19. September 2010

Experten-Tagung in Hermannstadt zur Europäischen Grünland-Wirtschaft

Hermannstadt – Die über Jahrhunderte geschaffene Kulturlandschaft aus Weideland und Heuwiesen im Süden Siebenbürgens droht zu verschwinden und mit ihnen eine artenreiche Tier- und Pflanzenwelt. Diese Gefahr sehen die Vertreter der Stiftung Adept sowie Wissenschaftler, die sich in der Region engagieren und forschen. Wie die traditionelle Grünland-Wirtschaft erhalten werden kann, diskutierten sie mit Experten aus ganz Europa auf der Konferenz „High Nature Value Grassland: securing the ecosystem services of European farming post 2013“, die vom 7. bis 9. September in Hermannstadt stattfand.
Rumänien sei der passende Ort für diese Konferenz, erklärten mehrere Referenten unisono. Nicht zuletzt Prinz Charles begrüßte die Entscheidung der Organisatoren des „Europäischen Forums für Naturschutz und Weidewirtschaft“ (European Forum on Nature Conservation and Pastoralism/EFNCP), die Tagung in Siebenbürgen zu veranstalten. Der britische Thronfolger sagte in einer Videobotschaft, dass Rumänien einzigartige Landschaften besitze. Landschaften, die sich in ähnlicher Form in allen Ländern Europas fänden und die vielerorts in ihrem Fortbestand gefährdet seien. Deshalb seien effektive Strategien zu ihrem Erhalt notwendig, forderte Prinz Charles.

Solche Strategien müssen – bei allen Gemeinsamkeiten extensiv genutzter Gründland-Flächen – vor Ort entwickelt werden. Um zukunftsfähige Lösungen für die Bewirtschaftung zu finden, sei als Erstes der Blick zurück gefordert, meinte Prof. Erika Schneider-Binder. Die Biologin pendelt für ihre Forschungen zwischen dem WWF-Auen-Institut in Karlsruhe und der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt. Sie lenkte den Blick der anwesenden Landwirte, Wissenschaftler und Politiker auf die siebenbürgisch-sächsische Landwirtschaftstradition. Zwei Beispiele griff sie heraus, um ihre Ideen zu veranschaulichen: die Tradition der Rinderhaltung und die terminlich genau geregelte Heumahd. Die traditionell verbreitete Rinderhaltung gehe in Südsiebenbürgen zurück, dafür grasten mehr Schafherden als früher an den Talhängen des siebenbürgischen Hochlandes, so Schneider-Binder, mit der Folge, dass sich die Tier- und Pflanzenbestände der Weiden veränderten. Indirekt hänge mit diesem Rückgang auch die abnehmende Heuwirtschaft zusammen. Die Wissenschaftlerin wies in diesem Zusammenhang auf die traditionellen Termine der Mahd und der Weidenutzung hin. Von der Stiftung Adept im Kokeltal erhobene Zahlen bestätigen Schneider-Binders Beobachtungen: In den vergangenen zwei Jahren ist der Rinderbestand um ein Viertel geschrumpft. Frühere Heuwiesen würden zunehmend aufgegeben, weil ihre Bewirtschaftung zu aufwändig sei oder als Folge der abgewanderten Bevölkerung.
Prof. Erika Schneider-Binder (am Pult) erinnerte ...
Prof. Erika Schneider-Binder (am Pult) erinnerte in ihrem Vortrag an einige sächsische Wirtschaftsweisen. Foto: Holger Wermke
Dieser Entwicklung stellt sich die in Keisd bei Schäßburg ansässige Stiftung entgegen. Am Beispiel des Natura 2000-Schutzgebietes „Große Kokel“ (Târnava Mare) erläuterte Adept-Mitarbeiter Cristi Gherghiceanu Möglichkeiten, wie die Kleinbauern unter veränderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen traditionelle Wirtschaftsweisen bewahren können und gleichzeitig die vorhandene Artenvielfalt erhalten werden kann.
Bald Vergangenheit: Die Rinderwirtschaft in ...
Bald Vergangenheit: Die Rinderwirtschaft in Südsiebenbürgen ist auf dem Rückzug.
Rund 5 000 Familien bewirtschaften das rund 85 000 Hektar große Schutzgebiet. Seit dem EU-Beitritt müssen auch Kleinproduzenten strenge Hygienevorschriften einhalten. Auf dem Markt haben sie gegen die industrialisierte Agrarkonkurrenz aus dem Ausland wenig Chancen. Adept versucht, mit den Bauern Marktnischen zu finden, ihnen grundlegendes Wissen über Hygiene und Marketing zu vermitteln sowie die im internationalen Vergleich einfachen Produktionsmethoden schrittweise zu verbessern. Die geringe Größe der rumänischen Familienbetriebe wirft ein weiteres Problem auf: diese sind zu klein, um von der Europäischen Union gefördert zu werden. Auch das war eine Frage, die auf der Konferenz diskutiert wurde. Schließlich sollten am Ende gemeinsame Vorschläge formuliert werden, die die europäischen Gründland-Bewirtschafter der EU-Kommission überreichen wollen. Ihr Ziel ist, dass traditionelle Landwirtschaft, Kulturlandschaftspflege und Naturschutz Hand in Hand gehen und in der künftigen EU-Landwirtschaftspolitik ab 2013 berücksichtigt werden.

Holger Wermke

Schlagwörter: Tagung, Landwirtschaft, Umweltschutz

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