8. Dezember 2009

Das verhängnisvolle Wort: Dendorfer berichtet über "Schwarze Kirche-Prozess"

Mit dem „Schwarze-Kirche-Prozess“ hat sich der seinerzeitige Angeklagte Karl Dendorfer in einem Vortrag am 15. November im gut besetzten Festsaal des Rathauses Mannheim-Neckarau auseinandergesetzt. „Versuch einer Erklärung“ hat der in Stuttgart lebende Bankkaufmann seine Erinnerungen betitelt, die er bereits 1992 niedergeschrieben hat.
Freilich sind durch die Öffnung des Securitate-Archivs inzwischen neue Erkenntnisse hinzugekommen. Mit seiner scharfsinnigen Analyse der damaligen Vorgänge versucht Dendorfer Licht in das Dunkel eines Unrechtssystems zu bringen, das darauf bedacht war, Angst und Schrecken zu verbreiten, um so die Bestrebungen zu nationaler Selbstbehauptung der Minderheiten in Rumänien im Keim zu ersticken.

Der „Schwarze-Kirche-Prozess“ war nur einer von vielen Prozessen, so der „Sankt-Annensee- oder Prejba-Prozess“, der „Schriftsteller-Prozess“, die Prozesse der ungarischen Minderheit. Lüge, Terror, Willkür und Desinformation waren die wichtigsten strategischen Mittel der Securitate, so Dendorfer, um durch Konfusion, Verunsicherung und Einschüchterung ein menschenverachtendes Unterdrückungssystem durchzusetzen. Die Desinformation wirkt bis heute nach, nur wenige wissen, was damals wirklich geschah. Ein einziges Wort war dem Stadtpfarrer der Kronstädter Schwarzen Kirche, Dr. Konrad Möckel, zum Verhängnis geworden. Während des dreitägigen, als „Schwarze-Kirche“ bekannten Prozesses (November 1958) hatte ihn der vorsitzende Richter zur Rolle der Siebenbürger Sachsen und ihrer historischen Aufgabe in den vergangenen Jahrhunderten befragt. Freimütig hatte Dr. Möckel erklärt, dass es zum Selbstverständnis und zur Identität der Siebenbürger Sachsen gehörte, sich als Bollwerk zu verstehen, als Vorposten des Abendlandes gegenüber dem Osten, zum Schutze des Westens. Auf die darauffolgende Frage, welches – nach dem Verständnis Dr. Möckels – die Rolle der Siebenbürger Sachsen heute sei, antwortete er ohne zu zögern: „Dieselbe.“. Dieses Wort genügte, um Dr. Möckel des kontrarevolutionären Hochverrats an den Zielen der neuen Gesellschaft, die ja dem Osten verpflichtet war, zu überführen und die Todesstrafe zu begründen. Damit waren auch die 20 Jugendlichen verurteilt, die neben dem Hauptangeklagten Dr. Möckel auf der Anklagebank saßen, denn nun war der reaktionäre Einfluss erwiesen, den die Kirche – als Hauptfeind der neuen Gesellschaft – auf die Jugendlichen auszuüben vermochte. Als „Edelsachsen“ sind sie in die Geschichte eingegangen, wenngleich dieser Ausdruck nicht von ihnen stammte, sondern ihnen möglicherweise vom Geheimdienst angehängt wurde, um ihnen angeblich national-überhebliche Ziele anzudichten.
Karl Dendorfer (sitzend links), der Autor des ...
Karl Dendorfer (sitzend links), der Autor des Berichtes über den "Schwarze-Kirche-Prozess" und seine beiden Sprecher: Hans Wester und Dr. Paul Hamsea (am Rednerpult). Foto: Jürgen Liess
Willkürlich waren sie ausgewählt worden, die zwanzig Kronstädter Jugendlichen, die sich zum Teil gar nicht kannten. Es bedurfte keiner tatsächlichen Schuld. Durch derartige Willkür sollte die ganze Bevölkerung in Schach gehalten werden. Vorgeworfen wurde diesen „Edelsachsen“, die sich um Horst Depner und Günter Volkmer gruppierten, sie „beabsichtigten, mit der nationalen Minderheit der Deutschen eine Festungsinsel der westlichen Kultur im Kampf gegen den internationalen Kommunismus zu schaffen“.

Das Eingreifen der Securitate zu diesem Zeitpunkt hat wohl zwei Gründe gehabt: einen gesellschaftspolitischen und einen national begründeten. Einerseits durften die wirtschaftlichen Misserfolge nicht dem System angelastet werden. Die Schuld musste bei Saboteuren des Klassenfeindes gefunden werden, und diese mussten notfalls ge- oder auch erfunden werden. Andererseits befürchteten die rumänischen Machthaber nach dem missglückten ungarischen Volksaufstand von 1956 ähnliche Entwicklungen im eigenen Land, die man rechtzeitig zu unterbinden suchte. So kam der Securitate die Situation in Kronstadt gerade recht: die Existenz deutscher Jugendgruppen um Horst Depner und Günter Volkmer, die sich als „Debattierclubs“ verstanden, in denen das Zeitgeschehen zwar intensiv, aber ohne jegliche umstürzlerische Intentionen debattiert wurde. Stadtpfarrer Dr. Konrad Möckel wurde dessen engagierter Einsatz – bei der damaligen Landflucht –, die abdriftende Jugend wieder stärker an die Kirche zu binden, angelastet. Zwischen Dr. Möckel und den Jugendgruppen wurde eine konspirative Verbindung konstruiert und der grundanständige Stadtpfarrer zum geistigen Mentor der Jugendgruppen und Hauptvertreter reaktionärer Umtriebe und somit zum Hauptangeklagten hochstilisiert.

Für Dendorfers Anklage und lebenslängliche Verurteilung genügten der Besitz und die Weitergabe westlicher Zeitschriften sowie der Kontakt zu dem westdeutschen Studenten Heinz Hahn, der von der Securitate zum antiimperialistischen Spion und Agenten aufgebaut wurde. Dendorfer versucht das Geschehen in die großen geschichtlichen Zusammenhänge der Kriegs- und Nachkriegszeit einzuordnen. Er sinniert über Opfer und Täter, über Schuld und Mitschuld und versucht der Wahrheit auf den Grund zu gelangen. Aber was ist Wahrheit, fragt er. Es gibt deren immer mehrere: die Wahrheit der Securitate, die des Gerichts, die der Betroffenen und Angehörigen und die der meist desinformierten gesellschaftlichen Wahrnehmung etc. Wird sich die wahre Wahrheit jemals finden lassen? Nach Öffnen des Securitate-Archivs hatte Dendorfer die Möglichkeit, eine 4 000 Seiten umfassende Akte einzusehen. Aber nicht nur sein stark beeinträchtigtes Sehvermögen – wohl auch eine Folge der langjährigen Kerkerhaft – hinderte ihn daran. Er sah sich auch physisch und psychisch außer Stande, erneut in diesen Sumpf menschlicher Grausamkeit einzusteigen, so wie er auch nicht in der Lage war, über die Tortur des Verhörs mit lebenslänglicher Verurteilung, über das Zermürbende der Einzelhaft und der anschließenden Gefängniszeit zu sprechen. Das Grauen einer solchen Erfahrung lasse sich ohnehin nicht in Worte fassen. Und dennoch haben gerade die Gefängnisjahre ihm auch wertvolle Erfahrungen eingebracht. In den Gefängnissen von Kronstadt und Zeiden, von Jilava, Pitești, Dej oder Gherla saß die geistige Elite Rumäniens, Ungarn, Sachsen wie auch Rumänen, die hochinteressante Gesprächspartner waren.

Die anschließende Gesprächsrunde animierte Dendorfer, auch hierüber Einzelheiten preiszugeben. Dass das spätere Leben in der Bundesrepublik ihn, der 1962 begnadigt und 1966 vom Westen abgekauft wurde, letztlich doch für die erlittene Schmach reichlich entschädigte, dafür zeigte sich Dendorfer dankbar, wie auch dafür, dass er den Zusammenbruch dieses verbrecherischen Systems miterleben durfte. Applaus erhielten auch die beiden „Vorleser“, die für den stark sehbehinderten Autor in die Bresche gesprungen waren: Hans Wester, vormaliger Vorsitzender der Kreisgruppe Mannheim-Heidelberg, und Dr. Paul Hamsea.

Prof. Heinz Acker

Schlagwörter: Zeitzeugenberichte, Securitate, Vergangenheitsbewältigung, Schwarze-Kirche-Prozess

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