4. Januar 2009

Franz Marschang: „Büsch schneide und Gras roppe for fufzig Pfennig“

Besprechung des vierten Bandes der Tetralogie „Am Wegrand der Geschichte“ von Franz Marschang, Band IV: „Die andere Welt“, Edition Fischer, Frankfurt am Main 2008, 292 Seiten, 16,80 Euro, ISBN 978-3-89950-409-5.
Ende der 70er Jahre verlassen Resi und Gerd Mann mit ihrem Sohn Horst Rumänien. Das Banat, die ehemalige Heimat, bleibt zurück. Es ist ihnen schon längst zur Fremde geworden. Deutschland zeigt den Umsiedlern viele Gesichter. Die Demokratie ist für die Neuankömmlinge ein Lehrstück, der Pluralismus verwirrend, Rationales und Irrationales sind in unaufhörlicher Auseinandersetzung begriffen. Vieles entspricht den Erwartungen der Ankömmlinge, manches sehen sie aus kritischer Distanz. Nach den Romanen - Marschang nennt sie zeitgeschichtliche Erzählungen – „Morgenrot der Kolchose“, „Im Netzwerk der Staatsgüter“ und „Dreieinigkeit: Lehre, Forschung, Produktion“ und „Einmal winkt jedem das Glück“ präsentiert der 1932 im Banat geborene Schriftsteller Franz Marschang mit „Die andere Welt“ den letzten Band seiner Tetralogie „Am Wegrand der Geschichte“.

Die drei ersten Bände handeln vom Niedergang der alten Heimat und vom Schicksal der Banater Schwaben. Gerd Mann ist über die Dobrudscha, den Landstrich am Schwarzen Meer, ins Banat zurückgekehrt. Als Tierarzt erlebt er auf einer Staatsfarm in Wojteg das Massensterben der Ferkel. Tierseuchen kommen und gehen. Er verliert seinen Arbeitsplatz als Tierarzt auf der Staatsfarm. Nach der Entlassung in Wojtek wird Gerd Mann Assistent an der Fakultät für Veterinärmedizin in Temeswar. Er spezialisiert sich auf Tierhygiene, was ihm später einmal im Westen zugute kommen wird.

Als Neuankömmlinge in Deutschland sind sich die Manns bewusst: Standen sie in Rumänien seit Jahrzehnten als innerlich Unbeteiligte neben den Ereignissen, so müssen sie nun im Ereignisstrom mitschwimmen. Sie sind in die Freiheit gewechselt, die zwar nicht ohne Zwänge ist, für jeden aber Freiräume offen hält, wo er sich seine eigene kleine Welt einrichten kann. Die Manns vertrauen den Kräften der Vernunft und lassen sich auf die neuen Herausforderungen ein. Die Erleichterung darüber, den geheimdienstlichen Nachstellungen entkommen zu sein, wiegt manche Ernüchterung auf. Gerd hat schon nach wenigen Monaten eine Arbeitsstelle. Als Tierarzt kommt er durch ganz Baden-Württemberg und lernt kennen, was so alles in der deutschen Landwirtschaft im Argen liegt. Er erkennt rasch, dass auch die deutschen Kollegen nur mit Wasser kochen. Gerd fällt der alte Banater Spruch „Ferchte mache gilt nix“ ein. Schließlich geht er selbstbewusst seinen Weg. Von den Erfahrungen, die er in riesigen sozialistischen Tierzuchtbetrieben in Rumänien mit Krankheiten gemacht hat, profitieren sowohl er als auch mancher Landwirt und sein Betrieb im Südwesten Deutschlands. Auf seinen Dienstwegen über die vielen Bauernhöfe trifft Gerd auch seinen ehemaligen Kollegen Sepp aus dem Banat. Auch Sepp übt den Tierarztberuf vorbildlich aus. Wie viele Aussiedler macht auch er zum Teil negative Erfahrungen. Seit Jahren hat Sepp keinen freien Tag. Die im Umkreis wohnenden Kollegen weigern sich, ihn in ihren Reihum-Sonntags- und Feiertagsdienst aufzunehmen, mit der Begründung: Sie wollen keinen Ausländer bei uns haben.

Gerd lernt aber auch die Sorgen der deutschen Landwirte kennen. Er erlebt das Sterben der Höfe und die Sorgen der Bauern. Zu ihnen gehört auch der Bullenmäster aus Ladenburg, der seinen Hof aufgeben muss. Gerd trifft ihn in Heidelberg wieder, wo er „Büsch schneide und Gras roppe (zupfen)“ geht „for fufzig Pfennig de Quadratmeter“. Er steht geknickt vor Gerd und fragt: „Die Großkopfete kimmre (kümmern) sich um de Regewald in Brasilien; un wer kimmert sich um uns?“

Irgendwann macht Gerd sogar einen Anfang vom Untergang der westlichen Zivilisation aus, denn „in der Menschheitsgeschichte hat der Untergang aller großen Imperien damit begonnen, dass die Bürger immer mehr dem Vergnügen nachjagten“. Trotzdem ist Gerd froh, in der anderen, der neuen Welt angekommen zu sein, denn die alte Heimat gibt es nicht mehr für ihn und die Seinen.

Johann Steiner


Franz Marschang, „Am Wegrand der Geschichte“, Band IV: „Die andere Welt“, Edition Fischer, Frankfurt am Main 2008, 292 Seiten, 16,80 Euro, ISBN 978-3-89950-409-5

Schlagwörter: Rezension, Banat

Bewerten:

9 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.