16. Mai 2016

Bernd Fabritius: "Wir gehören dazu!"

Es ist eine absolute Premiere für Deutschland, dass der Ministerpräsident eines Herkunftslandes bei einem Heimattag der deutschen Heimatvertriebenen und Aussiedler spricht. Dies betonte Dr. Bernd Fabritius, MdB, Verbandspräsident des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., in seiner Festrede am 15. Mai beim Heimattag in Dinkelsbühl. Der 66. Heimattag stand unter dem Motto "Ich gehör dazu! Du auch?". Bei kaltem Pfingstwetter wurden rund 20.000 Besucher, darunter 3.000 Trachtenträger verzeichnet. Fabritius begrüßte bei der Festkundgebung vor der Schranne den rumänischen Ministerpräsidenten Dacian Ciolos mit einer hochrangigen Delegation. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe kürzlich die Einladung zur BdV-Jahresversammlung angenommen. Dass nun Kanzleramtschef Peter Altmaier zum Heimattag gekommen sei, zeige, „dass wir Siebenbürger Sachsen gut angekommen sind und dass das Motto stimmt: Wir gehören dazu!“ In seiner Festansprache warb Bernd Fabritius für eine starke Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen. Der Bundesregierung dankte er für die neue Kulturkonzeption und die Entschädigung der deutschen Zwangsarbeiter. Er forderte Empathie für die Opfer der heutigen Flucht und Vertreibung, legte aber auch Wert auf eine klare Differenzierung zwischen Siebenbürger Sachsen und Migranten. Von Rumänien forderte Bernd Fabritius eine gerechte Eigentumsrückgabe, würdigte aber auch den Einsatz des Landes für deutschsprachige Schulen und rief dazu auf, das Potenzial der Kirchenburgen stärker zu nutzen. Die Festrede wird im Folgenden im Wortlaut wiedergegeben.
Liebe Landsleute, herzlich willkommen zum Heimattag der Siebenbürger Sachsen. Ich wünsche Ihnen frohe Pfingsten! Wir alle sind auch dieses Jahr nach Dinkelsbühl gekommen, weil wir dazugehören. „Ich gehör dazu! Du auch?“ lautet das Motto unseres Heimatages – und manch einer wird sich gefragt haben, wozu genau er gehören soll? Ich nehme die Antwort vorweg: zu uns, zu den Siebenbürger Sachsen oder zumindest zu unseren guten Freunden und Förderern. Das Motto des Heimattages 2016 ist mehr als ein Ausrufe- und ein Fragesatz:
  • es ist ein Bekenntnis zu unserer Gemeinschaft
  • es ist ein Appell an das Selbstverständnis unserer Landsleute, an ihre ganz besondere kulturelle Identität,
  • und es ist nicht zuletzt ein Aufruf, eine Einladung, unserer Gemeinschaft, unseren Verband durch Teilnahme zu unterstützen. Unser Verband ist letztlich Ausdruck dieser Gemeinschaft.
Der Verband der Siebenbürger Sachsen hat das Motto mit Bedacht gewählt. Es ist eine Einladung, eine Ermunterung, die wir gerade in der heutigen Zeit viel öfters aussprechen sollten.

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Es ist der identitätsstiftende Slogan unserer Jugendorganisation, der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland, der SJD, die in diesem Jahr ihr 30-jähriges Bestehen feiert. Ihr, die junge Generation, prägt unser Erscheinungsbild, ihr habt auch heute im Trachtenumzug wieder ein so ermutigendes Bild abgegeben, dass einem um unsere Zukunft nicht bange sein muss. Wir sind stolz auf euch, danke, dass ihr da seid. Ihr macht mit, ihr fordert uns heraus und ihr mischt euch ein. Genau so soll es sein!

Das Motto ist andererseits auch ein Weckruf an all die Siebenbürger Sachsen, die unserem Verband noch nicht beigetreten sind, sondern am Rande stehen, vielleicht interessiert zugucken und zunehmend feststellen: ja, es hat etwas, Siebenbürger Sachse zu sein, hier finde ich mich wieder! Seien Sie bekennender, aktiver Teil unserer Gemeinschaft, unterstützen Sie den Verband durch Ihre Energie, Ihr Engagement und Ihre Mitgliedschaft!

Wir können nur deshalb jedes Jahr in diesem großen, feierlichen Rahmen hier in Dinkelsbühl zusammenkommen, weil unser Verband den Heimattag organisiert. Das kann er, weil er die einzige repräsentative, legitimierte und politisch anerkannte Interessenvertretung der Gesamtheit der Siebenbürger Sachsen in Deutschland ist.
Verbandspräsident Dr. Bernd Fabritius während ...
Verbandspräsident Dr. Bernd Fabritius während seiner Festansprache beim Heimattag am 15. Mai 2016 in Dinkelsbühl. Foto: Petra Reiner
Unser Verband ist darüber hinaus in der Summe seiner Mitglieder ein Mittler zwischen Deutschland und Rumänien, sowohl gesellschaftlich als auch politisch. Zusammen mit der SJD, dem Sozialwerk, dem Hilfskomitee, den Mitgliedsverbänden unserer weltweiten Föderation in Siebenbürgen, Österreich, den USA und Kanada, den Heimatortgemeinschaften und vielen weiteren Gliederungen sind wir die geborenen Brückenbauer für die Verständigung und das partnerschaftliche Miteinander im geeinten Europa. Unsere Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, hat das wie folgt formuliert: „Den Vertriebenen, ihren Familien und Verbänden kommt seit jeher eine Schlüsselrolle im europäischen Dialog zu. Ihre guten Kontakte, ihre Verbundenheit zur Heimat und ihr Interesse an den dortigen Entwicklungen machen sie zu Brückenbauern in einem Europa, das letztlich nur so stark ist, wie es auch einig ist. Genau daran lässt sich ermessen, wie wertvoll in und für Europa das vertrauensbildende Wirken der Vertriebenen und ihrer Organisationen ist.“ Die Kanzlerin hat uns eine besondere Erfahrung attestiert, die sich gerade aus unserer kollektiven Biografie ergibt, in der so schreckliche Momente enthalten sind, wie etwa die Verschleppung zur Zwangsarbeit und das Erlebnis des Heimatverlustes nach dem Zweiten Weltkrieg: Deshalb bittet uns die Kanzlerin: „Seien Sie eine deutliche Stimme in den täglichen Diskussionen.“

Das sind wir gerne – und fordern einerseits Empathie mit heutigen Opfern von Flucht und Vertreibung, wir fordern aber auch eine klare Differenzierung zwischen diesen und Menschen, die sich z.B. einfach ein wohlhabenderes Lebensumfeld suchen. Dies sind individuelle Entscheidungen, für die man Verständnis haben kann, die aber anders sind. Sie erfordern eine Differenzierung zwischen uns und Migranten.

Wir müssen aber realistisch bleiben. Nur ein starker Verband kann auch weiterhin einfordern, was uns wichtig ist! Er kann einfordern, dass der rumänische Staat seinen moralischen und gesetzlichen Pflichten nachkommt; sei es
  • bei gerechter Restitution und Entschädigung von rechtswidrig enteignetem Vermögen unter den Kommunisten, ein trauriges Kapitel, das trotz guter Ansätze durch Administrativversagen im Kleinen und im Großen noch im Argen liegt und bei dem gerade die nicht mehr in Rumänien lebenden Betroffenen z. B. durch zu kurze Fristen systematisch benachteiligt wurden. Hier fordern wir das Einräumen einer angemessenen Antragsfrist, damit jeder, der nicht mehr in Rumänien lebt, sein legitimes Recht trotzdem geltend machen kann, und wir fordern eine zügige Erledigung der seit Jahren nicht bearbeiteten Anträge.
Genauso wichtig sind uns der Erhalt und die Fortführung des deutschsprachigen Schulwesens in Rumänien. Hier leistet Rumänien bereits Vorbildliches, auch das sei einmal gesagt. Wichtig ist die Erkenntnis, dass ein Schulwesen mit deutscher Unterrichtssprache in Rumänien etwas ganz Besonderes ist, was gerade auch von rumänischen Kindern und Jugendlichen gerne angenommen und als Bereicherung angesehen wird. Das gute Miteinander in den deutschen Schulen ist die beste Vorbereitung für eine Zukunft in einem Europa der gleichen Bedingungen und der gleichen Werte.

Gefordert bleibt Rumänien auch
  • bei der Unterstützung der Kirche und des Demokratischen Forums der in Rumänien verbliebenen Landsleute;
  • bei der Sorge um unser aller Kulturerbe in Siebenbürgen. Denn unsere Kirchenburgen sind gleichzeitig nationales Kulturerbe Rumäniens und bleiben dort im Land.
Sehr geehrter Herr Premierminister Dacian Cioloș, die erschütternden Beispiele in Radeln und Rothbach müssen für die rumänische Regierung alle Alarmglocken gleichzeitig auslösen. Es darf nicht sein, dass sächsische Kirchen, Türme und Wehrmauern, die seit dem Mittelalter Bestand hatten und Jahrhunderte überdauert haben, zuerst einstürzen müssen, damit ihr teilweise desolater Zustand endlich zur Kenntnis genommen und gehandelt wird!

Aus Ihrer Arbeit in der Europäischen Kommission, wo Sie für das Ressort Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zuständig waren, wissen Sie sicherlich, welches Juwel diese Kulturlandschaft für Rumänien darstellen könnte und welch noch brach liegendes touristisches – und damit wirtschaftliches – Potenzial die sächsischen Kirchenburgen vor allem für die ländlichen Landstriche in Süd- und Mittelsiebenbürgen bilden. Lassen Sie uns gemeinsam mit allen Akteuren alles dafür tun, dass diese Kulturlandschaft weitere Jahrhunderte erhalten bleibt und deren Untergang nicht gerade zu unserer Zeit in die Geschichtsbücher eingetragen werden muss. Ich danke ausdrücklich den Präsidenten unserer beiden Ländern, Herrn Bundespräsident Joachim Gauck und Herrn Staatspräsident Klaus Johannis, dafür, dass sie die Schirmherrschaft über die gegründete „Stiftung Kirchenburgen“ übernommen und damit ein deutliches Zeichen der Relevanz und der Dringlichkeit gesetzt haben.

Liebe Landsleute, liebe Freunde der Siebenbürger Sachsen, die Sicherung der Kultur der Deutschen aus allen Siedlungsgebieten im östlichen Europa – und ich gehe bewusst weit über die Grenzen Siebenbürgens hinaus –, die Pflege der immateriellen Werte, der Bräuche und Traditionen sowie des vielfältigen geistigen Wirkens ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe! Sie geht jeden der knapp 81 Millionen Menschen unseres Landes etwas an, denn im Sinne des gesamtdeutschen kulturellen Erbes hat Deutschland Verantwortung für kommende Generationen. Diese werden zu gegebener Zeit nachfragen, wie das Geerbte bewahrt, gefördert und weiterentwickelt worden ist.

Wir haben in Deutschland mit dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG) und vor allem seinem Paragraphen 96 seit nunmehr über 60 Jahren ein geeignetes Instrumentarium zur Verfügung, um dieser Aufhabe gerecht zu werden. Investitionen in Kulturpflege zählen mit zu den nachhaltigsten Investitionen, die es überhaupt geben kann. Dieser Bereich darf nicht totgespart werden!

Wir als Verband der Siebenbürger Sachsen, zusammen mit den vielen anderen Landsmannschaften, denken noch heute mit Grausen an die Zeiten zurück, als unter einer rot-grünen Bundesregierung ein Kulturstaatsminister Naumann damals unter dem Vorwand einer Professionalisierung der Kulturförderung der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler sprichwörtlich das Wasser abgedreht und damit einen Bärendienst erwiesen hat. Es war ein mühsamer Weg, die damaligen kapitalen Fehlentscheidungen in die richtige Richtung weiter zu entwickeln.

Vor gut zwei Wochen hat nun die schwarz-rote Bundesregierung die Weiterentwicklung der Kulturförderkonzeption im Bundestag vorgestellt, ich selbst hatte die Möglichkeit im Plenum des Hohen Hauses in Berlin dazu Stellung zu nehmen: Es geht wieder in die richtige Richtung!

Ich danke der für diesen Bereich verantwortlichen Kulturstaatsministerin Monika Grütters ausdrücklich für die wichtigen Weichenstellungen, die im neuen Konzept dokumentiert sind: Das Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen wird nach diesem Konzept nicht in Archiven verschwinden oder totgespart werden. Es wird lebendig bleiben und unter Einbeziehung unserer Einrichtungen (wie insbesondere auf Schloss Horneck) finanziell so ausgestattet und gefördert werden, dass es im grenzüberschreitenden Austausch mit unseren Partnern in Europa gesichert und zukunftsorientiert weiterentwickelt werden kann.

Trotzdem, liebe Landsleute, trotzdem ist das Siebenbürgische Kulturzentrum „Schloss Horneck“ e.V. kurz- und mittelfristig weiterhin auch auf Spenden angewiesen. Genauso sind unsere zentralen Kultureinrichtungen dort – als Leuchtturmprojekt weit über nationale Grenzen hinaus – auch auf die unterstützende Beteiligung der öffentlichen Hand angewiesen, genau wie es § 96 BVFG als zwingenden gesetzlichen Auftrag festschreibt:

  • durch das Land Nordrhein-Westfalen, unser Patenland;
  • durch das Land Baden-Württemberg, auf dessen Gebiet Gundelsheim und der Standort Schloss Horneck liegen;
  • vielleicht auch durch das Land Bayern, wo die meisten Siebenbürger Sachsen ihre Heimat gefunden haben und fleißig und gerne Steuern zahlen;
  • und nicht zuletzt durch den Bund, vor allem durch die Beauftragte für Kultur und Medien (BKM), aber auch durch das Bundesministerium des Inneren sowie das Auswärtige Amt, wenn es um die grenzüberschreitenden Maßnahmen geht.
Ich bitte unsere Partner in Bund und Ländern, unseren eigenen Initiativgeist, den wir mit dem Rückkauf des Schlosses Horneck nach der Insolvenz des bisherigen Trägervereines hinreichend bewiesen haben, nun entschieden und nachhaltig zu begleiten und den Erfolg des wunderbaren Projektes zu sichern.

Vor fast genau einem Jahr wiederholte ich von ebendieser Stelle die Forderung unseres Verbandes an die Bundesregierung, endlich für eine angemessene Entschädigung der deutschen zivilen Zwangsarbeiter zu sorgen. Umso größer ist meine Freude, ja Genugtuung, Ihnen vermelden zu können, dass dieser Meilenstein, eine Geste der wiedergutmachenden Gerechtigkeit an den über 70.000 Russlanddeportierten, nunmehr von der Bundesregierung gesetzlich realisiert worden ist!

Der Deutsche Bundestag hat dafür einen Betrag von 50 Millionen Euro genehmigt, schon in diesem Jahr sollen die ersten Entschädigungszahlungen ausgezahlt werden. Näheres – also wie hoch die Auszahlungsbeträge sein werden, wer genau antragsberechtigt sein wird, wie die Anträge aussehen oder wo sie gestellt werden müssen – wird eine Richtlinie regeln, die unter Federführung des Bundesministeriums des Innern (BMI) erarbeitet und noch in diesem Frühjahr vom Haushaltsausschuss des Bundestages verabschiedet werden soll. Die Entschädigung kommt, 70 Jahre nach Kriegsende, tatsächlich sehr spät. Trotzdem ist es ein Akt von hoher Symbolkraft. Die Betroffenen, von denen nur noch wenige leben, erfahren damit schließlich auch eine offizielle Anerkennung.

Ich erinnere an die Gedenk- und Festveranstaltung „70 Jahre Deportation“, die unser Verband zusammen mit der Stadt Dinkelsbühl im Rahmen des Heimattags 2015 in der St.-Pauls-Kirche begangen hat: Allen Teilnehmern war klar, dass die Entschädigung so schnell wie möglich kommen muss – denn sonst käme sie zu spät. Und sie kommt! Nehmen Sie, lieber Herr Kanzleramtsminister Altmaier, unseren Dank an das gesamte Kabinett der Regierung Merkel mit, dieses Signal der Solidarität und des Beistandes werden wir Ihnen nicht vergessen.

Meine Damen und Herren, 2016 ist ein mehrfaches Jubiläumsjahr für unsere Gemeinschaft.
  • 30 Jahre Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland – all das, was wir tun und noch erreichen wollen, machen wir auch und ganz besonders mit Blick auf unsere Jugend. Zu ihrem Vorteil und Nutzen, um ihr neben dem Kultur- und Gemeinschaftserlebnis auch sächsische Tugenden und Traditionen zu vermitteln und bewusst zu machen.

  • 30 Jahre Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen – das nach wie vor notwendig und wichtig ist und Hilfe leistet, wo Landsleute in Not sind.

  • 875 Jahre siebenbürgisch-sächsische Geschichte: Der Beginn von König Geysas Regentschaft im Jahr 1141 markiert den Beginn unserer siebenbürgisch-sächsischen Zeitrechnung.
Wir wollen diese Jubiläen würdigen und feiern. Vor allem hier, im wunderschönen Dinkelsbühl! Ich wünsche Ihnen weiterhin einen herrlichen Heimattag. Es ist für uns alle ein unglaublich gutes Gefühl, diesen Tag in der Gemeinschaft zu erleben.

Ålles Geadet uch nor de Gesëangd.

Schlagwörter: Heimattag 2016, Dinkelsbühl, Fabritius

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