14. Oktober 2009

Von der Securitate überwacht: Hellmut Seiler

Zum Auftakt der Herbsttermine der Landes­gruppe Baden-Württemberg im Haus der Hei­mat fand am 25. September Vortrag und Lesung von und mit dem Schriftsteller Hellmut Seiler statt. Das Thema in der von Alfred Mrass und Sieg­fried Habicher ausgegebenen Einladung machte neugierig: „Der Wahnsinn als Methode – die Illu­sion der totalen Überwachung“, ließ aber erahnen, dass es sich dabei um die Arbeitsmethoden der Securitate in Rumänien handeln würde.
Bereits bei der Begrüßung und kurzen Vorstel­lung durch Siegfried Habicher erfuhren die Zu­hörer Eckdaten der Vita des Referenten: geboren in Reps, Gymnasium in Kronstadt, Studium der Germanistik und Anglistik in Hermannstadt, wo seine Sensibilität für die Literatur auffiel und er seine frühen belletristischen Texte im Rah­men des Literaturkreises vortrug. Danach war er Deutsch- und Englischlehrer am Gymnasium in Neumarkt am Mieresch. Seit 1991 unterrichtet Seiler dieselben Fächer sowie Ethik als Stu­dienrat am Gymnasium in Backnang.

Der Referent stieg dann direkt ins Thema ein. In freier Rede erzählte Hellmut Seiler, wie er 1985 wegen seines Antrags auf Ausreise in die Bundesrepublik aus dem Lehramt entfernt wur­de. Begleitet wurde dieser Rausschmiss vom Verbot jeglichen Auftritts als Schriftsteller und Publizist. Er wurde, politisch gesehen‚ „lahmgelegt“. Aufgrund seiner vielfältigen Kontakte zu andern missliebigen Schriftstellern und Künst­lern im Land und zu „Ausländern“, aber auch durch die nicht-systemkonforme Haltung, die aus seinen Texten sprach, geriet er ins Visier des Geheimdienstes Securitate. Als im Februar 1988 sein Offener Brief an den damaligen Innenminis­ter Rumäniens in der Sendung „Rumänien und die Menschenrechte“ des Radiosenders „Freies Europa“ ausgestrahlt wurde, lief das Fass seiner „Staatsfeindlichkeit“ über. Sieben Mo­­nate später durfte / musste er aus Rumänien ausreisen. Er­mutigt von seinen Freunden Peter Mot­zan und Stefan Sienerth, stellte er bei der CNSAS – der rumänischen Gauck-/Birthler-Behörde in Buka­rest – im Vorjahr den Antrag auf Einsicht in sein Securitate-Dossier. Nach einer Wartezeit von einigen Monaten bekam er schließlich eine Ter­minzusage und es kam zu der – für einen „unbe­scholtenen“ Bürger – sehr emotionalen Begeg­nung mit sich selbst und seiner Vergangenheit. An dieser Stelle hörten wir den Text mit dem Titel „Verfolgte verfolgen Verfolger“.

Über 850 Seiten Material hatte sich in der Akte Hellmut Seiler alias „Boris“ gesammelt. Aus dem anfänglich zögerlichen Blättern und stichprobenmäßigen Lesen wurde ein drei Tage dauerndes Studium der Akte, so dass Hellmut Seiler „Begegnungen“ erlebte, die ihm in allen Einzel­heiten nicht mehr gegenwärtig waren. Er fand Niederschriften von Gesprächen, die er auf Eng­lisch, Deutsch, Ungarisch oder in sächsischer Mundart geführt hatte. Das lässt darauf schließen, dass der Protokollant eine gebildete Person gewesen sein muss und wirft die Frage auf, ob es jemand aus unserer Volksgruppe war. Seiler zog sich mit seinen Freunden oder Besuchern immer in seine Wohnung zurück, schloss Fens­ter und Türen, sprach nur mit gedämpfter Stim­me. Trotzdem: Alle Einzelheiten der Gespräche aus seiner Wohnung fand er im Dossier. Die Securitate hatte aber nicht nur in der Wohnung Wanzen (Funk­sender) eingebaut, sondern auch in Gaststätten, vornehmlich in seinem be­vorzug­ten Speiselokal Transilvania. Damit nicht genug, wie Bilder beweisen, wurden Seilers Bewegun­gen Tag und Nacht auch fotographisch beobach­tet und protokolliert. Als Hohn des Abhör- und Verfolgungswahns wertete Seiler die Protokolle, die das Geschehen in seiner Wohnung auch noch nach seiner Ausreise wiedergaben: Gespräche seiner Nachmieter über die Farbgebung der Wände und sonstige belanglose Dinge.

Lobend erwähnte Seiler die Unterstützung, die er von Seiten der Mitarbeiter der Behörde beim Lesen und Deuten der Aufzeichnungen erfahren hatte. Für einen Laien ist es oft nicht möglich, die Kürzel oder die Sprache der Protokolle zu verstehen. Umso hilfreicher waren die „Finger­zeige“ und „Übersetzun­gen“ des jungen und freundlichen Personals. Hellmut Seiler hat seinen gesamten Ordner als Fotokopie und die Fotos als CD mitgebracht und in seinem Archiv abgelegt. Sein Aufruf richtet sich an alle Landsleute, die vor ihrer Ausreise irgendwie in der Öffent­lichkeit gestanden haben, einen Antrag auf Aktenein­sicht bei der CNSAS in Bukarest zu stellen. Es ist die einzige Stelle in Rumänien, wo die Securitate-Akten gesammelt vorliegen.

Mit seinem „Schnapsgedicht“ beendete der Referent seinen Vortrag und hatte den Beifall aller auf seiner Seite. Er konnte das Auditorium voll und ganz vom Wahnsinn als Methode – und der Illusion der Securitate von der totalen Über­wachung überzeugen. Sowohl im Vortrag als auch in seinen Schriften verwendet Hellmut Sei­ler eine klare, gut verständliche Sprache, zeichnet Bilder, die der Zuhörer oder Leser als angenehm empfindet. Gleichzeitig lässt er jedem genügend Raum für eigene Bilder und Phanta­sie, was wohl auch verschiedene Juroren dazu veranlasst hatte, Hellmut Seiler diverse Ehrun­gen und Anerkennungen zuteil werden zu lassen. Für den informativen und unterhaltsamen Abend möchte ich im Namen aller Anwesenden dem Referenten und den Organisatoren herzlich danken!

Johannes Kravatzky

Schlagwörter: Stuttgart, Vortragsreihen, Securitate

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