8. Juni 2022

„Nur im Miteinander schafft man Heimat“: Ansprache von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bei der Festkundgebung des Heimattages in Dinkelsbühl

Dass nach zwei schwierigen Pandemie-Jahren endlich wieder ein Pfingsttreffen der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl stattfinde, sei „ein ganz besonders wichtiges Aufbruchssignal wieder in ein gutes Zusammenleben hier bei uns in Bayern, in Deutschland, in Rumänien und überall auf der Welt“, unterstrich der Bayerische Staatsminister des Innern, für Sport und Integration, Joachim Herrmann, in seiner Ansprache am Pfingstsonntag bei der Kundgebung vor der Schranne in Dinkelsbühl. Das Motto des Heimattages 2022, „Wurzeln suchen – Wege finden“, richte sich insbesondere an die Jugend, die „heute so zahlreich und wie immer in schmucker Tracht auf dem Heimattag präsent ist“. Dies sei „das entscheidende Zeichen für die Zukunft“. Innenminister Herrmann thematisierte in seiner Rede die positive Bedeutung des Begriffes Heimat für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und dankte in den Siebenbürger Sachsen für ihr kraftvolles Engagement und ihr Bekenntnis zu ihrer neuen bayerischen Heimat: „Seit Jahrzehnten gestalten Sie unser Land mit und bereichern es mit Ihrer Kultur.“ Die Festansprache wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
Grüß Gott, meine sehr geehrten Damen und Herren, und zuallererst allen Gästen aus Siebenbürgen oder solchen, die schon lange in Deutschland wohnen. Ein ganz herzliches Willkommen im Freistaat Bayern unter einem zunehmend wieder weiß-blauem Himmel, so wie sich das gehört. Herzlich willkommen hier an Pfingsten 2022! Vielen Dank, lieber Herr Bischof Guib, für die guten geistlichen Worte zur Einstimmung. Ja, wir feiern nicht nur Siebenbürger Sachsen, wir feiern auch Pfingsten an diesem Wochenende, und es ist gut, wenn wir das nicht in Vergessenheit geraten lassen. Wir hoffen, dass ein Stück von diesem großen Heiligen Geist auf uns alle herabkommt und wir damit dann gestärkt wieder in die vor uns liegenden Wochen und Monate gehen können. Ihnen, lieber Herr Lehni, vielen Dank für die freundliche Begrüßung und Ihre klaren Worte. Lieber Bernd Fabritius, lieber Christian Knauer, ich finde es großartig, dass nicht nur die Siebenbürger Sachsen, sondern unsere Vertriebenen auf Landes- und Bundesebene insgesamt stark repräsentiert sind.

Redner bei der Kundgebung vor der Schranne: ...
Redner bei der Kundgebung vor der Schranne: Joachim Herrmann, Bayerischer Staatsminister des Innern, für Sport und Integration. Foto: Siegbert Bruss
Ich grüße die Landtagskollegen Carolina Trautner und Alfons Brandl. Lieber Oberbürgermeister Christoph Hammer, lieber stellvertretender Landrat, liebe Ehrengäste, ich freue mich, dass Sie alle hierhergekommen sind und dass das nach diesen schwierigen zwei Corona-Pandemie-Jahren wieder ein ganz starkes Treffen der Siebenbürger Sachsen ist. Jetzt haben wir vorhin noch als besondere Form, nachdem wir die Masken weggelassen haben, die Regenponchos gehabt, aber jetzt können wir uns wieder tatsächlich ins Gesicht sehen, wir können uns Auge in Auge begegnen. Wir können an diesem Wochenende einfach miteinander reden und wieder gemeinsam miteinander feiern. Das ist ganz wichtig, das haben wir alle eine Zeit lang vermisst und deshalb ist dieses Treffen der Siebenbürger Sachsen in diesem Jahr ein ganz besonders wichtiges Aufbruchssignal wieder in ein gutes Zusammenleben hier bei uns in Bayern, in Deutschland, in Rumänien und überall auf der Welt.

Ich freue mich, dass wir Dinkelsbühl wieder mit der großartigen Gastfreundschaft erleben können, lieber Oberbürgermeister Hammer. Diese Stadt trägt ja schon seit vielen Jahren die Auszeichnung „Schönste Altstadt Deutschlands“. Unlängst wurde sie zu einer der schönsten Städte in ganz Europa gekürt. Ich glaube, alle, die heute hier sind, empfinden das auch so. Und ich denke, nicht von ungefähr kommen die Siebenbürger Sachsen alljährlich gerne hier zusammen. Das gemeinsame Feiern ist hier in Dinkelsbühl wirklich gut zu Hause. Und ich möchte mich ausdrücklich an dieser Stelle schon auch bei allen Bürgerinnen und Bürgern Dinkelsbühls herzlich bedanken. Das ist ja nicht nur eine Sache, die der Stadtrat so beschließen kann, da wird natürlich, so schön das alles ist, teilweise der Verkehr für ein paar Tage stillgelegt in dieser Stadt, und vieles andere mehr. Das wird aber mit Begeisterung mitgetragen, und deshalb sage ich allen, die hier in Dinkelsbühl zu Hause sind, auch einmal ein ganz herzliches Dankeschön für diese Gastfreundschaft in dieser Stadt Dinkelsbühl.

Von Dinkelsbühl heißt es: „gepaart mit alter Geschichte, aber dennoch lebendig und gegenwärtig“. Eine schöne Formulierung in einem Reiseführer. Ich denke, diese Formulierung können wir genauso gut auf die Siebenbürger Sachsen anwenden: „gepaart mit alter Geschichte, aber dennoch lebendig und gegenwärtig“. Ja, den Siebenbürger Sachsen ist es immer bestens gelungen, ihre kulturellen Werte und Traditionen sei es in Siebenbürgen, sei es in einer neuen Heimat hier in Bayern oder in anderen Teilen Deutschlands oder Österreichs zu erhalten, um gleichzeitig das dadurch bestehende besondere Gefühl lebendiger Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit eben auch an die Nachwuchsgenerationen, an die Jugend entsprechend weiterzugeben. Das Motto des heutigen Tages lautet „Wurzeln suchen – Wege finden“. Dieses Motto richtet sich ganz besonders an die Jugend, die heute so zahlreich und wie immer in schmucker Tracht auf dem Heimattag präsent ist. Wir haben das bei dem großartigen Zug wieder gesehen: Da sind eben nicht nur, wie das früher mancher befürchtet hat, nur noch Senioren unterwegs. Nein, da ist die junge Generation ganz stark präsent, da ist eine junge Generation mit unterwegs, das ist das entscheidende Zeichen für die Zukunft und dazu kann ich Ihnen nur ganz herzlich gratulieren.

Siebenbürger Sachsen sind „Garanten einer einzigartigen kulturellen Vielfalt“

Ich will mich aber auch für den Freistaat Bayern ausdrücklich bedanken. Wir können uns glücklich schätzen, dass viele Siebenbürger Sachsen bei uns eine neue Heimat gefunden haben. Eine neue Heimat für sich zu gewinnen erfordert viel Kraft, viel Ausdauer, vor allem die Bereitschaft, sich einzubringen. Diese Kraft haben Sie, haben Ihre Großeltern, haben Ihre Eltern eingebracht, die bringen Sie jetzt ein. Seit Jahrzehnten gestalten Sie unser Land mit und bereichern es mit Ihrer Kultur. Sie sind hier in Bayern nicht mehr wegzudenken, auch wenn Ihre Wurzeln immer noch weit nach Siebenbürgen reichen. Die alte Heimat tragen Sie nach wie vor fest im Herzen, aber, das spüre ich immer wieder im Gespräch mit vielen von Ihnen, Sie lieben inzwischen genauso auch Ihre neue bayerische Heimat, und das geht jenen, die in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel zu Hause sind, sicherlich ganz genauso. Sie leben auch hier in Bayern auf vorbildliche Weise vor, was Heimat ausmacht und warum wir sie in der heutigen Zeit mehr denn je brauchen. Denn Heimat ist nicht nur der Ort, an dem man aufgewachsen ist, Heimat ist vielmehr auch ein Gefühl der Zugehörigkeit zu Sprache, zu Mundarten, zu Traditionen, zu Bräuchen, und vor allen Dingen ein Gefühl der Geborgenheit, der Sicherheit und Zufriedenheit. Es ist unerlässlich für einen starken Zusammenhalt, und deshalb bekennen wir uns klar zu unserer Heimat, die Siebenbürger Sachsen genauso wie die Bayern, wie die Franken, wie die Nordrhein-Westfalen, wie die Hessen und viele andere. Wir sind stolz auf unsere Heimat. Vielen Dank dafür.

Und ich sage auch, dass ich mich da ein bisschen gewundert habe, um es mal vorsichtig zu formulieren, wie die neue Bundesinnenministerin neulich erklärt hat, wir müssten den Begriff Heimat positiv umdeuten. Man wird in den nächsten Monaten vielleicht näher erfahren, was sie damit eigentlich meint. Eine positive Umdeutung des Begriffs Heimat braucht man ja eigentlich nur, wenn man bisher ein negatives Verständnis von Heimat hatte. Ich kann nur sagen, wir hatten kein negatives Verständnis von Heimat. Ich habe das über all die Jahre, und ich war ja schon häufiger bei diesen Treffen in Dinkelsbühl, aber auch bei anderen Vertriebenentreffen dabei, [erlebt]. All diejenigen, die ich kennengelernt habe, und das gilt genauso für die Sudetendeutschen, die auch an diesem Wochenende, diesmal in Hof, sich treffen, ich habe das immer so erlebt, dass sowohl die Menschen, die hier zu Hause sind, wie auch die, die von woanders her zu uns gekommen sind, die haben kein negatives Verständnis von Heimat und die interpretieren das auch nicht negativ, sondern es ist ein zutiefst positives Grundgefühl. Und genau so wollen wir Heimat auch in Zukunft verstehen.

Und ich denke, gerade Sie, liebe Siebenbürger Sachsen, zeigen immer wieder aufs Neue: Nur im Miteinander schafft man Heimat. Die großartigen Trachtengruppen, die Chöre, die Blaskapellen und Theatergruppen sind Garanten einer einzigartigen kulturellen Vielfalt. Ich muss mich nur umsehen. Wir alle brauchen uns nur umzusehen und freuen uns, dass dieses bunte Treiben hier im malerischen Dinkelsbühl heute wieder einmal zu erleben ist. Und da gibt es in der Tat, wie der Bischof vorhin gesagt hat, mal Sonne und mal Regen. Das gehört mit dazu. Aber das halten wir aus und davon lassen wir uns auf keinen Fall abbringen.

Meine Damen und Herren, ich freue mich, und das will ich gerne noch einmal aufgreifen, dass seit zwei Jahren es nun dieses Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen in der Karlstraße in München gibt, das von Frau Dr. Iris Oberth geleitet wird. Der Freistaat Bayern fördert das Kulturwerk in Anerkennung der Aufbauleistung der Siebenbürger Sachsen nach dem Krieg und ihrer Bedeutung als Brückenbauer für ein freiheitliches Europa. Wir fördern das ausdrücklich, weil wir dankbar dafür sind, was hier geschaffen worden ist, und weil es wichtig ist, dass wir das auch kommenden Generationen dokumentieren, was hier geschehen ist. Ich glaube, ein starkes Zeichen, dass der Freistaat auch entsprechend zu dieser Tradition steht, und dass wir uns dazu bekennen, auch zu der Dankbarkeit für das, was die Siebenbürger Sachsen hier geleistet haben.

Ich will ausdrücklich auch mit ansprechen, dass ich mich unheimlich gefreut habe, dass es extra an diesem Wochenende möglich war, nachdem zunächst auch verschoben wegen der Corona-Pandemie, dass der rumänische Staatspräsident Klaus Johannis jetzt endlich tatsächlich leibhaftig den Karlspreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft entgegennehmen konnte. Ich sage das deshalb, weil ich der festen Überzeugung bin, dass gerade Klaus Johannis ein großartiges Beispiel ist für die Siebenbürger Sachsen, die in ihrer Heimat geblieben sind und sich nach wie vor großartig engagieren; ein großartiges Zeichen aber auch für die positive Entwicklung in Rumänien, die Rumänien jetzt wieder zu einem starken Teil Europas insgesamt gemacht hat, und dass es auch in der rumänischen Bevölkerung heute von der Stimmung her möglich ist, dass die Mehrheit einen Mann wie Klaus Johannis zu ihrem Staatspräsidenten gewählt hat. Das ist ein starkes Zeichen von Integration in beide Richtungen, ein starkes Zeichen für die kulturelle Vielfalt in Europa und für das Zusammenwachsen in Europa. Und deshalb dürfen die Siebenbürger Sachsen auf einen Landsmann wie Klaus Johannis stolz sein, aber wir sind alle stolz darauf, was er bewältigt hat in den letzten Jahren für Rumänien und natürlich auch für die Siebenbürger Sachsen. Nochmals ein herzliches Dankeschön und einen herzlichen Glückwunsch an Klaus Johannis zu dieser Auszeichnung.

Zukunft Europas: Zusammenleben in Frieden und Freiheit

Es ist wichtig, dass wir diesen eingeschlagenen Weg der Aussöhnung weitergehen. Wie wichtig das ist, zeigt gerade dieser schreckliche Krieg in der Ukraine. Dieser schreckliche Überfall Putins auf die Ukraine, den wir alle in Europa nur mit Kopfschütteln, mit Entsetzen verfolgen können. Es ist gerade in dieser Situation wichtig, dass wir uns weiterhin zu dem friedlichen Zusammenleben in Europa bekennen, dass wir wollen, dass Freiheit in Frieden, dass Frieden in Europa gelebt wird, und dass wir jeden ächten, der dagegen verstößt. Es ist schlimm, wenn man sich anhören muss, was Putin erzählt, wenn er wieder von den Grenzen von vor 40 Jahren oder vor 60 Jahren oder vor 80 Jahren oder vor 100 Jahren spricht. Nein, das kann nicht die Zukunft Europas sein, wieder alte Grenzdiskussionen aufleben zu lassen, sondern wir wollen diese gemeinsame europäische Einigung mit selbstbewussten Nationalstaaten, aber gleichzeitig einer Situation, wo Grenzen immer unwichtiger werden und wo wir in Frieden zusammenleben. Das ist die Zukunft Europas, und nicht eine Diskussion über die Grenzen von vor hundert Jahren.

In dieser Situation ist es aber auch wichtig, dass wir den Menschen in der Ukraine und aus der Ukraine helfen. Und deshalb möchte ich mich auch ganz herzlich bedanken für das Engagement. Das gilt für die Menschen hier in Dinkelsbühl wie für die Menschen in Franken, in Bayern, überall in Deutschland, aber das gilt auch für die Siebenbürger Sachsen, für die Menschen in Rumänien, die in dieser Situation jetzt vielen Flüchtlingen aus der Ukraine helfen. Es ist wichtig, dass wir sie nicht im Stich lassen, sondern dass wir konkret und nicht nur theoretisch reden, sondern Solidarität mit diesen Menschen in der Ukraine üben, dass wir ihnen helfen in der Ukraine, aber dass wir denen, die flüchten, auch bei uns helfen. Allen, die dabei mitwirken, ein ganz herzliches Dankeschön.

Ich will mich meinerseits auch ganz herzlich bedanken bei allen, die diesen heutigen Tag vorbereitet haben, mitgestaltet haben. Die Gastfreundschaft hier in Dinkelsbühl habe ich angesprochen. Aber da steckt auch von den vielen Organisationen und den vielen Teilnehmern aus dem Kreis der Siebenbürger Sachsen unheimlich viel Engagement dahinter, dass das so läuft. Das Wetter können wir nicht beeinflussen, das wollen wir auch ernsthaft nicht. Es muss auch Dinge geben, die der Mensch selbst mit künstlicher Intelligenz nicht steuern kann. Aber ansonsten ist alles nahezu perfekt. Vielen Dank allen, die daran mitgeholfen haben. Ich wünsche Ihnen allen einen glanzvollen Heimattag hier in Dinkelsbühl, viele anregende Gespräche, schöne Stunden, weiterhin alles Gute. Viel Glück und Gottes Segen, frohe Pfingsten Ihnen allen!

Schlagwörter: Heimattag 2022, Dinkelsbühl, Innenminister, Herrmann, Bayern

Bewerten:

20 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.