26. Dezember 2014

Brief König Karls I. von Rumänien an Staatspräsident Klaus Johannis

König Karl I. (Carol I.) von Rumänien (siehe Wikpedia) lässt in einem fiktiven, satirischen Brief an den am 21. Dezember 2014 vereidigten Präsidenten Rumäniens Klaus Johannis Sorgen und Hoffnungen für dieses Land und seine Menschen deutlich werden. Die Botschaft eines Deutschen an einen anderen Deutschen, der nun die Geschicke Rumäniens lenken wird, erscheint mit ihrer klaren Linie trotz humorvoller Einlagen in ihrem Duktus seriös, die historische Analyse ist eindeutig nachvollziehbar und entpuppt sich auch als wohlgeformte Hommage an die Siebenbürger Sachsen. Der Text stammt von Dr. med. Helmut Göllner, geboren 1954 in Klausenburg, heute wohnhaft in Fürth (siehe biographische Daten am Ende dieses Artikels).
Sehr geehrter Herr Präsident,

ich empfinde ein großes inneres Bedürfnis, Ihnen unbedingt zu schreiben. Es gab bislang keinen wirklichen Anlass, mich nach meinem irdischen Ableben vor nunmehr hundert Jahren aus den Weiten der himmlischen Unendlichkeit über das Schicksal meines geliebten Volkes zu äußern.

Als Staatsmann lernt man sehr schnell die Vorzüge des Schweigens über historische Entwicklungen zu schätzen, die man selber nur mit mehr oder weniger Missbilligung wahrnehmen kann.

Ich breche mein Schweigen, weil es das zweite Mal in der Geschichte des rumänischen Volkes vorkommt, dass ein Deutscher die Chance erhält, die Geschicke dieses Volkes entscheidend zu beeinflussen. Ich gratuliere Ihnen recht herzlich zu Ihrer Wahl zum rumänischen Präsidenten und wünsche Ihnen die nötige Kraft, um erfolgreich bestehen zu können!

Ich weiß, wovon ich spreche, auch wenn sich die Zeiten ungewöhnlich schnell verändert haben. Aber ich hatte die zugegeben etwas unverdiente, somit allein Gottes Gnaden zu verdankende Gelegenheit, die Entwicklung meines Volkes seit meinem Ableben intensiv verfolgen zu dürfen.

Ich habe, Herr Präsident, sehr viele Jahre gebraucht, um auf Erden dieses Volk kennen und lieben zu lernen. Erst in der Zeit meines himmlischen Daseins habe ich das Wesen dieses Volkes nicht nur entschlüsselt, sondern sämtliche geschichtlichen Konstanten desselben und den sogenannten roten Faden seiner Geschichte erkannt und verinnerlicht.

Ich bitte Sie, Herr Präsident, Verständnis dafür aufzubringen, dass ich Ihnen im Folgenden keine Ratschläge erteilen werde. In den Weiten der Unendlichkeit, befürchte ich, verliert man relativ schnell die zu Recht von den Menschen hoch geschätzte Objektivität. Diese existiert aber eher als ein stetiger menschlicher Versuch, zwischen den Prinzipien Gut und Böse zu navigieren. Da es hier bei mir kein Böses mehr gibt, woran sich das Gute reiben könnte, kann es auch keine Objektivität geben. Zumindest nicht so, wie die Menschen das verstehen.

König Karl I. von Rumänien ...
König Karl I. von Rumänien
Mein Weg zum König des jungen unabhängigen Rumänien war bekannterweise nicht vorbestimmt. Es war purer Zufall. Das Land, das Volk, seine Geschichte – alles war mir mehr als fremd. Das einzig Verbindende, was mir spontan einfiel, als Herr Brătianu mir die Krone anbot, war meine geliebte Donau. Sie mündete – laut Brătianu – vier Kutschentage von Bukarest entfernt ins Schwarze Meer. Und dann zwinkerte er mit dem Auge und fügte schelmisch hinzu: „Allerdings benötigt man, Majestät, vor dem Antritt der Reise mindestens genauso viele, also vier regenfreie Tage.“ Es war das erste Mal, dass man mir eine nicht unwesentliche Ergänzung zu einer vorher übermittelten Information mit einem solch vielsagenden Augenzwinkern darreichte. Erst viele Jahre später – in Bukarest – habe ich die genaue Bedeutung der auf diese Weise dargebrachten Informationen zu deuten und zu schätzen verstanden.

Der Weg durch das Land und die Ankunft in Bukarest gestalteten sich zu einem nicht endenden Schock. Meine Frau und ich kannten sehr wohl die Armut: sowohl die englische Massenarmut, als auch die deutsche, ich insbesondere die schwäbische rund um Sigmaringen. Aber das, was wir da zu Gesicht bekamen, sprengte alle unsere Vorstellungen. Keine Details. Ich war schließlich designierter König. Und ich und mein Frau waren Deutsche. Unsere zunächst entsetzten Blicke trafen sich schließlich und sie verrieten letztendlich königliche Entschlossenheit: Wir beide werden es schaffen! Nun: Die Geschichte hat es bestätigt, wir haben es geschafft.

Ich, Herr Präsident, musste ja bekanntlich nicht regieren. Da hätte ich – ich gebe es unumwunden zu – als Deutscher kläglich versagt. Wie soll man ein Land halbwegs demokratisch regieren, dessen Bevölkerung zu 80% Analphabeten, höchstens Halbanalphabeten war? Das materielle und intellektuelle Elend der Dorfbevölkerung war unbeschreiblich. Eine städtische Kultur existierte lediglich in sehr zarten Ansätzen. Das Interesse der ökonomischen und politischen Elite für diese erdrückende Mehrheit der Bevölkerung tendierte gegen Null. Nirgendwo ein Anzeichen eines noch so winzigen gesellschaftlichen Grundkonsenses. Gedacht und gehandelt wurde nicht im Namen irgendwelcher Werte oder Ideale, sondern enger, egoistischer individueller oder familiärer Interessen. Die Sonntagsreden meiner Politiker habe ich schnell gelernt, nicht ernst zu nehmen.

Eher durch Zuflüsterer als auf offiziellem Wege erfuhr ich von der Existenz eines nicht alltäglichen Schriftstellers. Ich sprach seinen Namen stets mit Mühe aus: Karatschiale (Caragiale). Sie, Herr Präsident, haben sicher viel von ihm gehört und gelesen. Die Herrn Kommunisten haben ihn auserkoren, die gesellschaftlichen Verhältnisse meiner Zeit der Lächerlichkeit preiszugeben. Nachdem dieser Herr angewidert seinem Land den Rücken gekehrt hat, um in Berlin in Ruhe den Rest seines Lebens zu verbringen, habe ich mich mit seinem Werk heimlich vertraut gemacht. Ich habe auf Anhieb verstanden, warum man ihn aus dem Lande hinaus geekelt hat: Der Spiegel, den Caragiale den Rumänen vorhielt, widerspiegelte bis auf die feinsten Strukturen die unverfälschte Wahrheit über die rumänische Gesellschaft. Über ihr Denken, Fühlen und Handeln, über ihre liebenswürdigen und heuchlerischen Seiten. Ich wage zu behaupten, dass es in Rumänien zu meiner Zeit und Jahrzehnte danach genau so viel Caragialehaftes steckte wie steifes Preußentum in meinem durch Blut und Eisen vereinten deutschen Heimatland. Klischees hin oder her ...

Wie bereits erwähnt, ist es mir durch Gottes unermessliche Gnade vergönnt, die Schicksalsfolge meines geliebten Volkes lückenlos verfolgen zu dürfen. Eigentlich müsste es nach 1930 nicht Schicksalsfolge, sondern Schicksalsschläge heißen.
Ungern spreche ich über die Zeit, da mein leicht missratener Neffe Carol II. das Sagen hatte. Bei ihm hat eindeutig das Caragiale-Gen über das deutsche-Gen die Oberhand gewonnen. Was soll‘s: Künstler und Frauen mochten ihn. Oder war es eher umgekehrt …?

Interessanter war aus dieser himmlischen Perspektive die Zeit nach 1944. Michael, dem jungen, feschen Burschen aus meinem Adelshause kann man wahrlich nichts vorwerfen. Er hat bis zum heutigen Tage seinen Job anständig gemacht.

Und seien wir mal ganz ehrlich: letztendlich kann man in den folgenden 50 Jahren kommunistischer Herrschaft niemandem was Handfestes vorwerfen. Es war doch nichts anderes als eine logisch-natürliche Fortsetzung des bereits Bestehenden mit dick aufgetragenem ideologischem Schmackes. Auf der einen Seite die zahlenmäßig riesige, amorphe von der großen weiten Welt abgeschnittene in sich ruhende, unaufmüpfige Masse („mămăliga nu explodează“), vollständig und rund um die Uhr damit beschäftigt, das karge tägliche Brot zu beschaffen. Mehr war wirklich nicht drin. Und es gab auf der anderen Seite die Elite, diesmal ideologisch stramm und völlig einseitig ausgerichtet, auf einen Führer fixiert, der wiederum nichts anderes im Sinn hatte, als seine Macht zu bewahren und sie im Sinne des patriarchalischen Clan-Denkens auszubauen.

Apropos Ideologie: Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich über diese 50 bis 55 Jahre Kommunismus eher wenig äußere. Es ist mir selbst aus dieser unfassbar weiten Perspektive nicht vollends gelungen, die Kernessenz kommunistischer Logik zu entschlüsseln.

Gut, ich weiß, dass alles mit gutgemeinten Überlegungen eines am Hungertuch nagenden – aber zugegeben genialen – Ökonomen und Journalisten aus Trier und einem betuchten aber gedanklich irrlichternden Fabrikanten anfing. Was ich allerdings nie unter einen logischen Hut bringen konnte, waren die persönlichen Schlussfolgerungen und die daraus resultierenden Handlungsanweisungen, die bestimmte Herren wie Lenin, Stalin, Trotzki, Honnecker, Kadar, Tito und nicht zuletzt der kleine schlaue Bauernsohn aus Oltenien aus dieser doch so „reinen“ Lehre der sogenannten marxistischen Klassiker gezogen haben.
Da stand er noch am Anfang seiner Karriere: Klaus ...
Da stand er noch am Anfang seiner Karriere: Klaus Johannis nach seiner ersten Wiederwahl zum Bürgermeister von Hermannstadt 2004. Foto: Konrad Klein
Ich, Herr Präsident, habe lediglich die caragialistische Seite der rumänischen Gesellschaft erlebt. Soweit ich informiert bin, hat sowohl das rumänische Volk als auch das Ausland, das über die in Rumänien herrschenden wahren Verhältnisse grotesk falsch informiert war, diese fünf kommunistischen Jahrzehnte als ein nicht genau definierbares Amalgam aus Caragiale und Stalin definiert und entsprechend wahrgenommen.

Sie, Herr Präsident, sind ein Produkt dieser Amalgam-Zeit.

Aber Sie sind zugleich das Kind eines bescheidenen und stolzen Volkes, das auf eine über 850 Jahre alte Geschichte zurückblicken kann, das niemals vom Grundkonsens der Bewahrung seiner Identität in schlichtem Glauben an Gott dem Herrn, der deutschen Tugenden und der Liebe und Wertschätzung der Heimat abgewichen ist. Die Geschichte dieses Völkchens hat niemals auch nur einen Hauch von Caragiale oder Stalin aufgewiesen.

Ich hatte in meinem Leben leider wenig Gelegenheit, Siebenbürger Sachsen zu treffen. Sie waren zu meiner Zeit wieder einmal damit beschäftigt, Angriffe auf ihre deutsche Identität abzuwehren. (Die damalige ungarische Elite spielte mal wieder verrückt. Typisch für dieses aus weiten asiatischen Steppen stammende sympathische und überaus freiheitsliebende Volk: Es würde gegebenenfalls auch gegen Windmühlen kämpfen um seiner nationalen Freiheit willen. Jedes Mal aber, wenn es in seiner tausendjährigen europäischen Geschichte dieses Ziel erreicht hat, spielte es verrückt und wurde pathologisch nationalistisch. Wer soll das alles verstehen…) Hermannstadt war damals nicht nur geographisch fern von Bukarest, doch wir in der rumänischen Hauptstadt hatten sehr wohl ein waches Auge bezüglich der Geschehnisse in Siebenbürgen. Somit war und bin ich gut im Bilde: Ich weiß vieles über die Sachsen, ich weiß woher sie kamen, was sie vollbrachten, welche Schicksalsschläge sie trafen und wohin der Weg der Geschichte sie schließlich geführt hat.

Und trotzdem ist es selbst in diesen meinen Sphären schier unmöglich, die Zukunft mit auch nur annähernder Sicherheit vorauszusagen.

Herr Präsident, ich wiederhole mich gern: Ich musste zu meiner Zeit nicht regieren. Ich wurde gerufen, um Interessen auszugleichen, um (oft lächerliche) politische Konflikte zu entschärfen, um dem Lande das Abgleiten in Extremen jeglicher Art zu ersparen, um diesem sozial und politisch gespaltenem Land ein von allen gesellschaftlichen Schichten anerkanntes Symbol darzustellen. Ich bin sehr froh darüber, dass mir und meinem Haus das weitestgehend gelungen ist.

Sie, Herr Präsident, werden es bedeutend schwerer haben. Sie müssen in die Niederungen des politischen Alltagsgeschäfts eingreifen, Sie müssen Partei ergreifen, Sie werden politisch spalten, ausgrenzen und kränken müssen und Sie werden vieles, sehr vieles schlucken müssen. Caragialehaftes nämlich…

Es gibt viele Mythen der rumänischen Geschichte und der rumänischen Geschichtsschreibung. Man kann behaupten, es gibt eigentlich unverhältnismäßig viel Mythos und zu wenig Realismus. (Soweit ich informiert bin, gibt es heute in Rumänien Tendenzen, dieses verzerrte Verhältnis zwischen Mythos und Realität zurechtzubiegen. Ich persönlich mag die dazu geäußerten Gedanken und Schriften des Herrn Professor Lucian Boia aus Bukarest)

Den Charakter eines zumindest Halb-Mythos trägt die hartnäckige Überzeugung vieler Rumänen, dass es in historisch chaotischen Zeiten die richtige Entscheidung sei, die Geschicke des Landes in die Hände eines Deutschen oder zumindest einer Person, die deutsche Tugenden vertritt und vorlebt, zu legen. Und das zumindest kurz- bis mittelfristig, bis wieder etwas Ordnung in das selbstverschuldete Chaos gebracht wurde.

Sie, Herr Johannis, sind Präsident Rumäniens geworden, weil – historisch gesehen – es wieder einmal so weit gekommen ist.

So wie ich das Ethos des Völkchens kenne, dessen Spross Sie sind, kann ich weitestgehend ausschließen, dass Sie, Herr Präsident, lediglich eigene persönliche Interessen auf Ihrem triumphalen Weg in den rumänischen Präsidentenpalast verfolgt haben. Sie werden Ihre Rolle sehr ernst nehmen und Sie werden sicherlich Ihr Bestes geben.

Bukarest ist allerdings nicht Hermannstadt, das wissen Sie besser als ich. Das Caragialehafte der Gesellschaft, das Sie nunmehr ohne die stalinistische Komponente Tag für Tag erleben werden, soll Sie niemals entmutigen. Denn es ist es wirklich wert, diesem Land und diesem liebenswürdigen Volke (bitte nichts Ironisches hineininterpretieren), soweit es geht, beizustehen. Allein schon wegen der in ihrer Treffsicherheit einmaligen Charakterisierung des Landes durch George Bacovia: „O, țară tristă, plină de umor“. Sie, die Rumänen (die echten!), sind einmalig in ihrer unnachahmlichen naiv-schlauen Art, sie haben selten wirklich Böses in der Geschichte getan und ihre Köpfe waren über Jahrhunderte eher demutsvoll gesenkt als stolz gereckt. Sie wurden allzu oft regelrecht gedemütigt und selten ernst genommen.

Herr Präsident, bringen Sie Ihre Mission nach besten Wissen und Gewissen zu einem guten Ende. Gemessen an der jahrhundertealten, nicht selten unscharfen Geschichte des rumänischen Volkes, werden mein und Ihr Beitrag zu dieser Geschichte gewiss als erwähnenswerte, vielleicht auch lobenswerte Fakten in die historischen Annalen eingehen. Nicht mehr und nicht weniger.

Mit königlicher Hochachtung
Noroc și sănătate!

Ihr Carol I.



Der Autor, Dr. med. Helmut Göllner, geboren 1954 in Klausenburg (Vater Siebenbürger Sachse, dessen Großvater aus Birk bei Sächsisch Regen nach Klausenburg gelangte, Mutter Ungarin), besuchte das Bistritzer Gymnasium (sein Geschichtslehrer war dort auch Horst Göbbel), studierte von 1974 bis 1978 Geschichte und Germanistik in Hermannstadt, unterrichtete anschließend in Neumarkt am Mieresch (Târgu Mureș), wurde 1981 nach dem Antrag auf Ausreise aus dem Schuldienst entfernt und durfte 1982 nach Deutschland ausreisen. Nach dem Referendariat sattelte der verheiratete Vater einer Tochter um, studierte in Erlangen Medizin (1988-1995) und praktiziert seit 1999 in Nürnberg als niedergelassener Arzt, der von Geschichte und Zeitgeschehen (und natürlich von Siebenbürgen und Rumänien) nicht loskommen kann und will.

Schlagwörter: Johannis, König, Rumänien

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