Verdichtungen und Steigerungen hin, die vor sich gegangen sind, aber auch auf eine formale und ästhetische Kontinuität. Er spricht von einer "Rückkehr der Motive" in seinem Werk, in dem alles zur Vollendung drängt. Das weist, finde ich, die Qualität des Meisters aus, im Eigenen beheimatet zu sein, sich mit seinem Werk in der Zeit dazu stellen zu können und nicht anstehen zu müssen. Denn das meint Reinhardt Schuster schon von seinen Bildern, dass sie in Ausdruck und Ästhetik von Dauer sind. Als Lob der Konsequenz.

Franz Heinz

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2006)

Schlagwörter: Künstler, Brenndorf, Reinhardt Schuster

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