15. Juni 2020

Rückblick auf zwei Jahrzehnte Siebenbürgische Zeitung

Im September 1970 übernahm ich in der Nachfolge Alfred Hönigs (1900-1984) die Schriftleitung der Siebenbürgischen Zeitung (SbZ), München. Hönig – der sich zwischen den beiden Weltkriegen als Hauptschriftleiter des Siebenbürgisch-Deutschen Tageblattes, Hermannstadt, in Siebenbürgen einen Namen gemacht und nach Deportation in die UdSSR und Flucht aus Rumänien 1957 die Schriftleitung der SbZ übernommen hatte, figurierte, einer Gepflogenheit entsprechend, bis zum Jahresende 1970 im Impressum.
Am 20. Dezember 1989 hielt Hans Bergel  bei einer ...
Am 20. Dezember 1989 hielt Hans Bergel bei einer von Studenten der Maximilians-Universität organisierten Kundgebung der Solidarität mit den Aufständischen in Rumänien eine Rede vor der Feldherrnhalle, München.
Dem Wechsel in der Schriftleitung war ein ausführliches Gespräch mit Erhard Plesch (1910-1977), dem Bundesvorsitzenden des Verbands/der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, vorausgegangen. Plesch zeigte sich irritiert vom Verhalten der Regierung Rumäniens in der zunehmend an Dynamik gewinnenden Frage der Familienzusammenführung, die sich zur Emigration der Deutschen aus dem Land ausgeweitet hatte. Wachsende „Kopfgeldforderungen“ pro Aussiedler, Nichteinhaltung von Abmachungen, Schikanierung der Ausreisewilligen und Ähnliches mehr häuften sich. Er denke, sagte Plesch, dass meine „Erfahrungen im Umgang mit dem Bukarester Regime hilfreich“ sein könnten; er bat mich, meine Ausführungen „in einem Kreis handverlesener prominenter Siebenbürger“ zu wiederholen und überraschte mich mit der Frage, ob ich mir vorstellen könne, die Schriftleitung der Zeitung zu übernehmen, „sie ist das einzige Band, das die in die halbe Welt verstreuten Siebenbürger zusammenhält, und gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt können Ihre Erfahrungen mit den Mechanismen kommunistischer Mentalität nützlich sein“. 1968 aus Rumänien emigriert, arbeitete ich zu jenem Zeitpunkt als Texter einer TV-Redaktion. Gelenkt vom starken Bedürfnis, nach Maßgabe meiner Kräfte persönlich in die Auseinandersetzung der westlichen Demokratien auch mit meinem diktatorisch regierten Geburtsland einzugreifen, sagte ich einige Tage später zu. Kalter Krieg und die Vorbereitungen der KSZE-Konferenzen bestimmten den europäischen Disput; darin lag für uns eine Chance.

Von den Persönlichkeiten, mit denen mich Plesch im Konferenzraum eines Münchner Hotels zusammenbrachte, hatte keine auch nur einen Tag in einem der kommunistisch administrierten Länder gelebt. Alle waren vor oder spätestens während des Kriegs nach Österreich, Deutschland, in die USA oder Kanada ausgewandert. Wiewohl unterrichtet über die Lebensverhältnisse in Siebenbürgen, waren sie außerstande, sich den Alltag in der kommunistischen Misere vorzustellen – er lag zu sehr außerhalb der zivilisatorischen Normen.

Wenige Tage später erläuterte ich Erhard Plesch meine Auffassung von der Aufgabe der SbZ in der gegebenen Situation. Die Zeitung müsse zum politischen Instrument gemacht werden, das erfordere die zum Politikum avancierte Familienzusammenführung, die zur Massenemigration geworden war. Da Bukarest nichts so sehr fürchte wie einen schlechten Leumund im Westen, könne sie wirksam eingesetzt werden, d.h, sie dürfe sich nicht hauptsächlich als lediglich Vereinsnachrichten publizierendes Organ verstehen. Abgesehen davon bedürfe sie aus professionellen Gründen einer klaren Gliederung nach Sachgebieten, sie sei schließlich die Visitenkarte des Verbands. An drei Beispielen hier die Veranschaulichung der schrittweisen Umgestaltung der SbZ:

1) In der Folge vom 30. September 1971 war zum ersten Mal der Feuilletontitel „Kulturspiegel“ mit entsprechenden Texten zu lesen. Er erhielt sich bis heute und darf beanspruchen, eine Chronik des geistigen, des kulturellen Lebens der in westlichen Ländern ansässigen Siebenbürger Sachsen jener Jahre zu sein. Summe und Vielfalt der Texte, die seither veröffentlicht wurden, sind erstaunlich, hält man sich die kleine Menschengruppe vor Augen, um die es geht.

2) Die augenfälligste Umgestaltung erfuhr die Titelseite. Der Grafiker Viktor Stürmer (1914-1999) schuf, in Anlehnung an die Post-Antiqua, eine Druckschrift aus den 1930er Jahren, im Auftrag der Schriftleitung einen neuen Zeitungskopf; im Januar 1972 war er zum ersten Mal zu lesen; er bestimmt bis heute das Bild der Zeitung.

3) Zu einem Lesermagnet wurde der Text auf Seite zwei, Spalte links, fettgedruckt: „Die politische Schlagzeile“. Keine andere Rubrik machte bei den Lesern so viel von sich reden wie sie. Die Idee stammte von Erhard Plesch, wenn er sie sich auch nur als Informationstelegramm von wenigen Zeilen vorgestellt hatte, so wie sie in der Folge vom 1. Januar 1971 zum ersten Mal zu lesen war. Ihr Erfolg gründete auf dem unorthodoxen Blickwinkel und auf der Respektlosigkeit vor der gerade herrschenden Political Correctness. Mit meinem Ausscheiden aus der Reaktion 1989 verschwand sie. Etc. –

Das herrschende Diskussionsthema der Siebenbürger Sachsen war in jenen Jahrzehnten die Frage der Aussiedlung, der Emigration aus Rumänien. Die Briefe und Anrufe, die Plesch von verzweifelten Menschen aus Siebenbürgen, aus Österreich, aus der Bundesrepublik erhielt und die ebenso die Zeitungsredaktion erreichten, ließen keinen Zweifel daran, dass es der Wunsch der meisten war, Rumänien zu verlassen. Gleichzeitig aber widersetzte sich ein Kreis von Siebenbürgern der Idee der Aussiedlung. Die Frage „Bleiben oder Gehen“ führte zu leidenschaftlichen Auseinandersetzungen und stellte mich als Schriftleiter vor die Frage, ob Veröffentlichung oder nicht des Pro und Kontra den Menschen dienlich sei. Ich musste in dieser Frage sowohl behutsam als auch offensiv verfahren. Bukarest entsandte mit Hilfe der Securitate dem Regime ergebene Landsleute als Stimmungsmacher gegen Plesch und mich. Es lässt sich in einschlägigen Securitate-Akten nachlesen; ich schrieb an anderer Stelle darüber. Plesch, der sein Amt mit Hingabe wahrnahm, durchlebte Augenblicke der Verzweiflung. Doch die Geschichte gab ihm recht: Als der Eiserne Vorhang fiel, verließ der Großteil der Deutschen Rumänien.

Die Tätigkeit als Chefredakteur der SbZ und zugleich als Außenmitarbeiter der Ost-Abteilung des Bayerischen Rundfunks der Jahre 1970-1989 eröffnete mir Einblicke in einen Bereich siebenbürgisch-sächsischer Befindlichkeit, deren Intensität ich davor nur am Rande wahrgenommen hatte, den hier jedoch anzusprechen ich für angebracht halte; er wurde zu einer Triebfeder meines journalistischen und politischen Engagements. Ich meine die innere Not nicht weniger meiner von Ost nach West „transplantierten“ Landsleute – ein seelischer Zustand, der mir in den geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema wenig berücksichtigt erscheint. Unter ihnen befanden sich Menschen, die weder zu seelischer Überempfindlichkeit noch zu schwärmerischer Heimwehgefühlsduselei zu neigen schienen. Beiden Geschlechts, jeden Alters, Bauern wie Städter, Intellektuelle wie Arbeiter, Junge, Alte. Vielleicht hatte sie einer meiner Texte oder eine Bemerkung in einem meiner häufigen öffentlichen Vorträge bzw. Reden den Weg in die Redaktion einschlagen lassen. Es war, stellte ich bald fest, die Seelen- oder Herzensnot des Menschen, der sich in der geschichtlichen Perspektive der Geburtsheimat eingewurzelt hatte: die von den Vorvätern und -müttern überkommene Treue zur Herkunft als Markenzeichen seiner charakterlichen Integrität.

Darüber gäbe es viel zu sagen.

Hans Bergel

Schlagwörter: Siebenbürgische Zeitung, Jubiläum, Hans Bergel, Geschichte

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