20. Dezember 2025

Freikauf der Rumäniendeutschen: Europäische Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 erinnert an modernen Menschenhandel

„Juden, Deutsche und Öl sind unsere besten Exportgüter – Ware Mensch? Wie Rumäniendeutsche gegen Devisen freigekauft wurden.“ Unter diesem zynischen Zitat des Diktators Nicolae Ceaușescu hatte der Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis translation e.V. – Verein zur Förderung der Demokratie und Kultur Europas am 6. November zu einer Veranstaltung im früheren Hafttrakt B, den „Vogelkäfigen“, im Kaßberg-Gefängnis eingeladen. Sie ist offizieller Bestandteil des Programms „Chemnitz – Europäische Kulturhauptstadt 2025“.
Einladender Straßen-Hinweis auf den Gedenkort. ...
Einladender Straßen-Hinweis auf den Gedenkort. Fotos: Walter Schneider
Der Block B des Kaßberg-Gefängnisses war Umschlagsplatz des DDR-Menschenhandels und das „Tor zur Freiheit“. Hier wurde die „Ware Mensch“ einige Wochen aufgepäppelt, ehe die „Freigekauften“ mit heimlichen Bustransporten, den „Wunder-Bussen“, in die Freiheit gelangten. Der Menschenhandel brachte der SED-Diktatur ca. 3,5 Milliarden DM ein. „Der DDR-Anwalt makelte bis zur Wende beim Agentenaustausch, ebenso beim Freikauf von 33000 Häftlingen aus DDR-Knästen. Vogel half mehr als 225000 Bürgern legal in den Westen. (Der Spiegel, 15.01.1990)

Vom Kaiserreich bis zu seiner Auflösung diente das Gefängnis allen Systemen als Haftanstalt für Kriminelle und politisch Gefangene. Engagierte Chemnitzer gründeten im November 2011 den „Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis“ e.V., der sich mit der Unterstützung der Stiftung „Sächsische Gedenkstätten“ dafür einsetzte, an diesem historisch-authentischen Ort an das Leid all jener zu erinnern, die hier Unrecht erduldeten. Die Dokumentation umfasst die NS-Zeit über die sowjetische NKWD-Zeit bis in die DDR-Zeit und die Wende.

Die DDR war nicht das einzige Land des damaligen Ostblocks, aus dem die Bundesregierung Menschen gegen Warenlieferungen und Devisen freikaufte. Auch das kommunistische Rumänien unter dem Ceaușescu-Regime füllte seine klammen Kassen mit der menschenverachtenden Praxis des modernen Menschenhandels auf, indem es Juden und Deutsche – aber nicht nur – gegen Devisen auswandern ließ.

Das Projekt des Lern- und Gedenk­orts Kaßberg-Gefängnis e.V. in Chemnitz beleuchtet im Kultur-Hauptstadt-Jahr 2025 erstmals in Deutschland den Freikauf der deutschen Minderheit aus der Ceaușescu-Diktatur in einer Wanderausstellung. Durch Kooperation mit Partnerorganisationen wie dem Goethe-Institut Bukarest soll europaweit Aufmerksamkeit erweckt werden. Eine Ausstellungstour durch Rumänien ist für 2026 vorgesehen. Im Vorfeld hatten die Banater Post, Siebenbürgische Zeitung und Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien Aufrufe zur Gewährung von Interviews zum Thema Freikauf der Rumäniendeutschen veröffentlicht. Zeitzeugen meldeten sich zu Wort und berichteten über das Leben als deutsche Minderheit in der alten Heimat, über das Dilemma „gehen oder bleiben“, ihren Wunsch nach Freiheit, ihre ersten Eindrücke und Erfahrungen als Neuankömmlinge in der damaligen Bundesrepublik Deutschland, aber auch über ihr Gefühl von mangelnder Anerkennung als Deutsche bis hin zur gelungenen Integration und beruflichen Verwirklichung.
Gruppenfoto im Kaßberg-Gefängnis, von links: Dr. ...
Gruppenfoto im Kaßberg-Gefängnis, von links: Dr. Friedrich Maiterth, Dr. Bernd Fabritius, Dr. Heinke Fabritius, RA Cornel Hüsch, Alexander Dierks MdL, Brigitte Depner, Peter-Dietmar Leber. Foto: Der Verfasser
Der aus den Interviews entstandene Film „Freiheit als Ware“ – Stimmen von freigekauften Rumäniendeutschen mit Befragungen der Zeitzeugen Brigitte Depner, Dr. Friedrich Maiterth, Sofia Penteker, Walter Schneider und William Totok bildet den Grundstein der Sonderausstellung. Einspielungen daraus waren der wirkungsvolle „Schock-Einstieg“ in diese emotionale Veranstaltung, was unter den Zuschauern zuerst einmal stumme Betroffenheit und Sprachlosigkeit hervorrief, die jedoch anschließend von der gefühlvoll und souverän geführten Moderation von Dr. Heinke Fabritius, Kulturreferentin für Siebenbürgen, in den weiteren Verlauf übergeleitet wurde.

Bedauerlich, dass von den anwesenden Zeitzeugen nur Vertreter der Siebenbürger Sachsen zur Podiumsdiskussion eingeladen waren. Dennoch erfreulich, dass einigen Banater Schwaben der Weg in die Europäische Kulturhauptstadt 2025 nicht zu weit war. Chemnitz und die Veranstaltung haben die Besucher großzügig entlohnt.

Begrüßt wurden die zahlreichen Gäste durch Ingolf Notzke, Verwaltungsleiter des Lern- und Gedenkorts Kaßberg-Gefängnis e.V. Des Weiteren begrüßte der aus Siebenbürgen stammende Rechtsanwalt Dr. Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, im Namen der Bundesregierung die Anwesenden und dankte den Initiatoren für die Veranstaltung, die mit dem Freikauf von Angehörigen der deutschen Minderheit aus Rumänien ein vielschichtiges, aber wenig erforschtes Thema in den Fokus rückt. „Der Freikauf war die in seiner Wirkung ersehnte Möglichkeit, ein neues, selbstbestimmtes Leben in einem freien Land zu beginnen.“ Dr. Fabritius beteiligte sich auch an der anschließenden Podiumsdiskussion.

Der Sächsische Landtagspräsident und Vorstandsmitglied des Lern- und Gedenkorts Kaßberg, Alexander Dierks, MdL, berichtete über seine positiven, persönlichen Erfahrungen aus seiner Kindheit mit Spätaussiedler-Kindern.

Der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Peter-Dietmar Leber, hielt einen umfangreichen, gut dokumentierten Einführungsvortrag zur Geschichte des Freikaufs der Deutschen aus Rumänien. Darin unterstrich er u.a. die Verdienste von Rechtsanwalt Dr. Heinz-Günther Hüsch als Beauftragter der Bundesregierung in Sachen Freikauf. Dr. Hüsch wurde für seine Verdienste dafür 2014 in Ulm mit der Prinz-Eugen-Nadel, der höchsten Auszeichnung der Landsmannschaft der Banater Schwaben, und 2015 mit dem Donauschwäbischen Kulturpreis gewürdigt. „Ohne Dr. Hüsch wäre die Geschichte der Banater Schwaben, der Siebenbürger Sachsen und überhaupt der Rumäniendeutschen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anders verlaufen“, schrieb Ernst Meinhardt in einem Nachruf auf Hüsch in der Banater Post vom 22. November 2023. Des Weiteren würdigte Leber die Verdienste der Journalisten Ernst Meinhardt und Hannelore Baier für ihre Recherchen, Interviews und Veröffentlichungen zum Thema Freikauf.
Gesprächsteilnehmer in Chemnitz ...
Gesprächsteilnehmer in Chemnitz
Seit der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Rumänien im Jahre 1967 bis zum Fall des Ceaușescu-Regimes im Dezember 1989 gelangten ca. 225000 Rumäniendeutsche in die westliche Freiheit. Dass von deutscher Seite pro Kopf Auslösebeträge bezahlt wurden, war den deutschen Ausreisewilligen in Rumänien kaum bekannt, was auch in der anschließenden Podiumsdiskussion zum Ausdruck kam.

Am 4. Dezember 1989 kündigte Rumänien alle Vereinbarungen. Bereits am 29. Dezember wurden in Rumänien die Reisebeschränkungen aufgehoben. Innerhalb der nächsten sechs Monate kehrten 111150 Deutsche ihrer Heimat in Rumänien den Rücken. Von 1950 bis 2005 kamen 430101 Deutsche aus Rumänien als Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland. Die Zahl der in Rumänien lebenden Deutschen liegt gegenwärtig unter 30000 Personen.

Die Teilnehmer des Podiumsgesprächs kamen als Kind, Abiturient oder mit abgeschlossenem Studium nach Deutschland. Sie hatten demzufolge unterschiedliche Erfahrungen in Rumänien gesammelt. Besonders demütigend empfand Brigitte Depner, dass sie als Absolventin der Klausenburger Germanistik und Deutschlehrerin einen Deutschkurs belegen sollte. Dr. Bernd Fabritius erging es ähnlich. Er kam als Abiturient des Samuel von Brukenthal-Lyzeums in Hermannstadt mit seiner Familie 1984 in die Bundesrepublik. Gemeinsam mit anderen Abiturienten deutschsprachiger Elite-Lyzeen wie dem Nikolaus-Lenau-Lyzeum in Temeswar und dem Honterus-Lyzeum in Kronstadt mussten sie einen Deutschkurs besuchen. Auch seine Familie steckte in dem Dilemma „Gehen oder Bleiben“. Ihre Befürchtung, in Rumänien ihre Identität als Sachsen zu verlieren, und die Hoffnung, in Deutschland als solche weiterleben zu können, führte letztlich zur Ausreise. Doch über allem und für alle stand der brennende Wunsch nach Freiheit! Den aus dem Rumänischen entlehnten Begriff „Ware Mensch“ konnten die Redner nicht stehen lassen.

Der Freikauf war das Geschenk der Freiheit

Rechtsanwalt Cornel Hüsch begleitete seinen Vater zehn Jahre lang zu den Verhandlungen nach Bukarest. Er fungierte dabei auch als „Aufpasser“ auf seinen Vater, um ihn vor den Tricks der Securitate zu schützen. Er selbst hatte bei der Polizei sogar Schießübungen absolviert, Dr. Hüsch hatte in manchen Fällen auch eine Waffe getragen. Es kam darauf an, der rumänischen Seite gegenüber Stärke zu zeigen. Auch berichtete er von zufälligen Begegnungen mit Rumäniendeutschen in Rumänien und Deutschland.
„Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher ...
„Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod, als in Knechtschaft leben. …“ Foto: Veranstalter
Als der Verfasser seine Motivation zur Ausreise mit dem Rütlischwur aus Wilhelm Tell begründete, stimmte Cornel Hüsch mit ein und bekannte, dass dieser Schillertext in seiner Familie einen hohen Stellenwert besitze.

Im Anschluss an die offizielle Veranstaltung fanden weitere Gespräche mit dem Publikum statt. Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, Politiker und interessierte Chemnitzer Bürger setzten durch ihre Anwesenheit ein Zeichen gegen das Vergessen. Ein besonderer Dank gilt den Organisatoren für ihre Initiative, mit Zeitzeugen den Freikauf der Rumäniendeutschen in die Öffentlichkeit zu tragen.

Walter Schneider

Schlagwörter: Chemnitz, Erinnerung, Heinke Fabritius, Bernd Fabritius, Freikauf

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