28. Januar 2017

Erbitterter Kampf um den Rechtsstaat in Rumänien: Klaus Johannis wehrt sich gegen korruptes System

Kurz nach ihrer Vereidigung (diese Zeitung berichtete) versucht die neue rumänische Regierung über Eildekrete den Kampf gegen die Korruption gravierend zu beeinträchtigen und den Rechtsstaat auszuhebeln. Die Sozialdemokratische Partei (PSD) und der liberale Bündnispartner ALDE, die die Regierung stellen und über eine satte Mehrheit im Parlament verfügen, verfolgen dabei primär die Interessen eigener Mitglieder. Staatspräsident, Opposition, Zivilgesellschaft, Justiz und internationale Stimmen sprechen sich deutlich gegen die Pläne der Regierung aus. In Rumänien ist ein Machtkampf entbrannt. Zehntausende Menschen gehen auf die Straße, um den Rechtsstaat zu verteidigen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat inzwischen Stellung bezogen. Allen Protesten und Warnungen zum Trotz hat Rumäniens sozialliberale Regierung das hoch umstrittene Amnestiegesetz am 31. Januar per Dekret beschlossen.
Seit Wochen sorgen in Rumänien zwei von der Regierung geplante Dringlichkeitsverordnungen für Aufruhr. Die Dekrete wurden Mitte Januar vom neuen Justizminister Florin Iordache (PSD) angekündigt und zielen auf eine Schwächung des Kampfes gegen die Korruption. Sie sehen vor, dass alle Personen begnadigt werden, die zu Haftstrafen unter fünf Jahren verurteilt sind, und dass Korruption und Amtsmissbrauch straflos bleiben, wenn der Schaden unter 200.000 Lei (umgerechnet ca. 50.000 Euro) liegt. Die Regierung möchte zudem ein Gesetz abschaffen, das verurteilten Straftätern den Zugang zu staatlichen Ämtern verwehrt.

Die PSD begründet ihren Vorstoß mit der Entlastung überfüllter rumänischer Gefängnisse. 2.500 Häftlinge würden von der Gesetzeslockerung profitieren, allerdings auch zahlreiche korrupte Politiker, ehemalige Minister, Parlamentarier und Bürgermeister, die Haftstrafen verbüßen oder riskieren. Auf diese Weise wäre das Strafregister mancher Leitfiguren der PSD, beispielsweise jenes des Ex-Premiers Victor Ponta, gelöscht. Auch die zweijährige Bewährungsstrafe, zu der PSD- und Unterhauschef Liviu Dragnea 2016 wegen Wahlmanipulation verurteilt wurde, wäre gestrichen. Dragnea könnte somit Ministerpräsident werden, ein Amt, das er mit aller Macht anstrebt.
Staatspräsident Klaus Johannis ging mit Tausenden ...
Staatspräsident Klaus Johannis ging mit Tausenden von Demonstranten auf die Straße, um gegen die Lockerung des Antikorruptionskampfes zu protestieren (Bukarest, 22. Januar 2017). Foto: Inquam Photos/ Liviu Florin Albei via REUTERS
Staatschef Klaus Johannis gelang es am 18. Januar, die zwei Verordnungen vorerst zu verhindern, die die Regierung im Expressverfahren – ohne die üblichen Konsultationen von Parlament, Zivilgesellschaft und Experten – verabschieden wollte. Der Präsident wurde beim Sitz der Regierung wenige Minuten vor der wöchentlichen Kabinettsbesprechung vorstellig, führte zunächst ein Gespräch mit Premier Sorin Grindeanu (PSD) und Justizminister Iordache und übernahm anschließend zum ersten Mal die Leitung der Regierungssitzung (dazu berechtigt ihn Art. 87 der Verfassung). Johannis stellte vor der Presse klar, dass Premier Grindeanu ihm zugesichert habe, die Eilverordnungen „nicht ohne öffentliche Debatte“ auf die Tagesordnung einer Regierungssitzung zu setzen.

Schon am selben Tag gingen zahlreiche Menschen auf die Straße, um gegen die Verordnungsentwürfe zu protestieren. Am Wochenende spitzte sich die Lage zu: Mehrere Zehntausend demonstrierten bei klirrender Kälte in Bukarest, Temeswar, Klausenburg, Kronstadt, Jassy und anderen Städten und skandierten „Demokratie statt Amnestie“, „Korruption tötet“ und „Nieder mit der Regierung“. Überraschend erschien Klaus Johannis am 22. Januar persönlich zur Demo in der Hauptstadt. „Ich bin hier, um meine Empörung auszudrücken“, sagte er der Presse. „Eine Clique von Politikern“ wolle den Rechtsstaat schwächen, so der Präsident. Die Menschen empfingen ihn begeistert mit Slogans wie „Johannis ist mit uns“.

Daraufhin warf Liviu Dragnea dem Staatschef vor, sich am „Beginn eines Staatsstreichs“ beteiligt zu haben. Er werde Johannis nicht erlauben „die verfassungsrechtliche Ordnung zu stürzen“, dröhnte der PSD-Chef in populistischem Ton. ALDE-Vizevorsitzender Cătălin Beciu ging noch einen Schritt weiter und bezeichnete die Proteste als „Nazi-Kundgebungen“ und die Demonstranten als „Kretins“. Regierungsnahe Politexperten streuten in der Presse den Verdacht, die Protestierenden seien gekauft worden.

Staatspräsident Klaus Johannis, der in den vergangenen Monaten für seine zurückhaltenden Amtsstil mehrfach kritisiert worden war, überraschte am 24. Januar – dem Jahrestag der Vereinigung der Fürstentümer Rumänien und Moldau (1859) – mit einer besonders engagierten Rede. Anlässlich des Feiertags würdigte er die politische Klasse, die den modernen Staat gegründet und das erste Strafgesetzbuch verabschiedet hatte, und kritisierte – im Kontrast dazu – die aktuellen Versuche einiger Politiker, „in der Gesetzgebung herumzuwühlen“ und „die eigenen Strafakten zu säubern“. Laut Johannis stünde dabei nicht nur die Justiz auf dem Spiel, sondern die Zukunft des Rechtsstaates und der rumänischen Nation. Zudem kündigte er an, die Bürger in einem Referendum über die Fortführung der Korruptionsbekämpfung abstimmen zu lassen. Das einschlägige Schreiben des Staatschefs ging am 24. Januar beim Parlament ein – die Legislative hat nun 20 Tage Zeit, um auf Johannis` Vorschlag zu reagieren.

Auf Ebene der Europäischen Union wurden die Ereignisse in Rumänien zwar noch nicht direkt kommentiert, doch die EU-Kommission warnte vor den Folgen einer vorsätzlichen Schwächung der Justiz. In dem Rumänien-Bericht, der im Rahmen des „Kooperations- und Überprüfungsmechanismus“ (CVM) am 25. Januar publiziert wurde, wird hervorgehoben, dass die zwei Gesetzesentwürfe vom 18. Januar „die Ergebnisse der Bekämpfung der Korruption beeinträchtigen könnten“. Die Kommission gedenke, die bisherigen Fortschritte Rumäniens im Justizbereich neu zu bewerten, sollten Gesetzesänderungen „das Gewicht der Korruption als Straftat“ einschränken.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Staatspräsident Klaus Johannis in einem Telefonat am 27. Januar ihre „volle Unterstützung bei der konsequenten Fortsetzung des Anti-Korruptionskurses“ zugesichert, meldete die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, eine „Aufweichung der Korruptionsbekämpfung und Relativierung des Rechtsstaats“ wäre ein völlig falsches Signal. Merkel habe Johannis zudem für die ausgezeichneten bilateralen Beziehungen und die enge Zusammenarbeit in europapolitischen Fragen gedankt.

Auch der Verbandspräsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, Dr. Bernd Fabritius, Mitglied des Deutschen Bundestages, erklärte die von der Regierung geplanten Verordnungen als „mit EU- und Europaratsnormen unvereinbar“. In einer Stellungnahme für diese Zeitung würdigte er die Reaktion des Staatspräsidenten als „souverän“ und in „Recht und Gesetz“ verankert, während er der PSD „Klientelpolitik zu Lasten des Rechtsstaates“ vorwarf (siehe separater Artikel in der SbZ Online). Der neue Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest, Cord Meier-Klodt, bekräftigte seinerseits, dass Strafrechtsänderungen in einem „offenen, transparenten Dialog zwischen den Beteiligten“ diskutiert werden sollten. Schließlich gab die Deutsch-Rumänische Industrie- und Handelskammer in Bukarest in einer Pressemitteilung bekannt, dass deutsche Unternehmen den Kampf gegen die Korruption befürworten und dessen Fortsetzung wünschen.

Viele Stimmen in Rumänien bewerten die Situation ähnlich. Laut Raluca Turcan, Interimschefin der Nationalliberalen (PNL), überlege ihre Partei, einen Misstrauensantrag gegen die Regierung zu stellen. Die Union Rettet Rumänien (USR) kündigte ähnliche Maßnahmen gegen Justizminister Iordache an. Der Oberste Magistraturrat (CSM) lehnte am 25. Januar die Begnadigungs- und Teilamnestieverordnungen entschieden ab – allerdings haben die Stellungnahmen dieses Selbstverwaltungsorgans der rumänischen Justiz lediglich konsultativen Wert. Kritisiert wurden die Eildekrete auch von der Antikorruptionsbehörde DNA und dem Generalstaatsanwalt Augustin Lazăr, der sie als „Deckmantel“ für „obskure Interessen“ bezeichnete. Die Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten (OMNIA) unterstrich indes, dass sie die Haftvollzugsbedingungen bereits „seit 27 Jahren“ als unzulänglich kritisiert habe, doch habe sich „bis zur Inhaftierung namhafter Politiker“ keine Partei oder Regierung dafür interessiert. Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass die neuen Verordnungen das Land „in die neunziger Jahre zurückwerfen“ würden, und erstatteten bei der DNA Strafanzeige gegen Premier und Justizminister. Liviu Dragnea seinerseits drohte dem Staatschef mehrfach mit einem Amtsenthebungsverfahren.

Dass es der sozialliberalen Regierung freilich um viel mehr geht als die Entlastung rumänischer Gefängnisse, steht inzwischen außer Frage. Fakt ist, dass die Arbeit der rumänischen Justiz und vor allem der Antikorruptionsbehörde bisher international als vorbildlich gilt. Allein 2015 hat die DNA gegen 1.250 Personen Anklage wegen Korruption oder Amtsmissbrauch erhoben, unter anderem gegen einen Ex-Premier, fünf ehemalige Minister und 21 Parlamentarier.

Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa hat die rumänische Regierung das Amnestiegesetz am 31. Januar per Eilverordnung beschlossen. Etwa 2500 Häftlinge, darunter wegen Korruption inhaftierte Politiker, profitieren davon. Überdies soll Amtsmissbrauch künftig nur dann mit Gefängnis bestraft werden können, wenn der daraus erwachsene Schaden mindestens 200 000 Lei (rund 50 000 Euro) beträgt. Durch das sofort in Kraft tretende Dekret wurde das Parlament umgangen. Wie die Tagesschau berichtet, sprach Staatspräsident Klaus Johannis nach der Verabschiedung in einer Erklärung von einem „Trauertag für den Rechtsstaat, dem ein harter Schlag von den Gegnern der Justiz und des Kampfes gegen die Korruption versetzt“ worden sei. Generalstaatsanwalt Augustin Lazăr forderte die Anfechtung der Verordnung vor dem Verfassungsgericht. In zahlreichen Städten kam es zu Massenprotesten. Vor dem Regierungssitz in Bukarest verlangten mehr als 10 000 Demonstranten den Rücktritt der Regierung.

Christine Chiriac




Aktualisiert am 1. Februar 2017

Schlagwörter: Politik, Korruptionsbekämpfung, Johannis, Grindeanu

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