2. Juni 2023

„Die Siebenbürger Sachsen sind eine ganz große Familie“: Ansprache der Bundesaussiedlerbeauftragten Natalie Pawlik bei der Festkundgebung des Heimattages in Dinkelsbühl

„Nur gemeinsam im Miteinander schaffen wir es, die Herausforderungen und Krisen der heutigen Zeit zu meistern. Und Heimat, als ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das wird gerade jetzt gebraucht“, unterstrich die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Natalie Pawlik, MdB, in ihrer Ansprache am Pfingstsonntag bei der Kundgebung vor der Schranne in Dinkelsbühl. Daher sei das Motto des Heimattages 2023, „Miteinander schafft Heimat“, besonders passend. Die Festansprache wird im Folgenden ungekürzt wiedergegeben.
Sehr geehrter Herr Bundesvorsitzender, lieber Rainer Lehni, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer, verehrte Ehrengäste, liebe Siebenbürger Sachsen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, heute erneut hier bei Ihrem Heimattag dabei zu sein und mit Ihnen zusammen dieses wunderbare Fest zu begehen. Sehr gerne erinnere ich mich an den Heimattag letztes Jahr zurück, an die vielen Gespräche, an die Kultur, an das kulinarische Angebot. Ich verbinde damit sehr positive Erinnerung und ich freue mich sehr, viele von Ihnen persönlich immer wieder zu treffen bei den Veranstaltungen. Es stimmt: Die Siebenbürger Sachsen sind eine ganz große Familie.

Die Beauftragte der Bundesregierung für ...
Die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Natalie Pawlik, MdB, bei ihrer Festansprache. Foto: Christian Schoger
Ich darf Ihnen allen die herzlichsten Grüße und besten Wünsche der Bundesregierung, allen voran von unserem Bundeskanzler Olaf Scholz, von unserer Bundesministerin des Innern und für Heimat, Nancy Faeser, überbringen. Seit über 70 Jahren treffen sich zu Pfingsten Siebenbürger Sachsen aus dem gesamten Bundesgebiet und Übersee zum Heimattag in Dinkelsbühl und machen damit diesen schönen Ort zu einem Zentrum des siebenbürgisch-sächsischen Lebens in Deutschland. Die Heimattage demonstrieren in eindrucksvoller Weise die siebenbürgisch-sächsische Kultur und Ihre landsmannschaftliche Verbundenheit. Ich gratuliere Ihrem Verband zu diesem gelungenen Treffen und bedanke mich bei allen, die sich für diese Veranstaltung eingesetzt haben und dabei mitwirken. Das Engagement, das hinter diesem Fest steckt, ist nicht selbstverständlich.

Vieles wird ehrenamtlich organisiert und verdient unser aller Anerkennung. Vielen Dank allen, die hier mitgeholfen haben! Neben den vielen fleißigen Helferinnen und Helfern – und besonders hervorheben möchte ich die Mitglieder der Ortsgruppe Dinkelsbühl – danke ich auch herzlich der Großen Kreisstadt Dinkelsbühl und ihrem Oberbürgermeister Dr. Christoph Hammer für die Gastfreundschaft. Die Heimattage haben hier einen festen Platz im Veranstaltungskalender der Stadt. Das ist ein wichtiges Zeichen, und eine gute Tradition.

Der diesjährige Heimattag steht unter dem Motto „Miteinander schafft Heimat“. Ich finde, gerade in diesen herausfordernden und äußerst stürmischen Zeiten, in denen wir leben, ist dieses Motto besonders passend. Denn nur gemeinsam im Miteinander schaffen wir es, die Herausforderungen und Krisen der heutigen Zeit zu meistern. Und Heimat, als ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das wird gerade jetzt gebraucht. Infolge des Zweiten Weltkrieges und der Verbrechen der Nationalsozialisten in ganz Europa kam es zu Flucht und Vertreibung der Deutschen aus ihren Siedlungsgebieten, die den Menschen viel Leid und Schmerz brachten. So verloren auch Sie, liebe Siebenbürger Sachsen, Ihre angestammte Heimat. Hier, in der Bundesrepublik, und speziell auch hier in Dinkelsbühl fanden Sie eine neue Heimat!

Die Bedeutung von Heimat ist vielfältig, doch in all ihren Facetten ist sie zentral: als verlorene, als neue und als wiederentdeckte Heimat. Dazu gehört die Geschichte; vor allem auch die persönlichen Geschichten über Flucht, Vertreibung, Versöhnung und Integration. Jedes einzelne Schicksal besteht aus eigenen, individuellen Erfahrungen und Empfindungen – und doch ähneln sich die grundlegenden Punkte derjenigen, die ihre Heimat verlassen und in einem neuen Land Fuß fassen mussten.

Für mich machen Heimat alle Menschen in unserem schönen Land aus. Dabei ist es unwichtig, woher sie kommen. Denn es zählt das gemeinsame Zusammenleben– so wie es auch das diesjährige Motto „Miteinander schafft Heimat“ auf den Punkt bringt. Heimat ist da, wo ich mich zugehörig fühlen kann. Das kann ein Ort sein oder eine Gruppe von Menschen. Viele von uns haben vielfältige Wurzeln und mehrere Bezugsrahmen – in einem modernen Europa ist Zugehörigkeit vervielfacht. Heimat ist daher nicht auf einen Ort oder eine Gruppe beschränkt. Sie zeichnet sich auch durch gelebte Bräuche und Traditionen aus, die den nachfolgenden Generationen vermittelt werden.

Auch die Weitergabe und das Aufklären über die eigene Geschichte ist eine Bereicherung. Daher freue ich mich, dass Sie, liebe Siebenbürger Sachsen, die Bräuche und Traditionen weiterhin mit Leben erfüllen. Sei es heute in geselliger Runde beim Heimattag durch das Tragen und Zeigen Ihrer Trachten, dem Aufführen traditioneller Tänze oder dem Singen verbindender Lieder. Damit tragen Sie zum kulturellen Reichtum in unserem Land bei und knüpfen gleichzeitig ein verbindendes Band nach Rumänien.

Gerade Sie, liebe Siebenbürger Sachsen, haben trotz der Erfahrung von Krieg und Vertreibung die Verbindungen in die alte Heimat wiederaufleben lassen. Damit haben Sie einen wichtigen Beitrag bei der Versöhnung und dem Aufbau sowie der Neugestaltung der Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien geleistet. Sie sind erfolgreiche Brückenbauer zwischen Menschen und Staaten. Darauf können Sie zurecht stolz sein. Mit meinem Besuch beim diesjährigen Heimattag möchte ich meine Verbundenheit mit den Siebenbürger Sachsen, ihrer Kultur und den Anliegen der Heimatvertriebenen zum Ausdruck bringen.
Vor Beginn des Trachtenumzugs auf dem Weg zur ...
Vor Beginn des Trachtenumzugs auf dem Weg zur Tribüne: Bundesaussiedlerbeauftragte Natalie Pawlik (rechts) neben der Botschafterin von Rumänien in Berlin, Adriana Stănescu. Foto: Christian Schoger.
Die Trachten und Tänze machen den Heimattag zu einem ganz besonderen Fest, nicht nur im Kalender des Verbandes oder der landsmannschaftlichen Veranstaltungen in Dinkelsbühl und in Bayern, sondern in ganz Deutschland. Ziel des geselligen Zusammenlebens ist es, Begegnung zu ermöglichen und die gemeinsame Identität zu stärken – also miteinander Heimat zu schaffen!

Hier in der Stadt Dinkelsbühl waren die Siebenbürger Sachsen schon früh willkommen. Bereits im Juni 1949 wurde der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland als eingetragener Verein gegründet und agiert seitdem als Interessenvertretung der Geflohenen und Vertriebenen aus dem Siedlungsgebiet im heutigen Rumänien. Bereits Pfingsten 1951 fand der erste Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl statt.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Hammer, es freut mich, dass diese schöne Tradition der Heimattage in Dinkelsbühl aufrechterhalten und mit Leben gefüllt wird. Es ist ein wichtiges, gutes Zeichen, dass die Siebenbürger Sachsen bei Ihnen ein offenes Ohr für ihre Belange und einen wohlwollenden Förderer und Unterstützer im Rathaus der Stadt haben. Herzlichen Dank dafür!

Ein schöner Beleg für die kommunalpolitische Unterstützung ist auch die lebendige Städtepartnerschaft zwischen Dinkelsbühl und der rumänischen Stadt Sighișoara, dem ehemals siebenbürgischen Schäßburg.

Sehr geehrte Damen und Herren, seit ich vor über einem Jahr das Amt der Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten angetreten habe, habe ich viele Termine im In- und Ausland wahrgenommen. Bei all den Begegnungen hat sich mir deutlich gezeigt, dass für die Menschen - seien es die Angehörigen der deutschen Minderheiten im Ausland, seien es die Spätaussiedler aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion oder die in Deutschland lebenden nationalen Minderheiten – all denen sind immer Identität, Heimat, Sichtbarkeit und ein Leben frei von Diskriminierung wichtig. Auch wenn sich die Lebensumstände jeder einzelnen Gruppe deutlich voneinander unterscheiden, so vereint sie doch der Wunsch, in ihrer Einzigartigkeit wahrgenommen zu werden und in einem Umfeld zu leben, das sie als ihr Zuhause bezeichnen können.

Auch das friedliche und gemeinschaftliche Zusammenleben zwischen Minderheits- und Mehrheitsgesellschaft gehört dazu. „Miteinander schafft Heimat!“ bringt es treffend auf den Punkt. Für mich heißt das ganz konkret, dass die Politik den Menschen einen Halt anbieten muss, um die Orientierung nicht zu verlieren. Wir politisch Verantwortlichen müssen Sorge dafür tragen, dass die Menschen sich wertgeschätzt und ernstgenommen fühlen, sodass sie eine Heimat bei uns finden können; Heimat im örtlichen wie im geistigen Sinne.

Wie ich eingangs erwähnt habe, gehört für mich der Begriff „Heimat“ nicht der Vergangenheit an. Vielmehr setzt er sich mit aktuellen Entwicklungen der bestehenden Verhältnisse in der heutigen Welt auseinander. Nur wer sich wohlfühlt und seine Heimat schätzt, wird sich auch für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen einsetzen. Sich heimisch fühlen ist ein wichtiger Faktor der gesellschaftlichen Teilhabe.

Als Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten werde ich immer Ansprechpartnerin für die Sorgen und Nöte der mir anvertrauten Menschen sein und mich mit aller Kraft für ihre Belange einsetzen, auch für das, was Sie, Herr Rainer Lehni, heute hier angesprochen haben! Lassen Sie mich zum Schluss noch ganz besonders die Verständigungs- und Versöhnungsarbeit der Vertriebenenverbände erwähnen, die seit vielen Jahren in Deutschland und im Ausland als Brückenbauer zwischen der Bundesrepublik und den östlichen Nachbarstaaten fungieren. Ohne ihre meist ehrenamtliche Arbeit hätten bislang viele Projekte und Verträge nicht umgesetzt werden können.

Die Geschichte lehrt uns, und das spüren wir auch jetzt wieder seit dem schrecklichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine: Kriege beginnen oft schneller und unerwarteter als man denkt. Sie sind grausam und bringen unendliches Leid. Kriege zu beenden dauert länger und es ist immer schwerer und härter als sie zu beginnen. Doch Frieden zu schaffen und zu sichern, einander zu verzeihen und wieder Begegnung zu organisieren, das ist eine Aufgabe für Generationen von Menschen, die niemals endet. Sie zeigen immer wieder auf, dass Aussiedler- und Minderheitenpolitik ein wesentlicher Teil von Friedenspolitik ist und gerade in diesen Zeiten wieder wichtiger ist denn je.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen allen für Ihr Engagement für das heutige Fest. Nun freue ich mich auf die nächsten Stunden mit Ihnen und wünsche Ihnen allen spannende Begegnungen und ein gutes Miteinander! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Schlagwörter: Heimattag 2023, Dinkelsbühl, Kundgebung, Pawlik, Aussiedlerbeauftragte

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