12. Dezember 2024
Rumänien steht wieder vor der Wahl
Die politische Krise in Rumänien vertieft sich nach dem Beschluss des rumänischen Verfassungsgerichts, den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl wegen ausländischer Einmischung zu annullieren. Die Richter begründeten ihre Entscheidung in einer Pressemitteilung vom 6. Dezember um 15 Uhr mit Enthüllungen des rumänischen Geheimdienstes, wonach das Land Ziel eines „aggressiven russischen hybriden Angriffs“ geworden sei. Über die App TikTok sei der „rechtsextreme und russlandfreundliche Präsidentschaftskandidat Călin Georgescu mithilfe koordinierter Konten, Empfehlungsalgorithmen und bezahlter Werbung gefördert worden“, meldet "Die Zeit".

Wie die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien berichtet, kritisierten beide Kandidaten scharf die Entscheidung des Verfassungsgerichts (CCR), die Präsidentschaftswahlen aufgrund von Wahlbetrug für ungültig zu erklären. Laut Georgescu habe der Staat „die Demokratie mit Füßen getreten“. Lasconi sprach von einem „Angriff auf die Demokratie“. Beide Bewerber hätten sich laut ADZ u.a. beim gewählten US-Präsidenten Donald Trump beschwert. „Der Sieger im ersten Wahlgang wolle zurücktreten, wenn die Trump-Regierung eine Untersuchung veranlasst und die Vorwürfe gegen ihn sich bestätigen werden. Seine Gegnerin äußerte in einer offenen Mitteilung an Trump auf X den Wunsch, ihn zu treffen. Er solle so sehen, dass sie nicht die ,Kandidatin von Soros‘, sondern ,aller freiheitsliebenden Rumänen‘ sei – Donald Trumps Sohn beschrieb das CCR-Urteil als ,Versuch von Soros und Marxisten, das Wahlergebnis zu fälschen und den Volkswillen abzulehnen‘“, so die ADZ.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts spaltet die Politik. USR-Vize Dominic Fritz habe sie begrüßt, ebenso Premierminister und PSD-Chef Marcel Ciolacu und der Interims-Vorsitzende der Nationalliberalen Partei, Ilie Bolojan. Viele zeigten sich erleichtert, dass die Gefahr vorerst gebannt sei, dass ein rechtsextremer, prorussischer Bewerber Staatsoberhaupt hätte werden können. Mehrere NATO-Partner Rumäniens, darunter die USA, Frankreich und Italien, zeigten sich über eine mögliche Einmischung Russlands in den Wahlprozess besorgt, während Polen befand, dass „die Demokratie gesiegt habe“.
Schon am Tag darauf führte die rumänische Polizei Razzien durch und durchsuchte mehrere Häuser in Kronstadt wegen des Verdachts auf Wählerbestechung und Geldwäsche. Der Verdacht der „illegalen Finanzierung der Wahlkampagne eines Kandidaten für das Amt des rumänischen Staatspräsidenten“ hat sich bisher nicht erhärtet.
„Zu späte Notbremse“, kommentierte Niklas Zimmermann in der FAZ. „Die Gerichtsentscheidung trocknet den Boden nicht aus, auf den die mutmaßlich russisch unterstützte Kampagne des Rechtsradikalen Călin Georgescu fiel. Eine fragwürdige Rolle spielte Noch-Präsident Klaus Johannis.“ Georgescus Überraschungserfolg beruhte nicht allein auf Manipulation über TikTok, „seine Popularität, besonders in der Diaspora, speiste sich aus realer Enttäuschung. Prekäre Lebensumstände, Korruption und die Frustration über Politiker, die seit Jahren nur Stillstand bieten, haben die Wähler radikalisiert. Georgescu traf einen Nerv – durch einen kalkuliert sanften Tonfall, der ihn wie einen Erlöser erscheinen ließ“, so die FAZ. Rumänien brauche „mehr als ein Gerichtsurteil“, es brauche „eine Politik, die glaubwürdig Reformen angeht“.
Keno Verseck schreibt für die Deutsche Welle: „Die Entscheidung der Verfassungsgerichts hat den Beigeschmack parteipolitischer Einflussnahme und verschärft die tiefe politische Krise in Rumänien“. Und: „Mit der Entscheidung erreicht die politische Krise der vergangenen Wochen einen neuen Höhepunkt – mit bislang noch kaum absehbaren Folgen.“ Am 4. Dezember hatte Staatspräsident Klaus Johannis Geheimdienstdokumente über die ausländische Wahlbeeinflussung freigegeben, „allerdings teils nur in sehr vager Form“, berichtet die Deutsche Welle.
Präsident Klaus Johannis, dessen Amtszeit am 21. Dezember enden sollte, erklärte nach dem Beschluss des Verfassungsgerichtes am 6. Dezember, dass er im Amt bleiben werde, bis ein Nachfolger gewählt wird. Johannis kommt demnach die Rolle zu, die neue Regierung im Amt zu bestätigen, während die Exekutive einen neuen Fahrplan für die Präsidentschaftswahlen festlegen wird. Ob Călin Georgescu zur Wahl zugelassen wird, steht noch offen.
Bei den Parlamentswahlen am 1. Dezember erzielten die proeuropäischen Parteien PSD, PNL, USR und der Ungarnverband UDMR eine Mehrheit im rumänischen Parlament (siehe separater Artikel in der SbZ Online). Die vier Parteien und die Vertreter der anderen ethnischen Minderheiten vereinbarten am 4. Dezember die Bildung einer Regierungskoalition und konkrete Maßnahmen zur Modernisierung. „Die Parteien verbürgen sich für wirtschaftliche Entwicklung und Reformen sowie für den Beitritt zum Schengen-Raum und der OECD“, meldet die ADZ. Am 10. Dezember bekräftigten die vier Parteien und Minderheitenvertreter ihren Entschluss, eine Regierungskoalition zu bilden und einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl zu unterstützen.
Siegbert Bruss
Schlagwörter: Präsidentschaftswahlen, Parlamentswahlen
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