1. September 2008

120 Jahre Textilschule in Heltau

Es war am 3. Juni 1888, als in der damals ca. 2500 Seelen zählenden Gemeinde Heltau, dreißig Jugendliche ins große Eckhaus Steingasse/Pfaffengasse Nr. 567, vis-à-vis der Seidenfabrik, gingen, um in einer neu eröffneten Schule die Geheimnisse und nötigen Kenntnisse im dort schon heimischen Wollweberhandwerk zu erlernen. Einen all zu großen Beitrag zur Weiterentwicklung dieses Gewerbes konnte diese Lehranstalt nicht leisten, da es ein sehr bescheidener Anfang war.
Die von der Heltauer Wollwebergenossenschaft gegründete und finanzierte Webschule hatte drei Räume zur Verfügung, in denen sowohl der theoretische wie auch praktische Unterricht stattfand. Für diesen hatte die einzige Lehrkraft der Schule, der Webfachlehrer Rudolf Stosius, eine Hutsche (zum Reißen und Öffnen der Wol­le), einen Handkrempel, eine Handspinn­maschi­ne sowie fünf Handwebstühle zur Verfügung. Es war die erste Web- oder Textilschule im König­reich Ungarn und die zweite auf dem Gebiet der k.u.k.-Monarchie Österreich-Ungarn.
Das Textilstädtchen Heltau, Anfang der neunziger ...
Das Textilstädtchen Heltau, Anfang der neunziger Jahre. Foto: Erich Simonis
Werfen wir einen Blick auf die Bedingungen und Gründe, die zur Eröffnung dieser Schule führten. Im 14., 15. und auch 16. Jahrhundert blühte im alten Heltau das Gewerbe der Sichel­schmiede. Strenge Satzungen, die von allen Meistern anerkannt und befolgt wurden, werden 1466 erstmals urkundlich erwähnt. Im 17. und 18. Jahrhundert ging die Zahl der Meister immer mehr zurück. 1798 starb mit Johann Frühn der letzte Sichelschmiedmeister in Hel­tau. Zur selben Zeit aber kam das Gewerbe der Wollweber oder Tuchmacher immer stärker auf. Eine Urkunde aus dem Jahr 1513 legt die Zunft­gesetze der Heltauer Wollweber in 22 Artikeln nieder. Auch hier sorgten genaue Vorschriften für die Ausbildung der Lehrlinge, die Qualität der Tuche, Menge der hergestellten Ware, für Preis u.a.m. Wie aus verschiedenen Publikatio­nen und Dokumenten ersichtlich ist, besaßen unsere Vorfahren schon bei der Ansiedlung verschiedene Werkzeuge und Arbeitsgeräte, um diese Berufe ausüben zu können.

Obwohl Heltau führend war hinsichtllich der Anzahl der Meister, gab es das Gewerbe der Wollweber oder Tuchmacher auch in anderen Ortschaften, wie aus einer Statistik aus dem Jahr 1733 ersichtlich ist (Hermannstadt 45 Meis­ter, Heltau 200 und Kronstadt 16 Meister). In diesen beiden Städten gab es, wie übrigens auch in anderen Ortschaften, noch mehrere andere Zünfte, was in Heltau nicht der Fall war. Sehr verbreitet war z. B. die Leinenweberzunft, ins­besondere in Schäßburg und Zeiden.

1872 wurden alle Zünfte auf dem Territorium des damaligen Ungarn aufgelöst, so auch die der Heltauer Wollweberzunft. Doch dieses Gewerbe entwickelte sich weiter. In jener Zeit gab es fast in jedem Haus einen oder mehrere Handweb­stühle, auf denen man ein grobes, schweres Tuch („Penura“) oder ein feineres, sogenanntes „Halli­na“-Tuch erzeugte. Es kam zur Gründung neuer Gewerbekörperschaften, der Wollwebergenos­senschaft. Nachdem aber 1896 das neue Was­serkraftwerk Zoodt den ersten Strom auch nach Heltau lieferte und im selben Jahr auch die Ei­senbahnlinie Hermannstadt-Heltau fertiggestellt wurde, kam es auch in Heltau zum Übergang von der Hausindustrie zum fabriksmäßigen Be­trieb. Schon früher fand dies in Kronstadt statt, wo der von Michael Scherg 1823 gegründete Handwerksbetrieb 1865 modernisiert und mit sechs mechanischen Webstühlen ausgestattet wurde. Bei Tellmann & Co kam diese Moderni­sierung etwas später. „Partizanul Roșu“ und „Drapelul Roșu“ hießen diese Betriebe nach der Nationalisierung. Aber auch in Schäßburg (Zim­mermann, Löw), in Mediasch und andernorts entstanden Textilbetriebe.

Die alte, 1888 gegründete Webschule wurde all diesen neuen Entwicklungen und Anfor­de­rungen nicht mehr gerecht. Nach zähen Ver­handlungen zwischen der Wollwebergenossen­schaft und dem ungarischen Staat kam es schließlich zum Bau einer neuen Schule in der Bahngasse, die 1907 den Schulbetrieb aufnahm. Mit neuen, mechanischen Spinnerei-, Weberei- und Appreturmaschinen ausgestattet, zählte die­se Schule zu einem der modernsten Volltuchbe­triebe Heltaus. Unterrichtssprache war Deutsch und Ungarisch, Unterrichtsdauer drei Jahre (1. Jahr: Spinnerei, 2. Jahr: Weberei, 3. Jahr: Ap­pretur). Während des Ersten Weltkriegs wurde die Schule geschlossen und dann 1918, nach der Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien, vom Staat übernommen. Unterrichtssprache war nun Rumänisch, indes nun vier Jahre bis zum Abschluss nötig waren. Nach 1945, aber besonders dann nach der Schulreform 1948 er­leben wir auch an dieser Schule viele Verände­rungen und Umwand­lungen: zuerst Berufs- und 4-jährige Textilmittelschule. Letztere wurde 1954 aufgelöst, aber schon 1955 begannen die Kurse an der Meisterschule und nach ein paar Jahren kam noch das Textil-Lyzeum (Tages- und Abendkurse) dazu. Als die Schule 1988 ihr 100-jähriges Jubiläum feierte, besuchten 1 788 Schüler diese Lehranstalt.

Die in Europa und der Bundesrepublik schon seit längerer Zeit akute Krise in der Textilindus­trie machte sich nach 1990 auch in Rumänien deutlich bemerkbar. Die Zahl der Schüler sank rasch, da traditionelle Fächer der Textilindus­trie, wie Spinnerei, Weberei und Appretur gar nicht mehr im Lehrplan vorkamen und durch andere Fächer ersetzt wurden. So besuchten in diesem abgelaufenen Schuljahr ca. 450 Schüler diese alte, traditionsreiche Schule. Der gegenwärtige Direktor Prof. C. Vulcu und sein Kollek­tiv möchten im Juni dieses Jahres in festlichem Rahmen an die 120-jährige Ge­schichte dieser Anstalt erinnern.

Erich Simonis

Schlagwörter: Schulgeschichte, Heltau

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  • 02.09.2008, 14:21 Uhr von Wittl: "Aber auch in Schäßburg, in Mediasch und andernorts entstanden Textilbetriebe".... Die Woll ... [weiter]
  • 01.09.2008, 13:53 Uhr von Karl: Ein sehr interessanter und qualifizierter Beitrag. Wie kann ich Hr. Simonis kontaktieren? Ich bin ... [weiter]

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