23. November 2007

Karin Gündisch: „Lilli findet einen Zwilling“

Karin Gündisch erzählt in ihrem neuesten Buch die Freundschaftsgeschichte zweier Mädchen, die miteinander lernen, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden und Verständnis, Toleranz und Akzeptanz zu entwickeln. Lilli und Milli sind Zwillinge. Na ja, eigentlich tun sie nur so, als seien sie Zwillinge. Aber sie machen alles gemeinsam, ziehen die gleichen Sachen an und sind die besten Freundinnen. Karin Gündischs jüngster Streich ist wieder eine Geschichte mit zauberhaften Figuren, in die sich jedes Kind hineinversetzen kann, und Erwachsene, die das Buch zur Hand nehmen, werden den feinen Humor zwischen den Zeilen zu schätzen wissen.
Ludmilla, die mit ihrer Familie gerade von Russland nach Deutschland gekommen ist, lebt mit drei Brüdern, ihren Eltern, der Oma und Onkel Josef im Aussiedlerheim in Freibach. An ihrem ersten Schultag soll sie die unverzichtbare Pelzkappe aufsetzen, aber die Winter in Deutschland sind nicht mit denen in Moskau zu vergleichen, und so versteckt Ludmilla das unbrauchbare Ding gleich am zweiten Tag im Schrank, der nach Omas Mottenkugeln riecht, und tut den ersten Schritt in ihr neues Leben in Deutschland – nicht mehr „wohl behütet“, aber schon ein klein bisschen angepasst.

In der Schulbank muss sie allein sitzen, was ihr das Eingewöhnen nicht besonders einfach macht, und trotz ihrer perfekten Deutschkenntnisse wird sie nicht zum Kindergeburtstag eingeladen und steht in der Pause allein auf dem Schulhof, während die anderen Mädchen miteinander spielen und sich unterhalten. Aber dann taucht Amelie auf. Auch sie ist neu in der Klasse, setzt sich aber ohne Scheu auf den freien Platz neben Ludmilla, und aus den beiden werden Lilli und Milli, die Zwillinge.

An dieser Stelle hält man inne und bewundert, wie einfach Kinder zueinander finden können. Karin Gündisch versteht es meisterhaft, diesen Moment und die darauf folgende, unkomplizierte Freundschaft erzählerisch zu verarbeiten. Trotz völlig gegensätzlicher familiärer Hintergründe – Ludmilla lebt mit ihrer Großfamilie auf engstem Raum, Amelie wohnt mit ihrer alleinerziehenden, studierenden Mutter im Studentenwohnheim – sind Lilli und Milli ein Herz und eine Seele, besuchen sich gegenseitig, kaufen sich die gleichen Hosen, T-Shirts und Kleider, gehen gemeinsam in die Bibliothek und verstehen sich überhaupt von Anfang an so wunderbar, dass man nur staunen kann.

Frei von Vorurteilen genießen sie es, in der fremden Umgebung eine Freundin gefunden zu haben und führen die Leute mit ihrer Zwillingsgeschichte an der Nase herum – ob man ihnen nun glaubt oder nicht. So finden sie sich nach und nach in die neue Situation ein – ja, sie vergessen sie sogar und fühlen sich schon bald gar nicht mehr fremd. Für beide ist ihre bedingungslose Freundschaft ein wichtiger Schritt zur Integration.

Gleichzeitig mit dieser wunderbaren Freundschaftsgeschichte gelingt es Karin Gündisch auch, ihren jungen Lesern einen kleinen Einblick in eine fremde Kultur zu gewähren. Sie entfernt sich von ihren siebenbürgischen Wurzeln und thematisiert das Leben einer russlanddeutschen Aussiedlerfamilie – und ist damit hochaktuell. Die Probleme sind ähnlich, und doch ist die Zerrissenheit zwischen alter und neuer Heimat bei Lillis Familie viel deutlicher. Gündisch versteht es, diese kulturellen Unterschiede anhand von kleinen Begenheiten wie einer Mahlzeit oder einer Familienfeier zu thematisieren, so dass sie sich unaufdringlich in die Handlung integrieren, aber doch unmissverständlich sind.

„Lilli findet einen Zwilling“ ist ein Buch zum Vor- und Selberlesen, und Kinder wie Erwachsene werden sich gleichermaßen angesprochen fühlen von der Leichtigkeit, mit der Karin Gündisch zu erzählen weiß.

Doris Roth

Karin Gündisch, Lilli findet einen Zwilling, Sauerländer Verlag, Düsseldorf, 2007, 120 Seiten, 11,90 Euro, ISBN 978-3-7941-6098-3.
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