26. Oktober 2014

„Glauben und Gedenken ist ein Weg der Versöhnung“

Es waren bewegende Stunden bei der Gedenkveranstaltung am 27. und 28. September in Wels anlässlich des 70. Jahrestages von Flucht und Evakuierung aus Nordsiebenbürgen. Die Erinnerungen unserer Eltern und Großeltern an die Flucht aus ihren Dörfern in Siebenbürgen können wir Nachkommen nicht auslöschen, das Gefühl der Heimatlosigkeit kennen wir nicht, wir können nur erahnen, was es heißt, alles zurückzulassen, ins Ungewisse aufzubrechen und mit der Kraft des Glaubens dennoch zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Gedenktage sollen und können bei der Bewältigung eines solch traumatischen Schicksals helfen. Der oberösterreichische Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer, Ehrengast der Veranstaltung, würdigte die Aufbau- und Integrationsleistungen der Siebenbürger Sachsen, die „Oberösterreich aktiv mitgestaltet haben und mitgestalten. Sie sind seit 70 Jahren ein starker Teil dieses Landes.“ Den Festvortrag hielt Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich.
Wie in der Siebenbürgischen Zeitung berichtet, wurde am 27. September in Wels zudem die Partnerschaft der Städte Wels und Bistritz besiegelt. Die Stadt Wels als Zentrum des Ansiedlungsraumes der volksdeutschen Heimatvertriebenen in Oberösterreich war bereits seit den frühen Nachkriegsjahren den zugezogenen Neubürgern gegenüber positiv eingestellt und hat neben ihrer Wirtschaftskraft auch ihre Volkskultur in das Gemeindeleben integriert. Seit 1963 ist Wels „Patenstadt der Heimatvertriebenen“. Die Stadt Bistritz, ehemals Ansiedlungsschwerpunkt der Siebenbürger Sachsen in Nordsiebenbürgen, bekennt sich offiziell und aktiv zu den historischen Leistungen der 1944 geflüchteten Siebenbürger Sachsen und betrachtet deren Volkskultur als bewahrungswürdig. Somit besteht zwischen Bistritz als Bewahrerin der verlassenen und Wels als Bewahrerin der mitgebrachten Volkskultur der geflüchteten Nordsiebenbürger eine Gemeinsamkeit, die nun in dieser Städtepartnerschaft ihren Ausdruck gefunden hat, gleichsam als nachahmenswertes Modell für die Lösung der Flüchtlingsproblematik in Europa. Mit der Vertragsunterzeichnung durch die Bürgermeister von Bistritz, Teodor Crețu, und Wels, Dr. Peter Koits, am Samstagvormittag im Beisein vieler Ehrengäste in den Räumen des Minoritenklosters wurde die Partnerschaft besiegelt. Der feierliche Akt wurde durch die Siebenbürger Kindertanzgruppe Wels unter der Leitung von Dr. Christian Schuster und ein Ensemble der Landesmusikschule Wels aufgelockert.
Festgottesdienst in der Gnadenkirche Rosenau, von ...
Festgottesdienst in der Gnadenkirche Rosenau, von links: Kurator der Gemeinde Rosenau Franz-Peter Seiler, Bischof Dr. Michael Bünker, Bischof Reinhart Guib, Pfr. Roman Fraiss (Rosenau), Bundesobmann Volker Petri. Foto: Rolf Morenz
Die Eröffnung der Wanderausstellungen „Flucht ins Ungewisse“ und „Treck des Glaubens“ mit einführenden Worten von Horst Göbbel bzw. von Bischof Reinhart Guib am Samstagnachmittag im Galeriesaal der Stadthalle war gut besucht. Die Begleitausstellung „Stumme Zeugen“ von Bundesfrauenreferentin Ingrid Schuller zeigte Exponate von der Flucht. Unter die Ehrengäste der Vernissage reihte sich auch Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer ein. Es folgte die Buchvorstellung „Die evangelische Kirche in Österreich und ihre Siebenbürger Sachsen“ durch Bundesobmann HR Pfr. Mag. Volker Petri.

Bei der anschließenden Eröffnung des Gedenktages in dem mit mehr als 400 Personen vollbesetzten Stadtsaal begrüßte Landesobmann Kons. Manfred Schuller die zahlreich erschienenen Ehrengäste, wie den Bürgermeister der gastgebenden Stadt Wels Dr. Peter Koits, viele Vertreter der Geistlichkeit, allen voran den Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Reinhart Guib, Bischof Dr. Michael Bünker aus Wien, Oberkirchenrätin Dr. Hannelore Rainer, den Hauptanwalt der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, Friedrich Gunesch, die Delegation aus Bistritz unter Leitung von Bürgermeister Teodor Crețu sowie die Abordnung der HOG Bistritz mit Horst Göbbel, den Bundesobmann des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Volker Petri, und Ehrenbundesobmann Kons. Dr. Fritz Frank, seitens des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland die Stellvertretende Bundesvorsitzende Doris Hutter, die Obleute der siebenbürgischen Landesorganisationen aus Salzburg, Kärnten, Tirol, Wien, Niederösterreich und dem Burgenland, den Nationalratsabgeordneten und SPÖ-Vertriebenensprecher Franz Kirchgatterer, die Rumänische Botschaftsrätin Gabriela Folfa, die Leiterin des Evangelischen Bildungswerkes in Oberösterreich, Renate Bauinger, den Geschäftsführer der Oberösterreichischen Landlerhilfe, Helmut Atzlinger, Spitzenvertreter der Sudetendeutschen und Bukowinadeutschen.

Landeshauptmann Pühringer: „Sie haben viel für die europäische Verständigung getan“

Dr. Josef Pühringer würdigte in seinem Grußwort die herausragenden Leistungen der Heimatvertriebenen, respektive der Siebenbürger Sachsen, zum Wohl des Landes Oberösterreich: „Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler haben in Oberösterreich einen hohen Stellenwert.
Ehrengast in Wels: Der Landeshauptmann von ...
Ehrengast in Wels: Der Landeshauptmann von Oberösterreich, Dr. Josef Pühringer, spricht ein Grußwort. Foto: Rolf Morenz
Das hängt fest mit der Erkenntnis zusammen, dass sich die Heimatvertriebenen entscheidend in den Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg eingebracht haben. Sie haben zum Wirtschaftswachstum mit ihrer Tatkraft, ihrem Wissen und Können beigetragen und Oberösterreich mit nach vorne gebracht. Sie haben nicht nur als Arbeitnehmer fehlende Arbeitskräfte ersetzt, sondern auch als Unternehmer neue Geschäftszweige aufgebaut, einheimische Produktpaletten erweitert und dazu beigetragen, Wirtschaftsstrukturen zu modernisieren. Gleichzeitig haben sie damit ihren festen Willen zur Integration bewiesen“. Der Landeshauptmann führte weiter aus: „Eines haben sie aber in die neue Heimat mitgenommen. Ihre Besonderheit, ihre Identität. Die Siebenbürger Sachsen wissen: Nur wer seine Wurzeln kennt, kann die Zukunft aktiv gestalten.“ Mit großem Nachdruck betonte Pühringer: „Ich danke allen Mitgliedern der Siebenbürger Landsmannschaft, dass Sie Oberösterreich aktiv mitgestaltet haben und mitgestalten. Sie sind seit 70 Jahren ein starker Teil dieses Landes. Ich danke aber auch für das Bauen von Brücken in Ihre alte Heimat in Osteuropa. Sie haben damit viel für die europäische Verständigung und unser europäisches Miteinander getan“.

„Aber sie hatten ihre Gemeinschaft, Sprache, Erinnerungen und Religion“


Mit einem Zitat des Tschippendorfer Bürgermeisters leitete Bischof Dr. Michael Bünker seinen Festvortrag ein: „Am 15. September zogen wir wie üblich vom Felde nachhause ins Dorf und ahnten nicht, was uns die kommenden Tage bringen würden. In den Gassen des Dorfes herrschte große Aufregung. Ein Oberscharführer, der mit dem Ortsleiter aus der Stadt eingetroffen war, teilte mir mit, dass alle Volksdeutschen auf höheren Befehl, wegen Herannahens der Kampffront, ungefähr 100 Kilometer in westliche Richtung evakuiert werden. Der Treck Nummer 281 mit 133 Wagen, 89 Männern, 151 Frauen und 69 Kindern, zusammen 309 Personen, setzte sich in Bewegung. Die Felder waren menschenleer, die Glocken vom Turme klangen noch. Mir war so unheimlich zu Mute. Ich stieg ab und weinte, wie ich in meinem Leben noch nie geweint hatte. Ich betete ein Vaterunser und mit einem Gott-begleite-uns ging es weiter.“ Der Festredner stellte die Frage in den Raum: „Was konnten diese Ausgesiedelten, diese ‚Verjagten‘ mitnehmen?“ Die Antwort: „Weder Grund und Boden, und nicht Haus und Hof, keine Möbel, nicht das Wetter und die Landschaft. Aber sie hatten ihre Gemeinschaft, also Menschen, sie hatten ihre Sprache, das Deutsche und Sächsische, sie hatten ihre Erinnerungen, die Lieder und Geschichten und sie hatten ihre Religion.
Festredner Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker, Bischof ...
Festredner Hon.-Prof. Dr. Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich. Foto: Rolf Morenz
Kirchentrachten, Abendmahlsgeräte, Kirchenbücher und Bibeln kamen mit auf dem Weg in die ungewisse Zukunft, in die Fremde. Religion ist einmal die ‚tragbare Heimat‘ genannt worden, weil sie für alle, die ihre Heimat verlassen, etwas enorm Wichtiges ist oder spätestens nach dem Aufbrechen wird. Alle Migranten schreiben der Religion eine hohe Bedeutung zu und das Wort Solidarität bekam durch die hingebungsvolle Arbeit der mehr als hundert Flüchtlingspfarrer in diesen Zeiten einen besonderen Stellenwert. So reihen sich auch die Nordsiebenbürger ein in die ungeheure Zahl der mehr als 10 Millionen Deutschen, die verjagt wurden und diese bilden wiederum einen Teil, allerdings einen großen Teil der insgesamt rund 80 Millionen Menschen, die in Europa im 20. Jahrhundert verjagt worden sind.“ Nach der Kapitulation Deutschlands seien noch einmal 25 Millionen Menschen in Bewegung gesetzt worden, so Bünker: „Ganz Europa ein einziger Verschiebebahnhof für Menschen.“ Allein in Oberösterreich hätten rund 90 000 Menschen in beinahe 600 Lagern gelebt. Nicht selten seien die nach 1945 geleerten Kriegsgefangenenlager nahtlos zu Flüchtlingslagern umfunktioniert worden. Der Festredner unterstrich: „Mit dieser Geschichte tragen wir eine ungeheure Last in Europa: Die ethnischen Säuberungen im ehemaligen Jugoslawien vor gerade einmal zwanzig Jahren, die aktuellen Konflikte in der Ukraine, die Angst Europas vor den Flüchtenden aus Syrien und dem Irak und die zunehmende Abschottung der Festung Europa zeigen deutlich, dass wir nicht nur von einer leidvollen Vergangenheit sprechen, sondern auch von ganz aktuellen Herausforderungen heute.“ Der „Weg des Glaubens und des Gedenkens“ sei „ein Weg der Versöhnung“, freilich bedeute Versöhnung nicht, über alles einen Mantel des Vergessens zu werfen: „Versöhnung braucht Wahrheit und Gerechtigkeit. Aber ohne Versöhnung tragen wir die Wunden der Vergangenheit stets mit uns. Unversöhntheit verschließt die Zukunft.“ Mit diesen Gedanken beschloss Bischof Dr. Michael Bünker seinen beeindruckenden Festvortrag. Nach weiteren Grußworten von Bischof Reinhart Guib und der Bürgermeister von Bistritz, Teodor Crețu, und Wels, Dr. Peter Koits, wurde der Videofilm „Rückblick und Bestandsaufnahme 1944-2014“ gezeigt, der den Neuanfang und die Heimatfindung der Siebenbürger Sachsen schildert. Das Konzept von Bundesehrenobmann Fritz Frank, die Texte von Volker Petri und die von Mag. Rolf Morenz ausgewählten Bilder ermöglichten einen aufschlussreichen audiovisuellen Rückblick. Mit diesem Film endete auch die Gedenkveranstaltung.
Andrea und Patrick Pötscher mit ihren ...
Andrea und Patrick Pötscher mit ihren Schützlingen, Mitgliedern der Tanzgruppe Wels, die in der Stadthalle Wels auftrat. Foto: Rolf Morenz
Landesobmann Kons. Manfred Schuller, der durch das Programm führte, dankte allen Vortragenden sowie allen aktiven Teilnehmern. Dazu gehörten neben der Siebenbürgischen Kindertanzgruppe Wels unter der Leitung von Dr. Christian Schuster auch die Tanzgruppen aus Wien, Wels, Vöcklabruck, die Tanzgruppe der Jugend Traun sowie die Alte Jugend Traun mit ihren Obleuten. Für die musikalische Untermalung sorgten die Vöcklabrucker Spielleut mit dem Leiter Wolfgang Jochum. Sein Dank ging auch an die Verantwortlichen der Stadt Wels für die Unterstützung und die fruchtbare gemeinsame Arbeit. Bundesobmann Volker Petri dankte schließlich all jenen, die zum Gelingen der Veranstaltung im Vorfeld mitgewirkt haben. Das überreiche Kuchenbuffet wurde von der Welser Obfrau Irmi Schuster mit ihren Damen betreut. Dank gebührt überdies den fleißigen Bäckern, Helfern und Dekorateuren der Stadthalle. Die musikalische Abendunterhaltung übernahm in Folge die Siebenbürger Musikkapelle Munderfing.

Einen besonderen Festgottesdienst durfte man am Sonntag in der Gnadenkirche Seewalchen-Rosenau erleben. Bischof Dr. Michael Bünker sprach Worte zum Evangelium. Bischof Guib hielt die Festpredigt und ging darin auch auf die Ausstellung „Treck des Glaubens“ ein. Die Pilgerreise der Ausstellung sucht inhaltlich Antworten auf die Frage, welche Werte die Siebenbürger Sachsen auf die Flucht, aber auch auf jeden Lebensweg und in jedes neue Umfeld mitgenommen haben. Sie ist um die folgenden acht Begriffe aufgebaut, die diese Werte darstellen: Glauben, Frömmigkeit, Gemeinschaft, Kirche, Diakonie, Geschichte, Bildung und Traditionen. Pfarrer Mag. Roman Fraiss gestaltete die liturgischen Elemente. Die Fürbitten sprachen drei einstige Fluchtteilnehmer. Die musikalische Gestaltung übernahm der Kirchenchor. Die schönen Trachten im vollbesetzten Kirchenraum zeugten vom Traditionsbewusstsein unserer Landsleute. Beim anschließenden Kirchenkaffee durfte Kurator Franz Peter Seiler zahlreiche Gäste begrüßen, die mit Kuchen und Kaffee als auch siebenbürgischer Krensuppe verpflegt wurden. Herzlichen Dank an Nachbarmutter Sonja Lehner mit ihren Helferinnen.

Ingrid Schuller

Schlagwörter: Gedenken, Flucht und Vertreibung, Evakuierung, Nordsiebenbürgen, Österreich, Wels

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