20. Februar 2008

Vergangenheitsbewältigung in Rumänien ausgebremst

Das rumänische Verfassungsgericht (CC) hat am 31. Januar 2008 einer Klage des ehemaligen Vorsitzenden der Konservativen Partei (PC), Dan Voiculescu, stattgegeben und das Gesetz über die Befugnisse des Nationalen Rates zur Untersuchung der Archive der Securitate (CNSAS) als verfassungswidrig befunden. Die Landesbehörde wird damit de facto aufgelöst und die Entlarvung der ehemaligen Securitate-Mitarbeiter zunächst auf Eis gelegt. Die rumänische Regierung reagierte am 6. Februar mit einem Dringlichkeitserlass, wonach der CNSAS lediglich die Securitate-Akten archivieren, prüfen und eine „Feststellung“ zur Tätigkeit einer Person in der politischen Polizei ausfolgen darf. Ein Bescheid könne nur von einem Gericht erteilt werden.
Die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit treibt in Rumänien weiterhin merkwürdige Blüten. Das Verfassungsgericht in Bukarest erklärte die Bestimmungen des Gesetzes 187/1999 betreffend den Zugang zu der eigenen Akte und die Enttarnung der kommunistischen politischen Polizei sowie jene der Artikel I und V des Regierungserlasses Nr. 16/2006 als verfassungswidrig. Somit wurde der CNSAS-Behörde praktisch ihre Funktionsfähigkeit entzogen. Wenn das Parlament nicht innerhalb von 45 Tagen das Gesetz ändert, tritt eine automatische Selbstauflösung des Rates in Kraft.

Dan Voiculescu, Sonderbotschafter für Auslandsdevisen in der Ceaușescu-Zeit, gelangte nach der Wende durch vielseitige Geschäftstätigkeiten zu großem Wohlstand. Der ehemalige Chef und derzeitige Ehrenvorsitzende der Konservativen Partei (Partidul Conservator) ist Inhaber eines Medienimperiums (mit mehrere Fernsehgesellschaften), Geschäftsmann und Multimillionär. Untersuchungen der CNSAS hatten ergeben, dass er unter dem Decknamen „Felix” jahrelang als informeller Mitarbeiter der Securitate gearbeitet hatte.

Voiculescu betrieb die Klage gegen diesen Bescheid beim rumänischen Verfassungsgericht durch seinen Rechtsanwalt Sergiu Andon, Abgeordneter der PC. Dieser argumentierte, die Landesbehörde CNSAS arbeite wie ein Sondergericht und sei nicht unabhängig, da sie vom Parlament gewählt werde (je ein Vertreter der im Parlament vertretenen Parteien gehören dem CNSAS an). Zudem seien Voiculescu und seiner Familie durch die Bekanntmachung seiner angeblichen Geheimdiensttätigkeit erhebliche Nachteile entstanden und damit das Persönlichkeitsrecht verletzt worden.

Kritik am Verfassungsgericht

Das Urteil des Verfassungsgerichtes wurde von zahlreichen Persönlichkeiten des kulturellen und politischen Lebens in Rumänien heftig kritisiert. Senator Constantin Ticu Dumitrescu, der das Gesetz über die Aufarbeitung der Securitate-Akten nach dem Beispiel der Bundesstelle für die Aufarbeitung der Tätigkeiten des Staatssicherheitsdienstes in Berlin (der „Gauck“-Behörde) entworfen und sich intensiv für die Schaffung der CNSAS-Behörde eingesetzt hatte, wies auf die Befangenheit des Nationalen Rates für das Studium der Archive der Securitate hin, deren Mitglieder gerade wegen möglicher früherer Geheimdiensttätigkeit überprüft wurden. Aufsehen erregt hatte die Behörde in letzter Zeit auch durch die Überprüfung mehrerer Politiker, Kirchenmänner, Journalisten und anderer bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Rumänien.

Der Schriftsteller Mircea Dinescu, Mitglied der CNSAS, rief die Vertreter der Zivilgesellschaft zu öffentlichen Demonstrationen auf. Der Appell wurde von vielen angesehenen Persönlichkeiten befolgt. Sie forderten in Bukarest ein neues Gesetz, um die Behörde wieder funktionsfähig zu machen mit dem Ziel einer gründlichen Aufklärung der kommunistischen Vergangenheit. Dinescu, der sich schon des Öfteren als Kritiker anderer Personen des öffentlichen Lebens hervorgetan hatte, hatte erst kürzlich seinen Berufskollegen Cezar Ivănescu beschuldigt, geheimdienstlich tätig gewesen zu sein. Ivănescu trat daraufhin beim Sitz des Schriftstellerverbandes in Bukarest, in Anwesenheit des Leiters, Nicolae Manolescu, in Hungerstreik. Er warf Dinescu vor, seine Mitgliedschaft im CNSAS für persönliche Racheakte missbraucht zu haben.

Lidia Bărbulescu, die Präsidentin des Obersten Richterrates (CSM) und eine der bekanntesten Vertreterinnen der alten Garde rumänischer Richter, sagte, dass alle bisherigen Rechtsakte des CNSAS nunmehr ungültig seien.

Nach dem Dringlichkeitserlass der rumänischen Regierung liegt es nun am rumänischen Parlament, das Gesetz 187/1999 innerhalb von 45 Tagen verfassungskonform zu novellieren.

Die CNSAS-Krise ereignete sich kurz vor Veröffentlichung des Berichts der EU-Kommission über das Neumitglied Rumänien. Trotz umfangreicher finanzieller und administrativer Unterstützung durch die Europäische Union habe Rumänien seit seinem Beitritt am 1. Januar 2007 kaum greifbare Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption gemacht, stellte die Brüsseler Kommission fest.

Jeder Bürger Rumäniens sowie ehemalige Staatsbürger des Landes, die ausgesiedelt sind oder im Ausland leben, kann die Herausgabe seiner Geheimdienstakte bei der CNSAS beantragen. Die Behörde verpflichtet sich dabei, dem Antragsteller innerhalb einer angemessenen Zeit zu antworten. Mehr Infos unter www.cnsas.ro.

Katharina Kilzer

Schlagwörter: Securitate, Kommunismus, Politik, Vergangenheitsbewältigung

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