20. August 2018

Sechste Haferlandwoche mit Plädoyer zur Einigkeit

Erstmals seit fast 900 Jahren treffen sich in einer Sachsenscheune: eine rumänische Vizepremierministerin, ein sächsischer Bischofsvikar, ein Beauftragter der deutschen Bundesregierung, vier Botschafter, drei Unterstaatssekretäre, ein Konsul, Schauspieler, Philosophen und Schriftsteller. So beginnt der rumänische Botschafter in Berlin, Emil Hurezeanu, seine Rede. Humorig fragt er in die Runde: „Wer ist eigentlich nicht da?“ Es ist die sechste Haferlandwoche, deren Haupttag am 4. August in Deutsch-Kreuz feierlich begangen wird. Nicht nur, dass die Anzahl der beteiligten Gemeinden mit fast jedem Jahr steigt, mittlerweile sind es zehn, die sich vom 2. bis 6. August mit kulturellen Beiträgen, Brauchtum und traditionellem Handwerk vorstellen. Auch die Strahlkraft der Haferlandwoche reicht längst über Siebenbürgen und Rumänien hinaus. Nach Bukarest und Berlin schon lange – diesmal auch nach London und Washington.
Erstmals in einer Sachsenscheune... durfte Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der deutschen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, die Grüße von Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich überbringen: „Das gab es bei der Haferlandwoche bisher noch nicht.“ Grund zum Feiern bietet auch das hundertjährige Jubiläum Großrumäniens, in dessen Zeichen die Haferlandwoche steht. Immerhin waren die Siebenbürger Sachsen die erste Minderheit, die sich 1918 für die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien entschieden hatte. Doch die Geschichte endet nicht hier: Seither hat die deutsche Minderheit das Land entscheidend mitgeformt. Eine vorwärtsgerichtete, aktive Rolle bescheinigt ihr der deutsche Botschafter in Bukarest, Cord Meier-Klodt. Schirmherr der diesjährigen Haferlandwoche ist Hessens Landtagspräsident Norbert Kartmann. Bewegt bekennt er sich zu seinen Wurzeln, die nach Hetzeldorf reichen: „Ich bin ein Siebenbürger Sachse!“
Die Kronstädter Blaskapelle sorgte für Stimmung ...
Die Kronstädter Blaskapelle sorgte für Stimmung im Kirchhof von Deutsch-Kreuz. Fotos: George Dumitriu
Während ein Teil der Ehrengäste, noch unterwegs, am eigenen Leib erfährt, dass es in Rumänien an Autobahnen mangelt... Während im Kirchhof Kinder auf Strohballen Pinsel in Farbtöpfchen tauchen, um unter Anleitung der Künstlerin Manuela Ivan hölzerne Brettchen, Tabletts und Spiegel mit sächsicher Bauernmalerei zu verzieren … Während sich unter gleißender Sonne im Kirchhof Bläser, Trachtenträger und Tanzgruppen formieren … Während die gewaltigen Klänge der Deutsch-Kreuzer Orgel das Kirchenschiff erfüllen und Bischofsvikar Daniel Zikeli auf die Kanzel steigt, die Kirche voll wie einst, lächelt Sofia Folberth in ihrer Bank, die sie schon als kleines Mädchen drückte, still vor sich hin. Was mag die 96-jährige Sächsin aus Deutsch-Kreuz von all dem Rummel halten? Längst ist sie daran gewöhnt! Prominent ist sie geworden, die „Fichentant“, wie sie liebevoll genannt wird, seit sie vor acht Jahren aus Deutschland angereist war, in ihr altes Heimatdorf, und allein auf Knien den Bretterboden der Kirche geschrubbt hatte. Seither führt sie, selbst zur Attraktion geworden, jeden Sommer Touristen durch die Kirchenburg. Mittlerweile ist sie sogar Heldin in zwei Büchern, die die Michael Schmidt Stiftung 2016 herausgegeben hat („Deutsch-Kreuz“ und „Zwischen den Welten“ von Ruxandra Hurezean). Beherzt ergreift sie an diesem Tag das Wort, nach all den illustren Rednern – dem hessischen Landtagspräsidenten Kartmann, der rumänischen Vizepremierministerin und Umweltministerin Grațiela Gavrilescu, dem Aussiedlerbeauftragten der deutschen Bundesregierung Bernd Fabritius, den rumänischen Botschaftern in Berlin und in London, Emil Hurezeanu und Dan Mihalache, dem deutschen und dem amerikanischen Botschafter in Bukarest, Cord Meier-Klodt und Hans Klemm, den Initiatoren der Haferlandwoche, dem aus Deutsch-Kreuz stammenden Unternehmer Michael Schmidt (Automobile Bavaria Gruppe und MHS Truck & Bus) und Rockstar Peter Maffay, der in Radeln die Tabaluga-Stiftung betreibt.

Kulturelle Appetithäppchen

Nach dem Gottesdienst bezaubert der Kinderchor „Cantus Mundi“ des Kronstädter Nationalkollegs „Andrei Șaguna“ mit einer gelungenen Melange aus fröhlichen und schwermütigen Stücken – ein Highlight ist das mehrstimmig gesungene Klagelied von Maria Tanăse, „Cine iubește și lasă“ (Wer liebt und verlässt).

Die junge Erfolgsschriftstellerin Iris Wolff, deren Romane aus Siebenbürgen inspiriert sind, fesselt die Gäste mit einer Lesung aus ihrem jüngsten Roman: „So tun, als ob es regnet“.

Mit Sinnsprüchen befasst sich die Ausstellung „Rosturi și rostiri“ (Sinn und Sprüche) im Nebenraum zur Scheune unter dem Bering, erstellt vom ASTRA-Museum in Hermannstadt. Ob auf Schürzen, Tischdecken oder Tüchern, die gestickten Leitsätze spiegeln das Empfinden und Denken der einfachen Dorfleute wider. Ihre Werte: Fleiß, Häuslichkeit, Glauben, Familie und Gemeinschaft. Paneele erzählen von der Bedeutung festgelegter Formeln, die zur Taufe, bei der Konfirmation, zur Brautwerbung oder Beerdigung aufgesagt wurden. Im Kirchhof zeigen Stände Beispiele lokalen Handwerks, dem Motto der diesjährigen Haferlandwoche: bestickte Ledermäntel, bemalte Möbel, kleine Holzarbeiten.
Ehrengäste in der Scheune, von links nach rechts: ...
Ehrengäste in der Scheune, von links nach rechts: Rockmusiker Peter Maffay, Aussiedlerbeauftragter Dr. Bernd Fabritius, der deutsche Botschafter Cord Meier-Klodt, Hessens Landtagspräsident Norbert Kartmann, der US-amerikanische Botschafter in Bukarest, Hans Klemm.
Die besonderen akustischen Eigenschaften der Kirche bringt Starviolinist Alexandru Tomescu zur Geltung, der sich als früherer Gast der Haferlandwoche vorgenommen hat, die Stradivarius nach Deutsch-Kreuz zu bringen. Das Konzert „Bach to Basics“ endet mit Standing Ovations.

„Prinzip Haferland“ und andere Botschaften

Während in den übrigen Gemeinden, die an der Haferlandwoche teilnehmen – Arkeden, Radeln, Keisd, Hamruden, Reps, Meschendorf, Klosdorf, Bodendorf und Deutsch-Weißkirch – stets entspannte Gemütlichkeit vorherrscht, Freiwillige vor Kirchenburgen Hanklich verteilen oder Gulasch und Sarmale aus riesigen Töpfen... Während Pferdewägen Besucher auf holprigen Wegen durch die sanfte Hügellandschaft schunkeln, vorbei an blühenden Wiesen, Herden und schlammigen Büffellöchern... Während Biker im Sportdress über geschotterte Dorfsträßchen rattern und man hier und dort bei einem Bierchen mit alten Bekannten zusammen hockt, ist der Tag von Deutsch-Kreuz jenen bestimmt, die die übergeordnete Botschaft der Haferlandwoche ins Bewusstsein der Besucher bringen. Was also bleibt?

Vom „Prinzip Haferland“ schwärmt Botschafter Cord Meier-Klodt: „Hier ist das Dorf der Nabel der Welt. Hier lebt das Erfolgsprinzip des rumänischen Tourismus: nicht Bettenburgen, im Sommer übervoll, im Winter ausgestorben, sondern die individuelle Erfahrung gelebter Geschichte in überschaubarem Rahmen und naturverbunden.“ Was man von den Siebenbürger Sachsen lernen könne: „Auch bei Kontroversen zusammenfinden, das Interesse der Gemeinschaft im Blick. – Im Gegensatz zu ideologischer Erhöhung und Zuspitzung von Einzelinteressen...“, fügt er als Anspielung auf die politische Situation in Rumänien an.
Motor der Haferlandwoche ist der aus Deutsch ...
Motor der Haferlandwoche ist der aus Deutsch-Kreuz stammende Unternehmer Michael Schmidt.
Das dörfliche Kulturerbe steht auch in der Rede von US-Botschafter Hans Klemm im Mittelpunkt: An drei Kirchenburgen wurde mit amerikanischen Geldern restauriert, altes Handwerk wiederbelebt und lokalen Kräften vermittelt. Man fördert Ökotourismus, Landwirtschaft und nachhaltige Unternehmen.

Bernd Fabritius vergleicht die Haferlandwoche mit einem „Fenster, um einen Blick auf Tradition, Brauchtum, Handwerk, Geschichtsverständnis und die integrative Wirkung der Siebenbürger Sachsen in ihrem Umfeld in Rumänien zu werfen.“ Werte, die auch der deutschen Bundesregierung wichtig seien, betont er. „Deshalb fördert sie die deutsche Minderheit jährlich mit über 2,2 Millionen Euro.“ Doch staatliche Förderung könne Selbstverantwortung nie ersetzen, fährt der Beauftragte der Bundesregierung fort. „Erst Stiftungen, Vereine und Initiativen von Privatpersonen multiplizieren die staatliche Verantwortung.“ Den Dank der Bundesregierung übermittelt er daher auch an die Stiftungen von Michael Schmidt und Peter Maffay, die mit Infrastruktur- und Förderprojekten in Dörfern des Haferlands für die Minderheit der Roma Inklusionswirkung erzielten. An Vizepremierministerin Gavrilescu, zu deren Ressort-Aufgaben auch Familienpolitik zählt, richtet Fabritius die Worte: „Ich wünschte mir, Sie wären auch Ministerin für gesellschaftlichen Zusammenhalt – mit einem erweiterten Familienbegriff, der nationale Minderheiten und die Mehrheitsgesellschaft umfasst.“ Ähnlich hatte es Bischofsvikar Daniel Zikeli in seiner Predigt ausgedrückt: „Wir, unabhängig von Volkszugehörigkeit und Konfession, sind alle Teil des Familienbaums Gottes.“

Nina May

Schlagwörter: Haferland, Kulturwoche, Deutsch-Kreuz, Bernd Fabritius, Norbert Kartmann, Hurezeanu, Michael Schmidt Stiftung, Peter Maffay

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