5. Januar 2018

Plädoyer für ein friedliches Miteinander der Völker

Weshalb ist es nötig, in einer der längsten Friedensperioden in der Geschichte Europas an Krieg und Leid zu erinnern? Diese Frage hat Dr. Andreas Roth, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Bayern und Bundesjugendleiter der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland, in seiner Rede an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl überzeugend beantwortet: Frieden und Freiheit müssten stets aufs Neue ins kollektive Bewusstsein gerückt werden, um sie zu erhalten. Die Gedenkfeier zum Volkstrauertag am 19. November 2017 in Dinkelsbühl begann mit einem ökumenischen Gottesdienst in der evangelischen Sankt Paulskirche. Von dort zogen die Teilnehmer in einem Trauermarsch mit Fahnenabordnungen der Vereine in Begleitung der Stadtkapelle Dinkelsbühl zur Kriegergedächtniskapelle, wo Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer eine Ansprache hielt. Die abschließende Rede an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen hielt Dr. Andreas Roth, die im Folgenden ungekürzt wiedergegeben wird.
Wir haben uns heute hier vor der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen versammelt, die heuer ihr 50-jähriges Bestehen feiert, um gemeinsam den Volkstrauertag zu begehen.

„Trauern heißt Erinnern“. Erinnern an die schrecklichen, erschütternden und einschneidenden Ereignisse, wie sie die beiden Weltkriege mit ihren unzähligen Toten und Opfern und dem unsagbaren Leid für die Hinterbliebenen waren. Und so gedenken wir heute

  • der unzähligen Kriegsgefallenen der beiden Weltkriege
  • wir gedenken der millionenfachen zivilen Kriegsopfer
  • wir gedenken all derer, die Opfer von Vorurteilen, verblendetem Hass und sinnloser Gewalt geworden sind
  • wir gedenken der Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation, an die uns diese Gedenkstätte stellvertretend für alle Opfer im Besonderen erinnert
  • wir gedenken auch der Opfer gegenwärtiger Kriege und Bürgerkriege, der Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung
  • wir gedenken der Bundeswehrsoldaten und Einsatzkräfte, die bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommen sind und fühlen mit ihren Hinterbliebenen
Meine Damen und Herren, wir leben heute in einer der längsten Friedensperioden in der Geschichte Europas. In den mehr als 70 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat es in Westeuropa und in weiten Teilen Osteuropas keinen Krieg mehr gegeben. Da mag sich für den ein oder anderen von uns, vor allem aber für die jüngere Generation die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines solchen Gedenktages stellen. Warum sollten wir uns denn jedes Jahr aufs Neue mit den bedrückenden Erinnerungen an die Gräuel längst vergangener Kriege auseinandersetzen und belasten?
Dr. Andreas Roth, stellvertretender Vorsitzender ...
Dr. Andreas Roth, stellvertretender Vorsitzender der Landesgruppe Bayern und SJD-Bundesjugendleiter, links, und Georg Schuster, Vorsitzender der Kreisgruppe Dinkelsbühl-Feuchtwangen, an der Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl.
Nun… Mit dem Frieden und der Freiheit verhält es sich ähnlich wie mit der Gesundheit: erst wenn man sie verloren hat, weiß man sie zu schätzen. Jeden Tag müssen wir etwas für unsere Gesundheit tun. Und so ist es auch mit dem Frieden. Die Opfer von Krieg, Terror, Gewalt, Flucht und Vertreibung, derer wir heute gedenken, sind uns Mahnung und Verpflichtung zugleich, dass wir täglich für den Frieden in dieser Welt arbeiten und einstehen müssen.

Doch das erscheint uns im Alltag oftmals mühsam und anstrengend, so wie es anstrengend ist, sich jeden Tag gesundheitsbewusst zu ernähren und Sport zu treiben. Und es erscheint uns deswegen mühsam und anstrengend, gerade weil wir in so einer langen Friedensphase leben und das unermessliche Leid der beiden Weltkriege zu verblassen und in Vergessenheit zu geraten droht. Wer nach schwerer Krankheit endlich wieder genesen ist, wird alles daran setzen, gesund zu bleiben. Wer Krieg erlebt hat, wird alles daran setzen, Frieden zu bewahren.

Ich möchte noch ein weiteres Bild verwenden, um die Sinnhaftigkeit des heutigen Gedenkens zu untermauern: Der Mensch lernt am ehesten aus Fehlern, die er selbst gemacht hat und dessen Folgen er schmerzhaft am eigenen Leibe erfahren hat. (Sie alle kennen die Metapher vom kleinen Kind, das auf die heiße Herdplatte gelangt hat und sich diesen Fehler ein Leben lang merkt, weil er sich tief in das Gedächtnis des Kindes – im wahrsten Sinne des Wortes – „eingebrannt“ hat.)

Wie verhält es sich nun aber, wenn wir aus den Fehlern lernen müssen, die eine, zwei oder sogar drei Generationen vor uns gemacht haben; wenn wir sozusagen „aus der Geschichte lernen“ müssen? Die heutige Jugend hat – Gott sei Dank – weder die beiden Weltkriege noch deren schmerzhaften Folgen erlebt. Ich selber habe noch als kleiner Junge von meinem Großvater, der für die deutsche Wehrmacht auf dem Balkan kämpfen musste, aus erster Hand erfahren von den Gräueln des Zweiten Weltkrieges, von der Deportation meines Urgroßvaters nach Sibirien, von den zerrissenen Familien und von dem Kampf ums tägliche Überleben in der Nachkriegszeit. Damals wusste ich natürlich noch nicht um die große Bedeutung und Notwendigkeit dieser Gespräche zwischen Großvater und Enkelkind. Diese lebendigen Erzählungen von persönlichen Geschichten und Schicksalen sind es jedoch, die uns den Schmerz der „heißen Herdplatte“ fühlen lassen, ohne dass wir uns selber an ihr die Finger verbrannt haben. Doch mit dem Ableben der Erlebnisgeneration – wir befinden uns schon am Ende dieser Phase – droht auch die lebendige Erinnerung an „die heiße Herdplatte“ zu verblassen. Der Krieg mit seinen unzähligen Opfern entrückt unserem kollektiven Gedächtnis von Jahr zu Jahr ein Stückchen mehr. Im selben Maße steigt gleichzeitig die Gefahr, allzu leichtfertig neue kriegerische Auseinandersetzungen zu entfachen. Eine Nation oder eine Gesellschaft, in deren kollektivem Gedächtnis die negativen Folgen von Krieg nicht verankert oder bereits verblasst sind (als ein Beispiel nenne ich die USA), wird eher bereit sein, Kriege zu führen.

Und genau um solch einer Entwicklung entgegenzuwirken, haben wir uns heute hier versammelt. Der Volkstrauertag bietet uns alljährlich die Gelegenheit, in den Spiegel der Geschichte zu blicken und durch den Prozess des Erinnerns an die schrecklichen Folgen der beiden Weltkriege unser Handeln immer wieder aufs Neue zu reflektieren und zu hinterfragen.

Meine Damen und Herren, indem wir heute und künftig den Volkstrauertag begehen, erhalten wir die Erinnerungskultur und somit den Lernprozess aus der Geschichte für die kommenden Generationen aufrecht. Zugleich erwächst aus dieser Erinnerungskultur die Verantwortung für uns alle, unser tägliches Handeln auf das friedliche Miteinander der Völker auszurichten.

Um es mit den Worten des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker zu sagen: „Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“

Dr. Andreas Roth

Schlagwörter: Volkstrauertag, Gedenken, Dinkelsbühl

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