25. Dezember 2009

Ein Kinderbrief „An das Christkind im Feindesland!“

Aus einem alten „Vortragsbuch“ aus Bistritz, zusammengestellt und illustriert von Rudolf Rösler.
Es war der letzte Adventssamstag 2008. Mit der achtjährigen Enkeltochter Clara saßen Großmutter und Großvater gemütlich am vorweihnachtlich geschmückten Wohnzimmertisch, auf dem schon drei Kerzen vom Adventskranz ihr strahlendes Licht verbreiteten. Die drei sangen traditionelle Quempas-Weihnachtslieder aus einem vergilbten, schon zerschlissenen Büchlein aus der alten Heimat Siebenbürgen, welches vom Urgroßvater stammte, der einst Lehrer in der Stadt unter der Zinne war, als es an der Haustür schellte. Es war der Postbote, der von nah und fern Weihnachtsgrüße in das verschneite Försterhaus brachte.

Ein Briefchen fiel durch seinen prall gefüllten Umschlag auf. Er kam aus dem jenseits der Grenze gelegenen Österreich und trug als Absender den Namen einer Cousine des greisen Großvaters, die aus dem Nösnerland stammte. Außer den traditionellen Wünschen zum Weihnachts- und Neujahrsfest enthielt der Umschlag auch ein Gedicht des einst in Siebenbürgen lebenden Dichters und Schriftstellers Anton Maly (1884-1959), welches vor vielen, vielen Jahren, als der Großvater noch Erstklässler war, diesen beim Vortragen in der Vorweihnachtszeit immer sehr traurig gestimmt hatte; inzwischen war es dem Alten aus dem Gedächtnis entwichen.
Die zugesendeten Verse entstammten dem „Vortragsbuch aus Bistritz“, aus dem Gedächtnis niedergeschrieben von Cousine Kriemhild kurz nach der großen Flucht 1944 aus der einstigen Heimat Siebenbürgen. Für das Mädchen Clara war der Titel besonders geheimnisvoll, wusste sie doch nicht, was und wo ein „Feindesland“ ist oder zu suchen war. Und so musste Großvater das in den schweren Jahren des Ersten Weltkrieges in Verse gebrachte Gedicht „An das Christkind im Feindesland!“ vorlesen:

Kind: Mutter, kommt heuer das Christkind auch
wie damals im vorigen Jahr
und bringt es wieder so vieles mir,
als Väterchen noch bei uns war?

Mutter: Gewiss mein Kind, wenn du artig bist
und folgsam, vergisst es dich nicht,
dann bringt es dir gar Mancherlei
und ein Bäumchen mit strahlendem Licht!

K: Du bist aber traurig, Mütterlein
und ich will nicht, dass traurig du bist
und weinen hab ich dich auch schon geseh’n,
seit Väterchen fort von uns ist!
Sag, Mutter, wann kommt wieder Vater nach Haus,
kommt er zum Christkind nicht her?
Er ist ja schon so lange fort,
ich kenn ihn ja fast nimmermehr!

Die Mutter hält die Tränen zurück.

M: Er kann nicht, mein Kind, er ist weit, weit draußen im fernen Feindesland und hat jetzt für uns keine Zeit!

K: Mutter, wo ist dieses Feindesland?
Lass Vaters Adresse mich seh’n!

Die Mutter lächelt: Regiment Nr. 12, Feldpostnummer dreihundertundzehn.

Als später die Kleine im Zimmer allein,
hat still sie sich hingesetzt,
ein Stückchen Papier hervorgekramt
und den Bleistift am Zünglein benetzt.
Und sie sann ein Weilchen, sann und schrieb mit malender Kinderhand:

„Regiment Nr. 12, Feldpost dreihundertundzehn.
An das Christkind im Feindesland:
Liebes Christkind, ich heiße Magda Hold
und komm mit dem Wunsch zu dir,
bring dieses Jahr mir nichts, gar nichts,
nur den Vater zu Mutter und mir!“

Bedächtig faltet zusammen das Blatt
behutsam sie, recht klein,
huscht dann vor’s Haus zum Briefkästchen hin
und wirft es sorgsam hinein.

Und das Blättchen mit malender Kinderschrift
fand liebreiches Verstehn
und kam zum Regiment Nr. 12,
Feldpost dreihundertundzehn.
Und man suchte und frug nach einem Mann,
der so hieß, wie sich genannt
das kleine Ding, das so innig schrieb
an das Christkind, im Feindesland.

Und das Blättchen von malender Kinderhand
irrte von Kompanie zu Kompanie,
bis man fand, dem es wohl zugedacht,
doch der zählte schon nicht mehr zum Stand.
Drei Tage schon lag er unter dem Schnee
in der kalten Erde Schoß,
ein kleines Hüglein kahl und leer
und ein Kreuzlein, aus Rinde bloß.

Ein Krieger nahm das Blättchen zu sich
mit kameradschaftlichem Sinn,
schritt zu dem kleinen Hügel damit
und legte auf diesen es hin.
Und Regen und Schnee verwuschen das Blatt
und die Zeilen von Kinderhand:
„Regiment Nr. 12, Feldpostnummer dreihundertundzehn.
An das Christkind, im Feindesland!“

Nur mit Mühe konnte Großvater die letzten Verse über die Lippen bringen. Tief erschüttert saßen Enkelkind und Großeltern mit tränenden Augen vor dem mit drei Kerzen erleuchteten Adventskranz. Schluchzend fragte Clara: „Ist das auch alles wahr?“

„Es war einmal“, sprach besänftigend der Großvater, „wie es eben immer in den Märchen und Erzählungen seit altersher heißt, doch hoffentlich wird es nie wieder so sein! Darum müssen alle Kinder unserer Mutter Erde, alle Eltern und Großeltern gemeinsam für einen immer währenden Frieden beten, bitten und ringen.“

Da unsere Zeitung von München bis Hermannstadt, von Österreich bis Kanada und Amerika, von Brasilien bis Neuseeland von unseren in der ganzen, großen Welt lebenden Landsleuten gelesen wird, sei die Friedensbotschaft, welche am Heiligen Abend überall erklingt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“ durch die Strophen unseres traurigen Weihnachtsgedichtes allen Menschen näher gebracht! Dabei gedenken wir auch unserer Großväter, Väter, Brüder und Söhne, die in den beiden großen Kriegen des verflossenen Jahrhunderts ihr Leben opfern mussten. In Ehrfurcht entblößen wir unser Haupt!

Doch wer war der Verfasser dieses ergreifenden Weihnachtsgedichtes, fragt sich berechtigt der Leser. Im „Lexikon der Siebenbürger Sachsen“ (Thaur bei Innsbruck, 1993) suchen wir vergebens seinen Namen. In den Werken der siebenbürgischen Literaturwissenschaftler finden wir diesbezüglich auch keine Erwähnung, obwohl er ein vielseitiger und seinerzeit erfolgreicher Schriftsteller und Dichter war. Ausführlich und hoch kompetent wird sein Leben und Werk von Hermann A. Hienz im „Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen“ (Köln, Weimar, Wien, 2004) dargestellt.

Anton Maly wurde am 10. Mai 1884 in Hadres in Niederösterreich geboren. Von 1905 bis 1908 bereiste er Brasilien, Uruguay, Paraguay, Chile, Bolivien, Peru und Argentinien. Hier beginnt seine schriftstellerische Tätigkeit als Verfasser von Berichten, Gedichten und Erzählungen. Nach kurzem Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg kam er 1915 als Kriegsinvalide nach Hermannstadt. Es folgte eine rege schriftstellerische Tätigkeit (er schrieb siebenbürgische Sagen, Theaterstücke, Gedichte und Feuilletons); von 1926 bis 1929 machte er sich als Theaterunternehmer verdient um Gründung und Erhalt des „Deutschen Theatervereins“. Maly veröffentlichte 49 Erzählungen und Romane, 46 Theaterstücke, fünf Gedichtbände u.a.m. Aus der Ehe mit Christine Theil aus Agnetheln ging die Schriftstellerin Irmgart Höchsmann-Maly hervor (siehe Siebenbürgische Zeitung vom 30. September 2003). Dank seiner zahlreichen spannenden Abenteuerromane („Die Mine in Arizona“ 1935, „Das goldene Lasso“ 1935, „Der Schatz des Navajos“ 1936, „Geister des Goldes“ 1937, „Cowboys und Banditen“ 1937, „Abenteuer in Arcansas“ 1937, u.a.m.) wurde er auch als „siebenbürgischer Karl May“ apostrophiert. Er starb am 19. Mai 1959 in Planegg bei München.

Leider ist Anton Maly den heutigen siebenbürgischen Lesern kaum bekannt, obwohl zwischen den beiden Weltkriegen die deutschen Zeitungen, Kalender und Jahrbücher Rumäniens seine zahlreichen literarischen Werke mit Erfolg veröffentlichten. Dieser welt- und wortgewandte, vielsprachige und vielseitig talentierte Mann passte wahrscheinlich nicht mehr in das Schema unserer Landsleute nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Generationen unserer Großeltern und Eltern hingegen waren begeisterte Verehrer seiner Werke.

Rudolf Rösler

Schlagwörter: Weihnachten

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