24. Juli 2008

Claus Stephani: "Dem Schicksal aus der Hand"

Zum 70. Geburtstag des Schriftstellers, Ethnologen und Kunsthistorikers Dr. Claus Stephani. Es ist nicht einfach, eine Würdigung zu schrei­ben über einen Autor, der publizistisch und wissenschaftlich in so verschiedenen Bereichen tätig war und es immer noch ist – und das seit über vierzig Jahren.
Am 25. Juli 1938 in Kronstadt geboren, debütiere Claus Stephani 1957/58 mit Kulturrepor­tagen und kunstkritischen Aufsätzen in der dortigen Volkszeitung. Er war damals Arbeiter auf einer Baustelle und Schüler des Abendgymna­siums. Im Herbst 1960 ging er nach Bukarest, um dort Germanistik und Rumänistik zu studieren, wonach er zuerst als Kurator am Kunstmu­seum „Simu“ und von Januar 1967 bis zu seiner Aussiedlung, im April 1990, als Redakteur und zuletzt als Stellvertretender Chefredakteur der Neuen Literatur tätig war.

Der Schriftsteller, Ethnologe und Kunsthistoriker ...
Der Schriftsteller, Ethnologe und Kunsthistoriker Dr. Claus Stephani wird heute 70. Foto: Jens Jansen
Im Jahr 1968 erschien Claus Stephanis erster Lyrikband „Frage der Concha“, und 1975 veröffentlichte er zum erstenmal eine umfangreiche Sammlung von Oral-History-Aufzeichnungen („Erfragte Wege. Zipser Texte aus der Südbuko­wina“), die ihn auch in ausländischen Fachkrei­sen bekannt machten. So wurde Stephani 1983, als erster und einziger Osteuropäer, in die damals elitäre, auf 15 Mitglieder begrenzte „Kommission für ostdeutsche Volkskunde“ (in der DGV e.V.), Kiel, berufen; und sein Sagen- und Märchenband „Zipser Volkserzählungen aus Nordrumänien“, der gerade im bekannten Mar­burger N.G. Elwert Verlag erschienen war, wur­de im festlichen Rahmen im Volkskundemuse­um Berlin-Dahlem vorgestellt. Es war sein 10. volkskundliches Buch, denn bis dahin hatte er bereits eine Reihe von eigenen Sammlungen mit deutschen Volkserzählungen, Märchen, Sagen und Ortsgeschichten veröffentlicht, die er in der Maramuresch, der Südbukowina, im Burzen­land sowie im Nösnerland und dem Zekescher Gebiet aufzeichnen konnte. In den Jahrzehnten danach folgte noch eine Reihe von anderen Le­bensberichten und Volkstexten, darunter sathmarschwäbische und ostjüdische Märchen.

So erschienen in der bekannten Reihe „Die Märchen der Weltliteratur“ des traditionsreichen Eugen Diederichs Verlags, München, sowie in der Sagen-Folge seine Bücher „Märchen der Ru­mäniendeutschen“, „Sagen der Rumäniendeut­schen“ und „Ostjüdische Märchen“. Es war das erste Mal, dass Märchen und Sagen von rumäniendeutschen Bevölkerungsgruppen in einer internationalen Buchreihe veröffentlicht wurden. Der letztere Band kam auch in zwei italienischen Ausgaben (als „Fiabe e leggende ebraiche“, in Rom und Mailand) sowie in einer rumänischen Fassung in Bukarest heraus.

Von den zahlreichen kunsthistorischen Veröf­fentlichungen Stephanis sei hier auf die reich illustrierten Bände „Kostbarkeiten siebenbürgischer Töpferkunst“ (1998) und „Das Bild des Juden in der modernen Malerei“ (2005) hingewiesen. Claus Stephani gehört zu den ersten europäischen Volkskundlern, die zu Beginn der 1970er Jahre nach der wissenschaftlichen Methode von Oral History gearbeitet haben. Er führte Erinnerungsgespräche mit Zipsern, Sie­benbürger Sachsen, Sathmarschwaben und Ostjuden, zeichnete sie auf und brachte sie in Buchform heraus. Darunter die Bände „Wie das Wiesengras im Wind“ (1986), „Frauen im Was­sertal“ (1990), „Niemandmensch“ (1992), „War einer Hersch, Fuhrmann ... Leben und Leiden der Juden in Oberwischau“ (1991, 2005 auch rumänisch unter dem Titel „A fost un ștetl în Carpați“), „Sathmarschwäbische Lebensge­schichten“ (1993) u.a.

Neben diesen und anderen Büchern sowie zahlreichen volkskundlichen Studien stehen Ste­phanis schriftstellerische Arbeiten, die wohl weniger umfangreich sind, doch ebenfalls einen zentralen Platz in der rumäniendeutschen Lite­ratur haben, so z.B. der Lyrikband „Ruf ins offene Land“ (1975, mit dem Lyrikpreis des Rumäni­schen Schriftstellerverbandes ausgezeichnet), oder der Kurzroman „Manchmal im Ostwind“ (1977). Der bisher letzte Prosaband Stephanis, „Stunde der Wahrheit“ (2007) vereint satirische Kurzgeschichten, die sich mit Erinnerungen und Erfahrungen eines Aussiedlers kritisch und humorvoll auseinandersetzen.

24 Jahre als Redakteur bei der "Neuen Literatur"

Als Redakteur der Zeitschrift Neue Literatur, wo er 24 Jahre lang gewirkt hat, gestaltete Ste­phani das Profil dieser Publikation maßgeblich mit und betreute einige wichtige Rubriken, wie „Manuscriptum“ (in über 100 Folgen), „Junge Autoren“, „Kleine Bücherschau“. Stephani war aber auch der Initiator, Begründer und Leiter des Bukarester deutschen Literaturkreises, den er am 20. Oktober 1966 eröffnen konnte. Die erste Sitzung sowie alle folgenden Zusammen­künfte, 1966-1970, fanden im Schriftstellerhaus „Mihai Sadoveanu“ statt, wobei immer wieder bekannte aber auch junge Autoren aus der Provinz zu Lesungen eingeladen wurden.

Im Herbst 1971 gründete er, zusammen mit den Lyrikern Rolf F. Marmont und Gerhard Eike den Bukarester deutschen Poesie-Club, der regelmäßig im Schillerhaus zusammenkam und sogar eine eigene Publikation, Novum, herausbrachte, „die allerdings schon nach zwei Heften verboten wurde.“ Im Rahmen des Kulturhauses „Friedrich Schiller“ leitete Stephani, der seit 1968 zum Kuratorium gehörte, nicht nur den Poesie-Club sondern auch die deutsche Abtei­lung der Bukarester Volksuniversität und den Deutschen Volkskundekreis, den er 1975 zusam­men mit Roswith Capesius gegründet hatte.

Trotz seiner vielseitigen kulturellen Tätigkeit war es ihm versagt, in Rumänien zu promovieren, obwohl er im wissenschaftlichen Bereich längst alle Voraussetzungen erfüllte und 1974-1978 im Fernkurs noch ein Journalistik-Stu­dium beendet hatte. In Kronstadt war er 1952 als sogenannter „Ausbeutersohn“ wegen der damaligen „sozialen Auslese“ nicht an das Tagesgymnasium zugelassen worden und musste sich 15-jährig als Arbeiter anstellen lassen, um dann das Abendgymnasium besuchen zu dürfen. Nun, in den endsiebziger Jahren folgte eine weitere soziale Diskriminierung, die damit begründet wurde, dass seine Eltern und sein Bruder im westlichen Ausland lebten. Erst nach seiner Aussiedlung, 1990, nachdem Stephani an der Ludwig-Maximilians-Universität in München – „sozusagen nebenberuflich, denn tagsüber war ich als wissenschaftlicher Ange­stellter und Forscher im musealen Bereich, am Bayerischen Nationalmuseum und später in Schloss Schleißheim tätig“ – als Hauptfach Eu­ropäische Ethnologie studiert hatte, konnte er 1995 mit einer Arbeit zur vergleichenden Erzählforschung promovieren. Sein Doktorvater war der renommierte Ethnologe und Kulturwis­senschaftler Prof. Helge Gerndt. „Damals begann meine eigentliche Ankunft in Deutschland und für mich ein neuer Lebensabschnitt. Ich hatte hier etwas erreicht, was in Rumänien nicht möglich gewesen war.“ Nachdem er in München lebte, veranstaltete er als Kunstfreund auch eine Reihe von Ausstellungen, so in Graz, Wien, München, Augsburg, Ebersberg, Grafing und Affaltrach, wo er Werke von Künstlern der siebenbürgischen Avantgarde, rituelle Objekte des Judentums sowie seltenes altes Blechspielzeug aus seinen Sammlungen zeigte.

Als wir den Jubiliar, der vor kurzem 70 wur­de, beglückwünschten und fragten, was er sich für die nächsten Jahre wünschen würde, antwortete er in seiner ironischen Art, dass für ihn das wichtiger wäre, was er sich nicht wünschen möchte. Das, was nämlich nicht in Erfüllung gehen sollte: „Denn manche Wünsche kann man sich vielleicht noch irgendwie selbst erfüllen. Als Schreibender gibt man sich immer wieder seltsamen Illusionen hin. Doch eigentlich frisst man nur dem Schicksal aus der Hand.“

Hermann Meltzl

Schlagwörter: Kultur, Volkskunde

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