10. Oktober 2008

Festrede Volker Petri: „Angekommen – Angenommen“

Bundesobmann Magister Pfarrer Volker Petri hat in einer bewegenden Festrede am 28. Sep­tember den mühsamen Weg nachgezeichnet, den die Siebenbürger Sachsen von ihrer Flucht aus Nordsiebenbürgen im September 1944 bis zu ihrer Beheimatung in Österreich zurückgelegt haben. Die Zukunft gehöre den „österreichischen Siebenbürger Sachsen“, der jungen Ge­ne­ration, die – frei von der typischen Schwermut ihrer Eltern und Großeltern – aufgerufen ist, die wertvolle Gemeinschaft und Kultur fortzuführen. Die Festansprache wird im Folgenden gekürzt wiedergegegeben.
In knappen Worten und mit starken Verben steht das heurige Motto des 12. Heimattages vor uns: „Angekommen – Angenommen“. Genauso knapp und beeindruckend ist das Logo. Der ös­ter­reichische Lebens- und Kulturraum, als rot-weiß-roter Kreis, umschließt das blau-rote Wap­pen der Siebenbürger Sachsen und 1944 weist auf den Anfang hin. 220 Jahre lang, von 1690 bis 1919, gehörten wir zum südöstlichen Lan­desteil des österreichischen Lebens- und Ge­schichtsraumes, war Siebenbürgen Teil der Habs­burger Monarchie.

Heute, als österreichische Siebenbürger Sach­sen, sind wir integrierter, hier angekommener Teil des Landes, bewusste Bürger Österreichs. Hinter uns liegt der Weg unseres Heimischwer­dens. An diesem Heimattag jähren sich zum vierundsechzigsten Mal die Flucht aus der alten Heimat und unsere Ankunft in Österreich, der da­maligen „Ostmark“.

Wir sind „angekommen“, haben unser Ziel erreicht und sind uns dessen bewusst. Damals, September 1944, wussten wir nicht, wohin der Weg uns führen würde. Heute liegt dieser Teil unserer Geschichte hinter uns und ist nur noch bei wenigen lebendig. Ein letztes Mal haben die alten, treuen Verantwortlichen beim Ausrichten dieses Festes mitgeholfen und wir schulden ih­nen viel Dank. Die DVD und die folgenden Ausführungen wollen die Geschichte und Jahrzehnte bis heute nachzeichnen und vermitteln.
Bundesobmann Mag. Pfarrer Volker Petri während ...
Bundesobmann Mag. Pfarrer Volker Petri während seines Festvortrages in der Stadthalle Wels.
Am Anfang unserer Geschichte stehen die Wegerinnerungen, bewegte und bewegende Bil­der. Das starke Bild des Abschieds von der vertrauten, 800-jährigen Heimat taucht aus den Nebelschleiern des Vergessens auf und zaubert unsere einstigen Dörfer und Städte, Kirchen und Schulen, Elternhäuser, Friedhöfe, Werk­stätten, Felder und Wälder vor unser inneres Auge. Mit dem Nötigsten brachen sie auf und dazu gehörten unsere Festtrachten, die Haus­bibeln, die Kirchen- und Gesangbücher. Ver­zweifelt wurde Essen und warme Kleidung auf die mit schützenden Kobern bedeckten Treck­wagen und bereitgestellten Eisenbahnwaggons verstaut. Im Herzen nahmen sie ihr Sosein und Selbstverständnis mit. Diese Bilder des Ab­schieds sind von Tränen erfüllt, dem vertrauten Glockengeläut begleitet und wurden mit einem letzten Gottesdienste beschlossen.

Lebendige Fäden zerrissen, als das Vertraute zurückgelassen und mit einem letzten Blick verabschiedet wurde. Der Abschied glich einem inneren Sterben und war von Dunkelheit, Ohn­macht und Trauer getragen, wie das die an die­ser Stelle der Berichte zitternde Stimme und die Tränen zeigten. Bedrohliche Fremde schüchterte die Verun­si­cherten unterwegs ein. Die großen Ver­spre­chungen vom Sieg und Wohlstand wurden von unzähligen Todesnachrichten Lügen gestraft. Sie wussten, dass die kurze Zeit der Begeis­terung schon längst vom Leid und den Zer­störungen eingeholt war. Hoffnung und Gott­vertrauen geleitete sie. Die Hilfsbereitschaft und ihr Zusam­menhalt glichen schützenden Flügeln. Mühsam zog sich der Weg über Nebenstraßen, durch kalt-verregnete Tage und Nächte. Die Angriffe feindlicher Flugzeuge verlangten ihre Opfer, die zum Teil am Straßenrand in Eile bestattet und verabschiedet werden mussten. Vom nahenden Donnergrollen der Roten Armee wurden sie vor­angetrieben und mühsame Nachtfahrten hüllen sie in die schützende Dunkelheit.

Nach sechs Wochen mühsamer und beschwer­licher Flucht näherte sich die ersehnte Grenze. Im vom Krieg gezeichneten Land bewahrte militärische Ordnung vor Chaos und Agonie. Die Zuteilung in provisorische Unterkünfte, zum Teil auf Bauernhöfe, gewährte ihnen eine kurze Ruhepause. Die siegreich herannahenden sowje­tischen Truppen zwangen sie weiter, ins oberösterreichische und Salzburger Land zu fliehen, wo die westlichen Truppen näher rückten. In Hallen, Schulen und 75 Erd­hütten finden sie Zuflucht vor dem kalten Win­ter 44/45.

Endlich läuteten die noch vorhandenen Glo­cken am 15. Mai 1945 den ersehnten Frieden ein. Unruhe und Aufbruchstimmung erfasste un­sere geflüchteten Siebenbürger, denn sie wollten heim und bereiteten hoffnungsvoll ihre Rück­kehr. Doch sie verloren ihre Staatsbürgerschaft, das Recht auf Heimat und Rückkehr und wurden von der neuen rumänischen Regierung restlos enteignet. Es war das Los vieler Millionen Hei­matloser und Flüchtlinge. Als Asylanten waren sie auf Gnade angewiesen und das amerikanische Wohlwollen schützte die Hei­matlosen.

Österreichische Regierung empfindet Flüchtlinge als Belastung

Der Schmerz der Fremde und des Flücht­lings­daseins weckten Wehmut, und die Sehnsucht verklärte das Bild der nun verlorenen Heimat. Die neue österreichische Regierung im besetzten Land sah in den hier gestrandeten volksdeutschen Vertriebenen und Flüchtlingen nur die große finanzielle und wirtschaftliche Zusatz­belastung, von welcher sie sich befreien wollten. In ihrer Not wollten unsere Siebenbürger Sachsen in Österreich bleiben und warteten auf die Rückkehr der Männer aus der Kriegsgefan­genschaft. Die Nachricht, dass ihre Landsleute in Rumänien zur Zwangsarbeit in die Sowjet­union deportiert wurden, ließ sie sich noch verzweifelter an Österreich klammern. Unzählige Vorsprachen, Ansuchen und Petitionen in den Ministerien in Wien blieben erfolglos. Dann fiel auch noch der „Eiserne Vorhang“ und damit die Hoffnung auf Rückkehr. Ihr Bleiberecht versuchten sie aus der gemeinsamen Geschichte und Kultur zu begründen, waren sie im übertragenen Sinn doch „Altösterreicher“. Willig übernahmen sie jede Arbeit beim Wieder­aufbau. Gegen ihre pauschale Verurteilung als „Hitlers Dritte Kolonne“ formulierten sie Memo­randen, welche auch ihre Verstrickung in Schuld während des Nationalsozialismus nicht ver­schwiegen und auf ihre aussichtlose Situa­tion aufmerksam machten.

In leeren Baracken einquartiert

Im Mai 1945 werden die Flüchtlinge in die leeren Barackenlager aus der Nazizeit einquartiert, wo in den folgenden drei Jahren, die aus der Kriegsgefangenschaft entlassenen Männer eintreffen. Die über lange Zeit getrennten Fa­milien fanden glücklich wieder zusammen. Aber viele Witwen und Halbweisen mussten ihr Los annehmen.

In das neue Leben finden auch Traditionen und Glaube Eingang

Für die jungen Siebenbürger begann ein neues Leben, das über den Tod gesiegt hatte. Schnell verheilten auch die vom Krieg geschlagenen Wunden. Sie waren sich der Gnade Gottes bewusst, waren dankbar für die Rettung und Vergebung. Die Alten, Heimatverbundenen taten sich schwer. Die Gottesdienste in den überfüllten Kirchenbaracken, Wirtshäusern und Schulen schenkten ihnen Trost und Zu­versicht. Siebenbürgische Traditionen werden aufgenommen und siebenbürgische Lebens­wei­se gelebt. Nachbarschaftliche Hilfe und christlicher Glaube, die zwei Wurzeln unseres Gemein­schaftssinnes, schweißten sie zusammen und die gemeinsame Not und Armut verwischte die stupiden Standesdünkel. Schrittweise wurde ihnen die Fremde vertraut und die schöne Voralpen­landschaft prägte sich ihnen ein. Unser Brauchtum half ihnen beim Heimischwerden und fand Beachtung unter den Bodenständigen, wenn sie aus allen Ecken des Landes zusammentrafen.

Enttäuschte gehen nach Deutschland oder Amerika

Ab 1947/48 begann mit Hilfe des Inter­na­tionalen Roten Kreuzes und kirchlicher Or­ga­nisationen die Suche nach einer gemeinsamen Zukunft und neuen Heimat für die etwa 30 000 heimatlosen Siebenbürger Sachsen. Die Eiligen und von Österreichs Haltung Ent­täusch­ten, meist jungen Siebenbürger suchten über das Internationale Rote Kreuz um Emigration nach Kanada und den USA an. Tausende verließen Österreich und fanden ihr Glück in Ame­rika.

Generaldechant Molitoris und seine Helfer fanden in den fünfziger Jahren in Deutschland eine Lösung, da man verlässliche Arbeiter für die Kohlengruben suchte. Die Familien bleiben abwartend in Österreich und die Männer fahren tausende Meter in die Tiefe, um aus den Flözen die wichtige Kohle, die Energie für den Wieder­aufbau, zu fördern. Die Grubenarbeit im dunklen, heißen Schoß der Erde setzt unseren mit der weiten Schöpfung Gottes vertrauten Lands­leuten zu. Der gute Verdienst und die rechtliche Gleichstellung veranlasst einige sich in der Ge­gend um Aachen anzusiedeln.

Die Mehrzahl bleibt in Österreich

Die Mehrzahl bleibt in Österreich und stellt fest, dass die Jahre ihnen Land und Leute näher brachten, man heimisch wurde. Die Mitarbeit beim Wiederaufbau und der Einsatz, Verläss­lichkeit und Fleiß schaffen ihnen Anerkennung und Wertschätzung. Unsere oberösterreichische Regierung wusste schon lange, dass die Hei­matvertriebenen einen wichtigen wirtschaftlichen und sozialen Beitrag beim Neuaufbau leisten und trat für sie ein.

1954, Österreich ist wieder frei und gewährt nach zehn Jahren des Wartens den Heimatver­triebenen die ersehnte rechtliche Gleichstellung. Dankbar halten sie die Staatsbürgerschaftsur­kunde in ihren Händen und sind endlich Öster­reicher! Nun stehen auch den Flüchtlingskin­dern Schulen, Berufe und die Universitäten offen und viele nehmen diese neuen Chancen wahr um nicht das schwere „Hilfsarbeiter-Los“ ihrer Eltern zu teilen.

Pioniergeist und Aufbauwille

Zwischen 1954-1980 beginnt die Ansiedlung in großem Stil. Eiserne Sparsamkeit, Fleiß, Aus­dauer, Pioniergeist und Einsatz lösen einen regelrechten siebenbürgischen Bauboom in Ober­österreich und Salzburg aus. Die neuen Häuser vertiefen das Gefühl, zu Hause zu sein und vermitteln den „Zugereisten“, den einst Unbehaus­ten, neues Selbstwertgefühl und Achtung. Zunächst, ohne jegliche staatliche Hilfe wird gebaut, später steht ihnen der Verein der „Neu­siedler“ helfend zur Seite. Mit den Häusern bauen sie auch die evangelischen Gotteshäuser, um geistliche Heimat zu finden. Die ungeheure Schaffenskraft bringt ihnen die Anerkennung der österreichischen Bevölkerung, deren Dia­lekt schön langsam vertraut wird und den siebenbürgischen bei den Kindern und der Jugend verdrängt. Die Gewissheit, hier Zuhause zu sein, wächst mit den Besuchen in der alten Heimat. Sie fahren zunächst von Österreich nach Hause, nach Siebenbürgen, und kommen immer bewusster wieder nach Hause, nach Österreich, zurück. Die Alten leben in zwei Heimaten, sind der alten seelisch eng verbunden und für die neue unendlich dankbar.
Wer angekommen und angenommen ist, darf nicht bei dem Gestern verharren, da er sonst auch erstarrt. Unsere Augen sind auf die hier Geborenen gerichtet, auf unsere Kinder und Enkelkinder. Sie haben eine neue, andere und in vielem unbelastete Perspektive. Die Erfahrung, dass man Gefühle zur alten Heimat nicht vererben und das selbst Erlebte nicht auf die folgende Generationen übertragen kann, macht einerseits traurig, anderseits ist sie auch eine Chance, unsere Situation neu zu überdenken. Denn wir wollen nicht eine „heilige Asche der Geschichte“, sondern das „lebendige Feuer des Lebens“ weiterreichen.

Die Jungen sind bewusst Europäer mit österreichischer Identität

Die Jungen sind geschätzte Fachkräfte und in allen Bereichen des Lebens tätig. Sie sind hier ganz zu Hause und Siebenbürgen ist die Heimat ihrer Ahnen. Sie sind bewusst Europäer mit österreichischer Identität und einige wissen noch um ihren siebenbürgischem Hintergrund, doch viele, auch das nicht mehr. Die Zahl jener Nachkommen, die keine siebenbürgischen Bezüge ha­ben, übertrifft bei weitem jene, die mit unserem Brauchtum und unseren Traditionen vertraut sind. Unsere Tanzgruppen kommen zum Großteil aus den neuen Generationen und zeigen uns, wie Traditionen erfolgreich weiter getragen werden können und wie der Begriff Heimat im vereinten Europa eine neue Dimen­sion bekommt.

Wohlstand führt zu Egoismus und Indivi­dualismus und gefährdet jede Form der Gemeinschaft. Die einst starken Nachbarschaften schrumpfen und viele sind von Bedeutungs­losigkeit bedroht. Zu lange haben wir anscheinend das „uns Vertraute, Wichtige“, die Erin­- nerung, unsere Geschichte in den Mittelpunkt unserer Gemeinschaften gestellt und damit neue Impulse, Ideen vielleicht verhindert. Angekommensein darf nicht im selbstzufriedenen Stillstand landen und alles beim Alten lassen. Wir halten Ausblick in die Zukunft, die anders ist als die Gegenwart.

Entscheidungen für die Zukunft müssen jetzt fallen

Wir sind heute an einem wichtigen Punkt angekommen, wo Entscheidungen für die Zukunft für unsere Gemeinschaft fallen müssen, bei denen wir beratend helfen wollen. Wir wissen uns angenommen, haben unseren festen Platz in Gesellschaft, Kultur und Politik. Auf unsere Initiative hin hat das Land Oberösterreich einstimmig die Patenschaft für die Heimatver­triebenen übernommen. Unsere Verbände werden geachtet, geschätzt und gefördert und Dank gebührt all jenen, die in großer Treue unserem Namen durch ihre Arbeit und Einsatz Glanz und Anerkennung verschafften. In einigen Verbän­den und Nachbarschaften haben tatkräftige, junge Amtswalter die Stafette übernommen und damit den Neustart ermöglicht.

Die Zukunft gehört den „Österreichischen Sie­benbürger Sachsen“, unseren Kindern, Enkel­kindern und Freunden. Sie sollen ihren Platz in unseren Verbänden finden und die Stafette übernehmen. Aus einer anderen Identität, einer anderen Sicht und einem anderen Selbst­verständnis heraus können sie neue Impulse setzen und Feste mit neuen Inhalten und The­men gestalten.

Die junge Generation ist gefordert, unsere Identität in neue Formen zu gießen

Euch, liebe jungen Freunde und eurem Gestaltungswillen wollen wir in Zukunft mehr Raum und Gestaltungsmöglichkeiten geben, euch besser bei solchen Vorhaben mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ihr sollt und dürft Ver­antwortung übernehmen. Ihr seid nicht mehr „Angekommene und Angenommene“, ihr seid die Erben und damit unsere Zukunft. Wir bitten euch, das Gute, Besondere, Lebensfähige und Bewährte unserer siebenbürgischen Identität in neue Formen zu gießen, mit neuen Initiativen und Inhalten zu füllen.

Eure Verantwortung, Energien, Phantasien und Einsatz sind gefragt. Das „Alte“ muss vergehen, das Neue beginnen. Der Dienst für unsere Gemeinschaft bringt Freude und Erfüllung. Unser Gemeinschaftssinn und christlicher Glau­be sind tragfähig. Es macht Sinn, unsere Kultur weiter zu tragen. Unsere siebenbürgisch-sächsischen Trachten sind ein wertvolles Kleinod in der österreichischen Kulturlandschaft, sind eine große Bereicherung!

Eines weiß ich genau, das nächste große Treffen in Wels wird anders heißen und sein und dazu wünsche ich uns allen Erfolg.

Volker Petri

Schlagwörter: Heimattag, Verbandspolitik, Eingliederung

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