4. Januar 2015

Tele-Revolution oder Loviluție – Tagung zum Umsturz 1989

25 Jahre nach der Wende in Rumänien ist bis heute nicht alles aufgeklärt. Sogar die Deutungen blieben unterschiedlich: Wie weit war es ein Volksaufstand oder ein Staatsstreich? Eine gestohlene, verratene oder unvollendete Revolution? Im rumänischen Volksmund deshalb „Loviluție“ genannt, eine Mischung aus Staatsstreich und Revolution, wie Mathias Pelger berichtet. Der frühere Stadtpfarrer der „Schwarzen Kirche“ von Kronstadt war als Teilnehmer an der Tagung in Bad Kissingen (11.-13. Dezember 2014) Zeitzeuge des Umsturzes. Studienleiter Gustav Binder hatte Peter Miroschnikoff als Referenten eingeladen, obgleich er erst zu Weihnachten 1989 nach Bukarest gekommen war. Der frühere ARD-Korrespondent berichtet im Folgenden über die Tagung in Bad Kissingen und die Wende vor 25 Jahren in Rumänien.
Als ich im Dezember 1989 nach Bukarest kam, waren die Ceaușescus schon exekutiert, aber die Schießereien und Anspannungen noch lange nicht beendet. Ich sprang damals als TV-Reporter ein, weil mein Nachfolger als ARD-Korrespondent für Südosteuropa erkrankt war. In meiner Begleitung Helga Höfer, kurz zuvor als Büroleiterin in Bukarest ausgewandert.

Wir wurden gleich am Flughafen konfrontiert mit Chaos, Panik, Hysterie und Gerüchten, die uns als Berichterstatter am meisten zu schaffen machen sollten. Die Fahrt ins Stadtzentrum sei lebensgefährlich, wurde behauptet, Terroristen und Legionäre als Anhänger überall als Heckenschützen aktiv. Was die Kosten für das Taxi zum Interconti-Hotel natürlich in die Höhe schraubte. Die Luxus-Herberge hatte der Securitate zuvor als Stützpunkt gedient, dann Arbeitsplatz und Nachrichtenbörse für herbeigeeilte Journalisten. Kurzzeitig sogar geräumt, weil der Portier uns wissen ließ, in den Kellerräumen sei Sprengstoff geortet worden. Die Feuerwehr setzte daraufhin das Tiefgeschoss unter Wasser. Ein rumänischer Mitarbeiter kam mit der Meldung, neben dem Gebäude des Zentralkomitees (ZK) der Rumänischen Kommunistischen Partei habe man ein „Giftlabor“ der Ceaușescus entdeckt. Plünderer hatten dort schon gehaust, als wir uns mit einem Chemielehrer dort umschauten, neben Übungsräumen der Securitate. Nach Einsicht in das Laborbuch war unser vermeintliche Fachmann sicher, es sei mit Gift experimentiert worden. Die dort gelagerten Chemikalien würden ausreichen, um Zigtausende mit vergiftetem Wasser umzubringen. Nach dem journalistischen Grundsatz „double-check“ wurde ein Experte von der Akademie der Wissenschaften bemüht, der allerdings zur gleichen Beurteilung kam.
Kahlschlagsmentalität gepaart mit städtebaulichem ...
Kahlschlagsmentalität gepaart mit städtebaulichem Größenwahn: Ceausescus "Volkspalast", aufgenommen im März 1989. Foto: Konrad Klein
Mein Bericht war (leider) der „Aufmacher“ damals für die Tagesschau der ARD. Woraufhin sich Kollegen von Agenturen auf die gleiche Geschichte stürzten. Gegen Mitternacht rief mich ein empörter Firmenchef aus Kiel an. Die gezeigte Ausstattung und die Chemikalien im Labor seien von ihm geliefert worden. Sie dienten aber allein zum Nachweis von Giften. Nach zwei Tagen gelang es Helga Höfer, den Laborleiter ausfindig zu machen. Der Offizier berichtete vor unserer Kamera von der Paranoia der Ceaușescus. Nach den Anschlägen auf die Gandhis in Indien befürchtete das rumänische Präsidentenpaar Giftattacken. Deshalb mussten alle Lebensmittel, auch Geschenke an den „Conducător“ auf Giftspuren untersucht werden.

Zweifellos haben wir Medienvertreter beim Umsturz in Rumänien die wichtige „Alarmfunktion“ nicht erfüllt, die Entwicklung falsch eingeschätzt. Da Ceaușescus spätstalinistisches Regime jede Opposition strikt bekämpfte, Dissidenten einsperrte oder ausgewiesen hat, kam der Aufruhr im Dezember 1989 überraschend. Offensichtlich auch für den Staats- und Parteichef selbst, der zuvor den zwölften Parteitag absolvierte und Gorbatschow bei seinem Besuch in Bukarest selbst den sozialistischen Bruderkuss verweigern wollte, in den Iran reiste. Die anprangernden Reden von Pfarrer László Tökés in Temeswar sollten durch Strafversetzung in die Provinz beendet werden. Möglichst ohne großes Aufsehen, um mit der Berichterstattung in ungarischen Medien Schluss zu machen. Wie wir heute wissen, war das der zündende Funke und Auslöser für den Umsturz. Die katastrophale Versorgungslage, die Wende, die sich nach dem Mauerfall und der „samtenen Revolution“ in Prag und anderen Ostblockstaaten vollzog, von der die elektronischen Medien in den Nachbarländern und vor allem Radio Freies Europa berichteten, dürften die Anti-Regimestimmung auch in Rumänien entsprechend aufgeheizt haben.

Um das in Bukarest und anderen Städten einzufangen, reichten nach der Exekution der Ceaușescus die Nachrichtenfilme nicht aus. Deshalb zeigte ich bei der Tagung in Bad Kissingen die Reportagen „Das Erbe des Diktators“ und den mit Helga Höfer erstellten Bericht „Bilder aus Hermannstadt“. Für den ersten Beitrag gelang es uns, in der Villa der Ceaușescus zu filmen, in der auch Schätze aus Museen des Landes gehortet waren. In Hermannstadt konnten wir uns auch in der „Residenz“ von Sohn Nicu umschauen, der dort auch Waffen eingelagert haben soll. Wobei ich heute nicht mehr sicher bin, ob das nicht auch eines der vielen kursierenden Gerüchte gewesen ist. Die sorgten auch in der Fernsehzentrale für Chaos und Tod. Da wurden einerseits Hilferufe ausgestrahlt, man brauche Verstärkung und Munition, um sich gegen drohende Terrorangriffe zu wehren, andererseits wurde auf heranrückende LKWs gefeuert, was zu unsinnigen Opfern führte.

Über diese Art Tele-Revolution berichtete ich am 5. Januar 1990 im Weltspiegel der ARD. Das unter den Ceaușescus langweilige dreistündige Fernsehprogramm avancierte beim Umsturz zum landesweit verfolgten Medium. Instrumentalisiert vom gewendeten Militär als Befehlszentrale, von den selbst ernannten neuen Machthabern als Revolutionsbühne für ihre Auftritte. Samt Vorführung von Ceaușescu-Sohn Nicu im Nachrichtenstudio 4 vom „Sender der Freiheit“. Nicht nur mir fiel als rätselhaft auf: Für die angeblichen Terroristen und Legionäre aus vornehmlich arabischen Ländern, allesamt Phantom-Feinde, wäre es doch leicht gewesen, die Antennen und Parabolspiegel der Fernsehzentrale zu zerstören, um dieser Tele-Revolution ein Ende zu bereiten. Zehn Jahre danach habe ich für die Reportage „Ich erschoss die Ceaușescus“ mit den Protagonisten des Umsturzes gesprochen. Auch mit dem wahrscheinlich wichtigsten Drahtzieher Silviu Brucan, so was wie Iliescus Chefideologe. Die verlogene Darstellung: Anhänger Ceaușescus hätten die Fernsehtechnik nicht angegriffen, weil sie den Sender rückerobern und für sich nutzen wollten. Seine Version des Umsturzes: Man sei nach Temesvar auf den Revolutionszug aufgesprungen. Ja, aber auf die Lokomotive, merkte ich an. Entsprechend blieben auch unter Iliescus Präsidentschaft Fernsehen und Rundfunk unter staatlicher Kontrolle.
Auch während der Pausen stets im Mittelpunkt: TV ...
Auch während der Pausen stets im Mittelpunkt: TV-Journalist Peter Miroschnikoff in Bad Kissingen; hinten Pfarrer Mathias Pelger. Foto: Konrad Klein
Zur geplanten Co-Produktion mit der BBC kam es damals und auch später nicht. Dabei könnte noch interessantes Videomaterial aufbereitet werden, das ich damals von Filmern der Hochschule in Bukarest gekauft habe und im Wiener ARD-Archiv liegt. Im Chaos nach der Flucht der Ceaușescus drehten sie im ZK-Gebäude, wie Vertreter der alten Macht, Ilie Verdeț, und Premier Dăscălescu auszuhandeln suchten, welche Rolle sie künftig im führerlosen Rumänien spielen könnten. Dokumentiert wurde von diesen Jungfilmern auch, dass Securitate-Chef Vlad weiterhin Kommandos gab und zusammen mit General Militaru agierte. Unsere eigenen Aufnahmen von Soldaten im früheren Heiligtum der kommunistischen Machthaber veranschaulichen damals herrschende Anarchie. Das Arbeitszimmer Ceaușescus als Teeküche und Schlafzimmer von selbsternannten Revolutionswächtern. Sie wühlten in Akten und Fotos des Diktators, für sie ein Müllhaufen von Personenkult, von endlich bewältigter Geschichte. In Bad Kissingen anschaulich gemacht in der Reportage „Parteichef mit Szepter“.

Die von Studienleiter Gustav Binder gezeigten Spielfilme „12.08 Uhr östlich von Bukarest“ (Tragikkomödie von Corneliu Porumboiu), „Kapitalismus unser geheimes Rezept“ (Alexandru Solomon) und „Das Papier wird blau sein“ (Radu Munteanu) trugen dazu bei, die damaligen Vorgänge aus verschiedener Perspektive anschaulich zu machen. Um zu erforschen, wie persönlich seinerzeit die Revolution erlebt wurde, hat Friederike Mönninghoff viele Interviews geführt, die demnächst als Dissertation publiziert werden sollen. Beispiele daraus trug sie bei der Tagung in Kissingen vor. Einige Teilnehmer, die dabei waren, als in Temeswar ab 15. Dezember 1989 die Kette von Protestaktionen begann, berichteten davon in einer Diskussionsrunde.

Pfarrer Mathias Pelger trug als Augenzeuge seine Notizen über die Wende in Kronstadt vor, die ich hier auszugsweise zitieren möchte:
„In den Morgenstunden des 22. Dezember saß ich mit meinen Mitarbeitern im Pfarramt. Wir tauschten uns über die aktuellsten Ereignisse aus… Irgendwann wurde ich von einem Unbekannten aufgefordert, der in unser Amt stürmte, zum Zeichen der Solidarität mit ‚denen da draußen‘ die Glocken der Schwarzen Kirche läuten zu lassen. Ich stand vor einer der schwersten Entscheidungen meines Lebens: Glockenläuten von dieser Kirche hätte für viele wutentbrannte Demonstranten womöglich das Zeichen zum Losschlagen bedeutet. Die Sicherheitskräfte hätten das aber zum Anlass genommen, ein fürchterliches Blutbad anzurichten. Ich rannte auf den Rathausplatz. Dort traf ich einen Arbeiter aus dem Traktorenwerk, der – als mein Kontaktmann – meine Bitte mehrfach der Menge zurief, wohl 5.000 Menschen, das Glockengeläute solle zum Gebet und nicht zum Sturm auffordern. Als die Glocken einsetzten, knieten alle nieder und beteten laut das Vaterunser.“

Seine Hoffnung, damit den Volkszorn zu besänftigen, erfüllte sich jedoch nicht. Wie Pfarrer Pelger berichtete, stürmten die Demonstranten danach den Sitz der Securitate, warfen Ceaușescu-Portraits und Schlagstöcke aus den Fenstern. Allerdings gelang es ihm, dort erneut zum Gebet aufzufordern. Mit Sprechchören „Fără violență“ (keine Gewalt) sei die Protestbewegung dann weiter durch die Stadt gezogen. Seine Gebete wurden allerdings nicht erhört. Er musste miterleben, wie in Kronstadt bis zum 30. Dezember scheinbar wahllos auf alles geschossen wurde, was sich auf Straßen und Plätzen bewegte.

Mit Nero, Vlad Țepeș alias "Dracula" ...
Mit Nero, Vlad Țepeș alias "Dracula" und Weißem Riesen ins Mythische entrückt: Nicolae und Elena Ceaușescu (unten rechts) als Wandmalerei am Lügenmuseum in Gantikow bei Neuruppin, gemalt von Katharina Zipser Anfang der 1990er Jahre. Foto: Konrad Klein
Da es nur Phantom-Terroristen gab, keine ausländischen Legionäre wirklich gesichtet und verhaftet wurden, bleibt weiterhin aufzuklären, wer da Befehle gab, warum und auf wen geschossen wurde. Was dran ist am Verdacht, dass die neuen Machthaber die Gewalt zuließen oder womöglich schürten, um sich als „nationale Rettungsfront“ und neue Ordnungskraft zu profilieren. Die Hoffnungen ruhen 25 Jahre später auf dem kürzlich gewählten Staatspräsidenten Klaus Johannis, der ja demonstrativ nach Temeswar reiste. Das dem Revolutionsmuseum angeschlossene Forschungszentrum hat den Ablauf der Ereignisse weitgehend erforscht. Aber noch nicht z.B., wer die Gerüchte vom angeblichen Securitate-Friedhof mit vermeintlichen Folteropfern in Umlauf setzte, wie weit die Staatssicherheit am Umsturz beteiligt war. Vielleicht gelingt es, die vielen Inszenierungen zu entlarven, alle Rätsel zu lösen.

Peter Miroschnikoff

Schlagwörter: Revolution, Umbruch 1989, Bad Kissingen, Medien

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  • 04.01.2015, 14:34 Uhr von Melzer, Dietmar: Herr Stadtpfarrer Pelger Matthias ließ wirklich die Glocken der Schwarzen Kirche in ... [weiter]

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