23. Juni 2008

Aussiedlerkulturtage in Nürnberg: Kräftige Wurzeln im Osten

Die Eröffnung der Aussiedlerkulturtage am 13. Juni im Haus der Heimat Nürnberg stand im Zeichen von Kirchen, die seit Jahrhunderten im östlichen Teil Europas die Kultur der Aussied­ler mit geprägt haben. Referent Joachim Czernek stellte anhand von Bildern zwölf Kirchen seiner Heimatstadt Beuthen in Oberschlesien vor und zeigte mit jedem Satz die tiefe Bindung zu den Kirchen und den damit verbundenen Festen und Traditionen. Umso mehr erschütterten die Nachricht und die von Horst Göbbel aus dem Internet gezeigten Bilder vom Brand der ev. Kirche von Bistritz das anwesende Publikum. Der Vorsitzende des Vereins Haus der Heimat fand jedoch den Weg aus dem Beklagenswerten heraus, indem er die schnelle und hoffnungsvolle Reaktion des Demokratischen Forums der Deutschen in Bistritz beschrieb, das 3 000 Euro umgehend in einen Fonds für den Wiederaufbau der Kirche spendete.
Göbbel spannte den Bogen zu Lukas Podolski, der nach dem Sieg der Deutschen über die Polen im ersten EM Spiel nicht triumphiert hatte. „Wir sind nach Deutschland zugewanderte Deutsche mit kräftigen Wurzeln im Osten. Wir sind hier in Deutschland zu Hause, ohne unsere Verbindungs­leinen zur Heimat im Osten gekappt zu haben,“ betonte Göbbel. Die folgenden Menuette von J. S. Bach, meisterhaft vorgetragen von den beiden in Weimar studierenden Sathmarer Schwaben Szilard Biro und Csaba Ionucz am Euphonium und an der Tuba, konnten die Stimmung der Anwesenden aufhellen. Die folgenden Grußworte klangen dann schon sehr optimistisch.
Volker Potoradi (Violoncello) und Robin McBride ...
Volker Potoradi (Violoncello) und Robin McBride (Klassische Gitarre) begeisterten das Publikum.
Stadtrat Prof. Dr. Hartmut Beck (FW) sagte, die Aussiedlerkulturtage seien „seit 22 Jahren eine Institution, die mit großem Interesse verfolgt werden und dazu beitragen, dass Aussiedler in die hiesige Gesellschaft integriert werden“. Hel­mine Buchsbaum (CSU) würdigte ihren Lands­mann, den Banater Schwaben Dr. Ernst Chris­tian, der die Nürnberger Aussiedlerkulturtage ins Leben gerufen hat, seine Vision und hartnäckigen Bemühungen, alle Aussiedler unter einem Dach zu vereinen. In Vertretung des Schirm­herrn, Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, hatte zuvor Stadträtin Gabriela Heinrich (SPD) vom Charme der Aussiedlerkulturtage gesprochen, wobei „die große Würdigung der Kultur ganz sicher dafür ausschlaggebend ist, dass und wie die Aussiedler in dieser Stadt gesehen werden.“

Der Abend hatte mit Oleg Madorskis virtuosen Klaviervorträgen aus Werken von F. Chopin und F. Liszt begonnen und wurde mit Nocturnes von F. Burgmüller abgerundet. Volker Potoradi (Vio­loncello) und Robin McBride (Klassische Gitarre) begeisterten einfühlsam und gekonnt das Publi­kum. Simone Alzner hatte charmant durch den Abend geführt und lud abschließend die Gäste ein, die beiden Ausstellungen „1000 Jahre Chris­tentum und Kirchen der Stadt Beuthen“ sowie „Rathäuser in Schlesien“, eine Ausstellung von Joachim Lukas, zu besichtigen.

Am Samstag begrüßte Horst Göbbel rund 300 Gäste im Gemeinschaftshaus Nürnberg-Lang­wasser als Vorsitzender des Hauses der Heimat, das 2008 den Vorsitz im Aussiedlerbeirat der Stadt Nürnberg hat, mit einem Zitat von Minis­terpräsident Dr. Günther Beckstein: „Gelungene Integration ist zentraler Eckpfeiler für die Siche­rung des sozialen Gleichgewichts in unserem Land.“ Die Schlüssel dazu seien Sprache, Bil­dung, Arbeit, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und Offenheit plus Toleranz. „Hier und heute erleben wir in kleinen Ausschnitten For­men der Teilhabe von Aussiedlern am gesellschaftlichen Leben in Verbänden, Vereinen und Organisationen“, betonte Göbbel. Einen besonderen Gruß entrichtete er an die aus Sathmar angereiste Kulturgruppe „Gemeinsam“, die die Vielfalt kulturellen Lebens der Deutschen aus dem Osten unterstreiche.

Namhafte Ehrengäste, darunter Stadträte und der Aussiedlerbeauftragte Wolfgang Lang, gaben durch ihre Anwesenheit den zwanzig ge­staltenden Kulturgruppen die Ehre. Nürnbergs Bürgermeister Horst Förther sagte in Vertretung des Oberbürgermeisters: „Sie haben mit Ihrer Kultur Nürnberg bereichert.“ Er nannte Beispie­le, lobte das Haus der Heimat und betonte: „Aus­siedlerkulturtage bauen Brücken und helfen, Vorurteile abzubauen. Jugendliche erfahren hier Heimat, Geborgenheit …“

Dagmar Wöhrl, MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bun­desminister für Wirtschaft und Technologie, lob­te die kulturellen Leistungen der Aussiedler und deren Trachtenvielfalt: „Gratulation für Ihre erfolgreiche Arbeit! Kultur verbindet.“

Günther Gloser, MdB, Staatsminister für Europa im Aus­wärtigen Amt, sprach von Grenzbäumen, die im Projekt Europa wegfallen, lobte Hermannstadt, die Europäische Kulturhauptstadt 2007, und meinte: „Selbst Polen sind stolz auf die deutsche Kultur in ihrem Land“. Karl Freller, MdL, Stell­vertretender Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, erklärte: „Der Mensch ohne Kultur ist geistig obdachlos.“ Er dankte vor allem den Jugendlichen, die die Kultur weiter trügen. In Freiheit und Demokratie lasse sich kulturelle Vielfalt echt verwirklichen, also müss­ten diese Werte bewahrt und beschützt werden. Richard Bartsch, Bezirkstagspräsident von Mit­telfranken, war 1982 in Siebenbürgen und hat die Diktatur hautnah erlebt. Er bewundere die Leistungen der Aussiedler und unterstütze seit 2000 die Kulturtätigkeiten des Hauses der Hei­mat Nürnberg, „weil dies ein Gewinn für Fran­ken, für den Bezirk ist“, so Bartsch.

Was auf der Bühne unter dem Motto „Musik und Tanz am Nachmittag“ geboten wurde, hatte Schwung, Qualität und Vielfalt. Volkstänze, Hip-Hop, Volkslieder und moderner Gesang wechselten sich mit Theater und Blasmusik ab und zuletzt konnte man noch beim gemeinsamen Tanzen einen Volkstanz lernen. Anna Malygin führte sympathisch und souverän durch das Pro­gramm. Die Banater Schwaben waren durch ihre Kindertrachtengruppe vertreten, die Sathmarer Schwaben durch die Trachtentanzgruppe der Sathmarer Jugendorganisation „Gemeinsam“ und das Duo Tündes und Szilveszter Lörincz (Gesang und Gitarrenbegleitung), die Deutschen aus Russland durch die Hip-Hop-Gruppe „White Shadows“, eine Trachtentanzgruppe, den Chor „Heimatklänge“ sowie die sechs Gesanggruppen des Hauses der Heimat, und die Siebenbürger Sachsen durch die Blaskapelle Nürnberg (Diri­gent Michael Bielz), den Singkreis Nürnberg (Leitung Margarete Schuster), die Jugendtanz­gruppe Herzogenaurach (Leitung Brigitte Krem­pels) sowie das JugendTheater Nürnberg (Lei­tung Doris Hutter) mit dem Einakter „Schweine­reien Mangelware“. Annette Folkendt präsentierte die neu gegründete landsmannschaftlich übergreifende Kindertanzgruppe „Sonnenmatte 2008“. Das gemeinsame Tanzen (Leitung Brigitte Krempels) vereinigte Jung und Alt, Trachtenträ­ger und Zuschauer im Erlernen der Kreuzpolka, was sichtliches Vergnügen bereitete.

Am Sonntag wurde in Zusammenarbeit mit Diakon Friedrich Röttenbacher der Gottesdienst in der Martin-Niemöller-Kirche in Nürnberg-Langwasser gestaltet und durch rund 70 Trach­tenträger der Deutschen aus Russland, Ober­schlesier, Banater und Sathmarer Schwaben so­wie Siebenbürger Sachsen bereichert. Dekanin Ursula Seitz predigte zum Thema „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem an­dern zu“. Irmgard Müller sang in Begleitung von Renate Jung-Bilk an der Orgel und Lydia Pastar­nak gestaltete Klage und Lob aus der Sicht einer Aussiedlerin: Sie beklagte Krieg, Vertreibung, Not, Hilflosigkeit, Fremdsein, Angst, Arbeitslo­sigkeit, Einsamkeit. Dann lobte sie die Freiheit, Fürsorge des Staates und Religionsfreiheit in Deutschland. Anna Malygin unterstrich das Lob durch ein ergreifendes Flötenspiel. Stadträtin Helmine Buchsbaum sprach nach dem Gottes­dienst ein Grußwort in Ver­tretung des Schirm­herrn und schilderte die einstigen Bemühungen der evangelischen Niemöller- und benachbarten katholischen Maximilian-Kolbe-Kirche für die Aussiedler in der Durchgangsstelle Nürnberg. Mit Bussen wurden diese am Sonntag zum Got­tesdienst abgeholt, was ein tief greifendes Erlebnis für sie war, weil sie sie sich in eine Gemeinschaft an- und aufgenommen gefühlt hätten. Doris Hutter würdigte die Aussiedlerkultur­tage als maßgeblichen Beitrag dazu, dass durch die Beschäftigung mit Geschichte und Kultur die Aussiedler daraus Kraft, Motivation und Wissen für die Gestaltung der Zukunft schöpfen könnten, und dankte allen Mitwirkenden. Anlässlich des Projektes „Das Russland-deutsche Haus“ sei eine Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen der Niemöller-Kirche zustande gekommen, die auf Neugierde, Respekt und gegenseitiger Hilfe gegründet gewesen sei. Dies sei eine gute Mög­lichkeit, die Kultur der Aussiedler erfolgreich in Deutschland einzubringen, meinte Hutter. Zu den Klängen des aus Weimar angereisten Bläser-Quintetts „FANTA 5“ gestalteten die Trachten­träger für die sichtlich erfreuten Gemeindemit­glieder einen Trachtenaufmarsch im Hof der Kirche und schafften den Rahmen für einen festlichen Abschluss der diesjährigen Aussied­lerkulturtage.

Doris Hutter

Schlagwörter: Nürnberg

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